Wie realistisch stellen Serien und Filme deinen Job dar?

Eine Polizistin auf Spurensuche verfolgt spät nachts einen Verdächtigen, bis dieser in einem Parkhaus verschwindet. Die Ermittlerin zückt noch im Schein der Straßenlaterne ihre Dienstwaffe, dann tritt auch sie in das dunkle Gebäude ein.

Wir kennen – und, mal ehrlich: lieben – die Klischees, mit denen Filme und Serien alle möglichen Berufsgruppen darstellen. Die Polizei löst jede Woche einen neuen Mord, wie in Brooklyn99 oder The Rookie. Gern in dunklen Parkhäusern. Die Anwält*innen von Suits oder The Lincoln Lawyer gewinnen das Verfahren in letzter Sekunde mit einem Überraschungszeugen. Und vor den Halbgötter in Weiß in Serien wie Grey’s Anatomy oder The Good Doctor ist kein noch so seltenes Virus sicher.

Wir machen den Reality Check: Wie realistisch werden welche Berufe in Filmen und Serien dargestellt? Wir haben mit einem Polizisten, einer Lehrerin, einer Sexarbeiterin, einer Ärztin, einem Anwalt und einer Psychologin darüber gesprochen, was Filme und Serien an ihren Berufen falsch oder richtig darstellen – und welche Klischees tatsächlich stimmen.

Brilliante Diagnosen wie von Dr. Shaun Murphy in The Good Doctor? In der Realität eher selten.

Ärztin: „Die meisten machen den Job nicht, weil sie die Welt heilen wollen“

„Wenn ich am Ende eines 24-Stunden-Dienstes, genervt, gestresst und unausgeschlafen, noch Patienten behandeln soll – glaubst du, dass ich dann noch zu genialen Diagnosen à la Dr. House oder The Good Doctor fähig bin? Ich bin in dem Moment froh, wenn ich nicht im Stehen einschlafe. Die meisten Ärzte im Krankenhaus, die ich kenne, sind heillos überarbeitet, und sicher keine Genies und Wunderheiler – auch wenn sich viele dafür halten. Es sind einfach Leute, die ein Einser-Abi geschrieben haben und gut im Auswendiglernen sind.

Die meisten machen den Job auch gar nicht, weil sie Menschen so gern mögen und die Welt heilen wollen. Geld und Ego spielen die größere Rolle.

Anders ließe sich der Job aber ehrlich gesagt auch gar nicht aushalten. Was mich an Krankenhausserien am meisten stört, sind oft gar nicht die Ärzte. Sondern die Patienten. In Serien sind sie ernsthaft krank und oft dankbar, wenn die liebe Ärztin sie heilt. In echt rennen alle mit einem Schnupfen in die Notaufnahme und wir werden ständig angemotzt und wie Dienstboten behandelt. Die schlimmsten sind die Privatpatienten. Neulich fragte mich ein Angehöriger einer Patientin: „Meine Frau ist doch privatversichert. Warum muss ich im selben Wartezimmer warten wie die Angehörigen von den gesetzlich Versicherten?!“ Diesen Typ Patient trifft aber Dr. House ganz gut.“

– Paula (34), Ärztin in einer Klinik. 

Würden echte Polizisten so oft rumballern wie John Nolan (Nathan Fillion) und seine Kolleg*innen in The Rookie, dann wären sie selbst schon lang im Gefängnis.

Polizist: „Der größte Irrglaube hat mit Schusswaffen zu tun“

„Es gilt sicher für viele Berufe, dass sie in Serien und Filmen aufregender dargestellt werden, als sie es im wirklichen Leben sind. Ich bin mir aber ziemlich sicher: Bei der Polizeiarbeit geht die Schere zwischen Fiktion und Realität am weitesten auseinander. Nicht nur dauert die Aufklärung der allermeisten Verbrechen viel länger, als Serien es vermitteln. Wenn man bei der Kriminalpolizei arbeitet, hat man grundsätzlich auch immer mit mehreren Fällen gleichzeitig zu tun und kann sich nie so Tatort-mäßig auf nur einen Fall konzentrieren.

Der größte Irrglaube aber hat mit Schusswaffen zu tun. Ich habe es in 29 Dienstjahren nicht ein einziges Mal erlebt, dass ein Verdächtiger geschossen hätte. Ich selbst habe meine Waffe zwar einige Male gezogen, aber im Dienst noch nie abgefeuert – und ich hoffe, dass das bis zur Pension so bleibt.“

– Polizist, Anonym. 

Madame Claude ist die Besitzerin eines beliebten Bordells im Paris der späten 1960er Jahre. Bei ihr gehen die Größen der französischen Politik und Unterwelt ein und aus. In so einem Bordell hätte Kate (24 J.) auch gern gearbeitet.

Sexarbeiterin: „Natürlich mag ich Pretty Woman

„Um käuflichen Sex geht es ja in vielen Filmen und Serien. Wenn ich jetzt was dazu sage, ist es mir mega wichtig, dass ich das nicht stellvertretend für alle Sexarbeiterinnen mache. Mir ist klar, dass es Elendsprostitution gibt und Zuhälter und sonst was. Das ist aber nicht meine Welt.

