Exorzismus, Satanismus und der unheilige Geist: Warum Christentum und Horrorfilm so gut zusammenpassen

Christliche Propaganda oder Ketzerei? Bei Horrorfilmen mit christlichen Motiven spalten sich die Geister – dabei sind Kruzifixe, Weihwasser und Priester aus dem Horrorgenre kaum wegzudenken. Warum suchen so viele Horrorfilme Inspiration in der Kirche?

Kurz vor Mitternacht, ein altes Kloster in Spanien. Im Keller brennen noch die Laternen. Als die junge Novizin Narcisa (Aria Bedmar) nachsieht, wer so spät noch wach ist, trifft sie auf eine ältere Nonne. Die Nonne bietet ihr ein Plätzchen an, ein „Spezialplätzchen“, wie sie sagt. Doch die freundliche Geste kippt schnell ins Bedrohliche.

Als Narcisa abbeißen will, schlägt die alte Frau auf den Tisch und schreit sie an: „Spezialplätzchen isst man in einem Happen!“ Und zwar immer zwei. Eingeschüchtert und verwirrt nimmt Narcisa ein zweites Plätzchen. Sie nimmt es in den Mund, behutsam, als würde sie eine Hostie essen – und fängt an zu Würgen. Blut tropft aus ihrem Mundwinkel. Panisch spuckt Narcisa die Plätzchen in ihre Handfläche – in ihrem Mund sind sie zu zwei blutigen Augäpfeln geworden.

Die „Spezialplätzchen“ sind nicht der einzige Horror, den Narcisa in Die Todesschwester erlebt. Die Novizin kommt als neue Hoffnung der Nonnen im Kloster an: Der Zweite Weltkrieg hat die meisten Schwestern vertrieben, nur drei sind übrig geblieben, die in dem Kloster nun Mädchen unterrichten. Narcisa hatte als Kind Visionen von der Heiligen Mutter Gottes. Seitdem nennen die Zeitungen und die Gläubigen sie „das heilige Mädchen“. Sie soll nun bei den Schwestern ihr Gelübde ablegen – doch Narcisa hadert mit ihrem Glauben.

Sie geißelt sich, sie fastet, doch sie zweifelt. Und nachts geschehen seltsame Dinge in dem Kloster: Ein Stuhl in ihrem Zimmer fällt von selbst um. Ein lautes Klopfen reißt sie aus dem Schlaf. An den Wänden entdeckt sie Zeichnungen, die aussehen wie ein Mensch am Galgen. Und dann wird eine der Schülerinnen tot aufgefunden, erhängt. Alles der Spuk eines rachsüchtigen Geistes, wie die kleinen Mädchen vermuten, die Narcisa unterrichtet?

Die junge Novizin Narcisa (Aria Bedmar) ermittelt, was sich hinter den seltsamen Erscheinungen im ehemaligen Kloster verbirgt.

Die Todesschwester (ein Prequel des Überraschungs-Horror-Hits Verónica, das aber auch jeder genießen kann, der Verónica nicht kennt) reiht sich ein in eine lange Tradition des Genres: Horrorfilme mit christlichen Motiven.

Von Der Exorzist bis Rosemary’s Baby, von The Conjuring bis Das Omen: Das Christentum hat einige der besten (und brutalsten) Horrorfilme inspiriert. Dämonen, Exorzisten, satanistische Sekten, Priester, Sünder, Heilige und der Teufel persönlich bevölkern das Genre. Ist das cleveres Marketing der Kirche? Oder, wie viele christliche Gruppen schimpfen, reine Gotteslästerung?

Wie missionarisch ist das Horror-Genre?

Die attraktive Blondine hat Sex – fünf Filmminuten später ist sie tot. Das hätte sie sich aber auch denken können. Sex vor der Ehe ist eine der tödlichsten Sünden, die eine Figur in einem Horrorfilm begehen kann. Nur wer keusch und gottesgläubig lebt, hat eine Chance, bis zum Abspann zu überleben.

