„Es geht um die heftige, schützende Liebe“: Shawn Levy über Stranger Things und Alles Licht, das wir nicht sehen

Wie so viele Leser*innen auf der ganzen Welt war auch der Regisseur und Produzent Shawn Levy sofort von Anthony Doerrs mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnetem Roman Alles Licht das wir nicht sehen besessen. Levy versprach Doerr: „Wenn du mir das Privileg gibst, an der Verfilmung zu arbeiten, komme ich mit einem Drehbuchautor zurück, der dieses Ausgangsmaterial verdient hat. Lass mich das versuchen.“ Und so hat die Arbeit an der Serie begonnen.

Im Interview spricht Levy (u.a. Nachts im Museum, Free Guy, The Adam Project) über seine kreativen Entscheidungen, die Arbeit mit Talenten und die Produktion von Stranger Things.

Alles Licht, das wir nicht sehen ist episch. Was hat dich an diesem Punkt deiner Karriere dazu gebracht zu sagen: „Das ist die nächste Geschichte für mich“?

Seit Beginn meiner Karriere wollte ich Geschichten erzählen, die meinen eigenen Geschmack als Zuschauer widerspiegeln. Ich liebe Komödien. Ich liebe auch Dramen. Ich liebe Krimis. Ich liebe Historienfilme. Aber in unserer Branche ist es leicht, sich in einer bestimmten Vorstellung davon zu verfangen, was man tut und was man zuverlässig liefern kann. Davor  hatte ich immer Angst, weil ich viele Jahre lang Familienkomödien wie die Nachts im Museum gemacht habe. Je besser sie liefen, desto mehr Möglichkeiten habe ich in diese Richtung bekommen. Aber das war nie die ganze Geschichte für mich.

Wie suchst du dir heute deine Geschichten aus?

Jetzt bin ich in einer Phase meiner Karriere, in der ich mir sicher bin, dass die Arbeit nicht versiegen wird. Und ich habe angefangen, ein klareres Barometer zu haben und zu sagen: „Okay, ich sage ja zu Regiearbeiten, denen ich nicht widerstehen kann.“ So einfach ist das. Ich lasse mich nicht von einem Genre, einem Ton oder einem Format leiten.

Was macht Alles Licht, das wir nicht sehen für dich zu einer unwiderstehlichen Regiearbeit?

Für mich war es ein allgemeiner Wunsch, verschiedene Teile meiner selbst als Geschichtenerzähler zu erkunden. Ich würde noch hinzufügen, dass die Vater-Tochter-Komponente eines der ersten Themen war, die für mich unwiderstehlich waren. Sowohl im Roman als auch in der Serie geht es um vieles, aber im Kern geht es um die Beziehung zwischen einem Vater und seiner Tochter. Es geht um die heftige, schützende und stärkende Liebe. Sie bestimmt mein Leben als Erwachsener, und das hat mich wirklich angesprochen.

Louis Hofmann als Werner Pfennig im Gespräch mit Regisseur und Executive Producer Shawn Levy am Set der Netflix-Serie Alles Licht, das wir nicht sehen.

Du hast vorher noch nie mit blinden Schauspieler*innen gearbeitet. Wie war das für dich als Regisseur, diese neuen Talente zu fördern und mit ihnen am Set zu arbeiten?

Nell Sutton und Aria Mia Loberti, die beide Marie spielen, haben noch nie als Schauspielerinnen gearbeitet. Aria hatte noch nicht einmal bei einem Casting vorgesprochen. Das ist also schon eine große Herausforderung. Die Art und Weise, wie ich kommuniziert habe und die Dreharbeiten gestaltet habe, war zwangsläufig anders.

Inwiefern anders?

Es war entscheidend, genau zu sagen, worum ich gebeten habe. Aria hat mir zu Beginn ganz unverblümt gesagt: „Hilf mir, großartig zu sein. Sei ehrlich zu mir und sag mir, wie ich das erreichen kann. Denn das ist es, was ich für dich liefern will.“ Das war der Auslöser für einen Prozess, der wirklich auf Zusammenarbeit beruht.

Diese Erfahrung hat meine Sicht auf die Welt verändert. Sicherlich in Bezug auf das Thema Blindheit. Aber auch in Bezug auf die Art und Weise, wie wir mit den Dingen umgehen, die wir für selbstverständlich halten. Und die toten Punkte in unserem Einfühlungsvermögen, die auftreten, wenn wir nie mit Menschen zu tun haben, die ganz andere Erfahrungen gemacht haben. Dieser Teil des Buches hat mich als Mensch verändert.

Du hast einen ganzen Haufen talentierter Schauspieler zusammengebracht – Louis Hofmann, Mark Ruffalo, Hugh Laurie, Felix Kammerer, Marion Bailey. Man hat das Gefühl, dass du der Regisseur für die Schauspieler bist, weil du selbst einmal ein Schauspieler warst.

Mein Lieblingsaspekt des Jobs sind meine Schauspieler. Die Menschen sind manchmal überrascht, wenn sie das hören, denn ich habe schon viele Actionfilme gemacht und eine Menge Spektakel und Komödien und visuelle Effekte. Ich habe gelernt, wie man all das macht, um die großen Geschichten zu erzählen. Aber Junge, gib mir zwei Schauspieler und eine gut geschriebene Szene, einen großartigen Kameramann an meiner Seite ​– das ist für mich pures Glück.

Du warst von Anfang an ausführender Produzent bei Stranger Things – einer weiteren Serie mit einem Ensemble voller Newcomer-Entdeckungen. Du führst bei der dritten und vierten Folge jeder Staffel Regie. Warum ausgerechnet diese Folgen? War das beabsichtigt?

Bei der ersten Staffel war es ein reiner Zufall. Der Plan war, dass Matt und Ross Duffer, die Ersteller der Serie, bei jeder Folge Regie führen würden. Als sie die Hälfte der Dreharbeiten zur zweiten Episode hinter sich hatten, haben sie eine Leuchtrakete hochgeschickt und gesagt: „Shawn, wir haben keine Zeit mehr, den Rest der Staffel zu schreiben. Was sollen wir tun?“ Also habe ich gesagt: „Ich führe bei den Episoden drei und vier Regie, damit ihr Zeit habt, die zweite Hälfte der Staffel zu schreiben.“ Ich wusste ja nicht, dass das die Folge mit der Weihnachtsbeleuchtung war.

Alles im Griff: Regisseur Shawn Levy dirigiert die Crew von Alles Licht, was wir nicht sehen auch schon mal vom Panzer aus.

Einer der ikonischen Momente der ganzen Serie. 

Ja. Das war das erste Mal, dass Demogorgon durch die Wand gekommen ist. Ich hatte Glück. Dann waren die Duffers und ich abergläubisch genug, dass wir seitdem jedes Jahr an dieser Formel festhalten. In Episode 4 wird es immer ein bisschen verrückt, vielleicht nie mehr als in der Folge Dear Billy, die die berühmt-berüchtigte Kate Bush-Sequenz enthält.

Ich denke gerne an all das Geld, das Kate Bush verdient hat, als Running Up That Hill in die Top 10 der Playlist der Menschen weltweit aufgestiegen ist.

Man kann nie vorhersagen, wann etwas in der Kultur Feuer fängt. Die Art und Weise, wie Stranger Things eine so breite Bevölkerungsschicht in Hunderten von Ländern in seinen Bann gezogen hat, ist für uns nicht selbstverständlich. Wir nähern uns dem Ende der Serie und unser Ziel ist es, mit dem letzten Kapitel die Landung zu schaffen. Wir freuen uns darauf, es zu verwirklichen.

Krista Smith

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