Ich arbeite als Escort, seit ich 18 war – freiwillig und auf eigene Rechnung. Und mehr so nebenbei neben dem Studium und dem Job, nie fulltime. Und aus dieser, meiner Perspektive finde ich, dass überproportional häufig Prostitution sehr klischeehaft und einseitig dargestellt wird – nämlich im klassischen Rotlicht-Zuhältermilieu, wo oft drogenabhängige, sehr junge Frauen von Zuhältern und Menschenhändlern zur Prostitution gezwungen werden. Wie gesagt: Gibt es alles und ist furchtbar. Aber es gibt eben – wie in vielen Jobs – ein etwas breiteres Spektrum. Und gerade in der Sexarbeit ist es so, dass immer mehr Frauen, selbstbestimmt den Job machen.

Gefallen hat mir mal ein Film mit Juliette Binoche, Das andere Leben. Ist schon zehn Jahre alt oder so, aber da fand ich mich wieder, das ist so ein Studentinnen-Escortmilieu. Das gleiche trifft auch auf Fucking Berlin zu. Und obwohl ich nie in einem Bordell gearbeitet habe – bei Madame Claude würde ich sofort einsteigen, Marlon Brando soll zu den Kunden gehört haben. Krasser Film über eine Puffmutter im Paris der 1960er Jahre. Inwieweit das Gezeigte realistisch ist, weiß ich nicht. War leicht vor meiner Zeit.

Ob ich Pretty Woman mag? Das fragen immer alle (lacht). Natürlich mag ich Pretty Woman. Alle Mädels aus der Branche, die ich kenne, lieben Pretty Woman. Jeder mag doch Märchen, oder nicht?“

– Kate (24 J.), Sexarbeiterin. 

Cool wie Zeki Müller aus Fack Ju Göhte wären viele Lehrer*innen auch gern.

Lehrerin: „Jugendsprache zu benutzen ist tabu!“

„Was immer falsch dargestellt wird, ist die Aufmerksamkeitsspanne der Schülerinnen und Schüler. In vielen Filmen oder Serien verstummt das Klassenzimmer, sobald eine Lehrkraft den Raum betritt. Dann nehmen alle aufmerksam am Unterricht teil. Tatsächlich ist es eine echte Herausforderung, die Kinder dazu zu bewegen, ruhig zu sein, zuzuhören und sich aktiv am Unterricht zu beteiligen.

Andere Klischees aus Filmen und Serien bestätigen sich allerdings in meinem Alltag. Die Darstellung von Lehrkräften, die nur mit Hilfe der Schüler*innen einen Beamer zum Laufen bringen, entspricht leider oft der Realität. Ich wurde schon zur Ansprechpartnerin für alle möglichen technischen Probleme erkoren, nur weil ich in der Lage bin, ein Video in eine MP3-Datei umzuwandeln.

Auch die Lehrkraft, die bei den Kindern um jeden Preis als cool gelten möchte, ist mehr als ein bloßes Filmklischee. Dabei fühle ich mich sogar ein bisschen ertappt. Es ist für mich und sicherlich für viele andere Kolleginnen und Kollegen tatsächlich wichtig, ein positives Verhältnis zu den Schüler*innen zu haben und von ihnen als Mensch gemocht zu werden. Aber natürlich nicht um jeden Preis. Jugendsprache zu benutzen ist tabu!“

– Lehrerin, Anonym.

Wäre schön, wenn das Leben nach dem Jura-Studium nur halb so glamourös wäre wie in Suits.

Anwalt für Strafrecht: „Mir ist kein Typ wie Harvey Specter bekannt“

„Jura hat sehr viel mit Akribie und Detailverliebtheit zu tun, im Studium wie auch später im Beruf. In Serien wirkt es auf mich manchmal so, als seien die Anwältinnen und Anwälte ständig als große Redner und Spürnasen in Gerichtssälen tätig. Prozessarbeit vor Gericht macht aber nur einen kleinen Teil des Berufs aus. Das Gros ist Alltag, eher eintönige Schreibtischarbeit, Anträge und Widersprüche verfassen.

Natürlich funktioniert das amerikanische Rechtssystem ein bisschen anders als das deutsche. Aber auch in den USA ist der Beruf längst nicht so schillernd, wie er in vielen Serien dargestellt wird. Mir persönlich ist jedenfalls kein Typ wie Harvey Specter aus Suits bekannt.“

– Anwalt, Anonym.

Sigmund Freud (hier gespielt von Robert Finster in der Netflix-Serie Freud) ist für die Praxis der Psychologie nicht mehr relevant.

Psychologin: „Die meisten Menschen mit Psychosen werden nicht zu Serienmördern“

„Wenn ich bei einem Date erzähle, dass ich Psychologin bin, kommt in neun von zehn Fällen sofort: ‚Oooh, da muss ich jetzt aber aufpassen.‘ Ich glaube, daran sind auch stark Filme schuld, in denen es so wirkt, als könnten Psychologen Gedanken lesen. Oder, noch schlimmer: Als würden wir, wie Hannibal Lecter, unsere Patienten manipulieren.

Sigmund Freud ist übrigens auch schon ewig out. Nur in Filmen und Serien halten sich seine Theorien noch hartnäckig.

Am meisten ärgert mich aber, wie psychische Krankheiten in vielen Thrillern und Horrorfilmen dargestellt werden. Die allermeisten Menschen mit Psychosen oder einer dissoziativen Identitätsstörung (besser bekannt unter dem veralteten Begriff multiple Persönlichkeitsstörung) werden nicht zu Serienmördern. Filme wie Split verstärken die Angst vor Menschen, die schrecklich leiden und denen wir eigentlich helfen müssten. Auch wenn ich zugeben muss, ich fand den Film trotzdem wirklich spannend.“

– Franziska (42), Psychologin.

Netflixwoche Redaktion

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