Soweit zumindest die Aussage zahlreicher Horrorfilme: Die Ungläubigen werden verdammt (ConjuringDas Ritual), nicht-christliche Religionen sind gruselig (The WitchThe Wicker ManSinister), die Prophezeiungen der Bibel erfüllen sich und die Apokalypse naht (LegionDas Omen).

Bei so vielen Horrorstreifen mit christlichem Touch ist es fast verwunderlich, dass die Kirchen das Horrorgenre eher ablehnen. Christliche Foren sind voll mit Diskussionen darüber, ob man als guter Christ überhaupt Horror genießen darf. Dabei haben bereits mittelalterliche Prediger erkannt, dass es ein besonders effektives Mittel gibt, um ihre Schäfchen zusammenzuhalten: Angst.

Christliche Botschaften müssen sich nicht automatisch anfühlen wie eine Bibelstunde: Selbst zweifellos brillante, vielschichtige Horror-Klassiker wie Der Exorzist bedienen sich bei der Bibel als göttliche Drehbuchvorlage.

In Der Exorzist gibt es zwei Repräsentanten der Kirche: den liberalen, aber desillusionierten jungen Jesuiten Vater Damien Karras und den konservativen, älteren Vater Lankester Merrin. Als die Mutter des besessenen Mädchens den jungen Vater Karras fragt, wie jemand an eine Erlaubnis für einen Exorzismus gelangen könnte, antwortet er: „Ich müsste sie in eine Zeitmaschine setzen und ins 16. Jahrhundert zurückversetzen.“ Doch letztlich ist es der konservative Vater Merrin mit seinen vermeintlich altmodischen Ansichten, der Recht damit hat, die Mächte der Hölle zu fürchten.

Der Exorzist will nicht missionieren. Regisseur William Friedkin war nicht einmal katholisch, sondern ein jüdischer Agnostiker, der wie Generationen von Künstler*innen vor ihm fasziniert war von Mysterien, die unseren Verstand überschreiten.

Andere Filme sind da etwas weniger subtil. „Wir lieben es, wahre Geschichten zu erzählen, in denen das Gute das Böse besiegt. Conjuring 2 ist eine Geschichte, die aus der Sicht von Gläubigen erzählt wird, deren stärkste Waffe ihr Glaube an Gott ist“, haben Chad und Carey Hills, die Drehbuchautor*innen der ersten Conjuring-Filme, im Interview mit der Christian Post erzählt.

Die Filme sind inspiriert von den Erlebnissen eines echten Ehepaares, das paranormale Fälle ermittelte. Im ersten Teil Conjuring – Die Heimsuchung zieht eine junge Familie in ein altes Bauernhaus – das sich jedoch schnell als Geisterhaus herausstellt. Geholfen wird ihnen von den paranormalen Ermittlern Lorraine und Ed Warren. Und der Kraft ihres Glaubens.

Die Kernaussage der Conjuring-Filme fassen die beiden Drehbuchautor*innen so zusammen: „Glauben Sie an Gott, denn er ist der Sieger. Durch ihn wird das Böse verbannt, ein junges Mädchen gerettet und eine Familie wieder zusammengeführt. Ohne die Warrens und ihren Glauben wäre das alles nicht passiert, und dieser Film ist nur eines von Millionen Beispielen.“

Der Film war ein Blockbuster-Erfolg: Bereits am ersten Wochenende spielte er 41 Millionen US-Dollar an den Kinokassen ein, für einen Horrorstreifen eine Sensation. Acht weitere Filme im Franchise und etliche Nachahmer folgten.

Kein Wunder: Man muss kein Christ sein, um Geschichten über Gut gegen Böse zu lieben. Sie sind Teil unserer kulturellen DNA.

Das Christentum ist vertraut – und trotzdem geheimnisvoll

Christliche Motive machen es Horrorfilmen leicht, uns in eine Geschichte zu entführen, schnell Spannung aufzubauen und letztlich zu gruseln. Denn westliche Horrorfans sind mit christlichen Geschichten und Symbolen vertraut.

Auch wenn immer mehr Menschen aus der Kirche austreten, ist der Großteil der Deutschen noch gläubig: Laut Religionsmonitor 2023 ordnen sich noch über 50 Prozent der Befragten in Deutschland einem christlichen Glauben zu. Nur rund ein Drittel hat gar keinen Glauben. In den USA sieht es ähnlich aus, hier ordnen sich noch rund 64 Prozent einem christlichen Glauben zu.

Und man muss weder die Bibel noch Dante gelesen haben, um zu wissen, wer Adam und Eva sind oder um die sieben Todsünden aufzählen zu können. Symbole wie Kruzifixe, Weihwasser oder Madonnen sind vertraut – und behalten doch einen Charme des Geheimnisvollen. Geschichten über das Unerklärliche sind schließlich der Kern des Glaubens. Und auch die Kirche als Organisation mit ihren geheimen Riten, Geheimbünden und verschlossenen Institutionen bleibt mysteriös. Was sich in den Archiven des Vatikans verbirgt, wüsste nicht nur Dan Brown gern.

Einschusslöcher an der Klostermauer: Die Todesschwester spielt kurz nach Ende des Zweiten Weltkriegs.

Christliche Motive sind darum nicht nur mit dem Horrorgenre verwoben, sondern ziehen sich durch Kunst und Kultur aller Arten, von Michelangelo bis Narnia. Beim Horror kommt noch dazu, dass das Christentum wunderbaren Stoff für alle Fans blutigen Gemetzels bietet. Die christliche Geschichte ist mit der Inquisition, den Hexenverbrennungen und Kreuzzügen gespickt mit Grausamkeiten. Horror-Klassiker wie Carrie zeigen, wie bis heute religiöser Fanatismus ins Verderben führen kann. Und die Bibel selbst ist der vermutlich brutalste Bestseller der Geschichte.

Die Faszination des Zweifels

Doch einer der stärksten Anziehfaktoren des Christentums in Sachen Horror ist die Faszination des Ungewissen. Spannung entsteht oft dadurch, dass eben nicht alles mit dem Verstand erklärt werden kann: Können wir unserem Verstand vertrauen? Oder unserem Glauben? Oder weder noch?

Midnight Mass, die persönlichste Serie vom Meister des Gruselns Mike Flanagan, bewegt sich genau in diesem Spannungsfeld. Midnight Mass erzählt von einer kleinen, auf einer abgeschiedenen Insel lebenden Gemeinde, deren Zwistigkeiten sich durch die Rückkehr eines in Ungnade gefallenen jungen Mannes (Zach Gilford) und der Ankunft eines charismatischen Priesters (großartig: Hamish Linklater) noch verstärken.

Der Priester macht der Gemeinde Hoffnung, verstört aber auch mit seinen leidenschaftlichen Reden. Und seit seiner Ankunft passieren seltsame Dinge: Die Brandung schwemmt hunderte tote Katzen an die Küste, und Kranke werden auf wundersame Art geheilt. Die Serie stellt die Frage: Woher weiß ich, ob ich einem falschen Propheten folge?

Die Rettung der Gemeinde oder ihr Untergang? Hamish Linklater als Vater Paul in Midnight Mass.

In Midnight Mass verhandelt Flanagan (Der Untergang des Hauses Usher) seine eigene katholische Erziehung und sein Hadern mit der Religion. „Es fasziniert mich, wie unser Glaube die Art und Weise beeinflusst, wie wir miteinander umgehen“, sagte Flanagan im Interview mit der New York Times. „Wenn man sich die Politik und die Welt von heute anschaut, verhalten sich so viele von uns auf der Grundlage des Glaubens, dass Gott auf unserer Seite ist und dass Gott dieselben Menschen nicht mag wie wir.“

Horror-Serien und Filme wie Flanagans Midnight MassDer Exorzist oder nun Paco Plazas Die Todesschwester gehen weit über die simple Gleichung Gut (Christentum) versus Böse (alles andere) hinaus. Sie wollen nicht missionieren, sondern sind neugierig auf eine Frage, die uns Menschen schon immer beschäftigt: Gibt es mehr, als wir mit unserem Verstand erklären können?

Emeli Glaser, Netflixwoche

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