Von Nosferatu bis Vampire Diaries: Wie sich Vampire in der Filmgeschichte verändert haben

Die Faszination für Vampire gibt es schon so lange wie es Filme gibt und nimmt auch heute nicht ab. Aber wie haben sich Vampire im Laufe der Jahre im Film verändert? Hier eine Filmgeschichte des Blutsaugens, von Dracula bis El Conde.

Augusto Pinochet macht sich einen Smoothie. Dafür legt er ein noch zuckendes Herz in den Mixer und drückt „Start“. Dem ehemaligen Präsidenten von Chile schmeckt das Blut von Engländern am besten. Er sagt, es hat etwas vom Römischen Reich. Das Blut von Arbeiter aus Südamerika würde er nicht empfehlen: Er findet, es schmeckt nach Galle und riecht nach Hund.

Im neuen Netflix-Film El Conde von Pablo Larraín hat der ehemalige Diktator seinen Tod 2006 nur vorgetäuscht. In der düsteren Satire wird erklärt: In Wirklichkeit ist Pinochet ein Vampir, der schon die französische Revolution miterlebt hat. Seitdem macht er es sich zur Aufgabe, Revolutionen niederzuschlagen. Und das erfolgreich: Er putscht 1973 gegen die demokratisch gewählte Regierung in Chile. In seiner Militärdiktatur lässt er tausende politische Gegner*innen einsperren, foltern und hinrichten. Im Film lebt er heute versteckt im Exil, ist gelangweilt und lebensmüde – aber als Untoter kann er nicht einfach sterben.

El Conde bedient sich einer klassischen Figur: Unsterbliche Blutsauger, die sich von den Lebenden ernähren. Vampire. Oft können sie sich unentdeckt unter die Menschen mischen, manipulieren, verführen (und manchmal sogar glitzern). Anderswo sind sie entstellte Monster, die in Gruften auf ihre Opfer lauern.

Die Faszination für diese gruseligen aber auch anziehenden Wesen gibt es schon so lange wie es Filme gibt und nimmt auch heute nicht ab. Aber wie haben sich Vampire im Laufe der Jahre im Film verändert? Und wie sind sie überhaupt dort hingekommen? Hier eine Filmgeschichte des Vampirs.


Wo kommen Vampire ursprünglich her?

Die ersten Vampirartigen Kreaturen entstammen der osteuropäischen Folklore. In Rumänien fürchtete man sich zum Beispiel schon vor Jahrhunderten vor den „Strigoi“: Untote, die aus ihren Gräbern steigen, in den Wäldern in der Nähe von Dörfern umherwandeln und Jagd auf kleinere Nutztiere und Kinder machen, um ihnen das Blut auszusaugen.

Im 18. Jahrhundert gibt es immer wieder Berichte über solche Untoten. Zum Beispiel der Fall von Arnold Paole im ländlichen Serbien. Laut dem Bericht eines österreichischen Militärarztes 1732 blutete die Leiche des Verstorbenen frisches Blut – vierzig Tage nach dessen Tod. Im Bericht ist von einem „Vampyr“ die Rede. Paole wurde zur „Heilung“ ein Holzpflock ins Herz gebohrt.

Eine Szene aus dem Netflix-Film El Conde: Augusto Pinochet fliegt wie eine Fledermaus davon.

Man spricht in dieser Zeit sogar von einer „Vampir Epidemie“ in Osteuropa. Wissenschaftler*innen erklären das Phänomen heute mit Krankheiten: Die ländliche Bevölkerung hat sich das reale Grauen mithilfe von Gestalten aus der Folklore erklärt. Ein Beispiel ist Tollwut: „Es ist eine der ältesten Krankheiten, übertragbar von Tieren auf Menschen und das hauptsächlich durch Bisse,“ heißt es in einem Artikel der University of Virginia. Durch Berichte dieser Art verbreitete sich die Idee von Vampirismus auch ins bürgerliche Westeuropa.


Vampire in der Literatur: Vom Bauern zum verführerischen Gentleman

Im 19. Jahrhundert nimmt sich Oper, Kabarett und Literatur der Idee des Vampirs an. Ein berühmtes frühes Werk: „Der Vampyr“ von 1819, geschrieben von dem englischen Schriftsteller John Polidori. Der Protagonist trifft auf einer Party in London den mysteriösen Lord Ruthven: ein blasser Adliger, der ihn einlädt, mit ihm durch Europa zu reisen.

Polidoris Geschichte verwandelt das Bild von Vampiren das erste Mal grundlegend. Vom osteuropäischen Bauern, der sich in eine untote Bestie verwandelt hat, zum geheimnisvollen, aber weltgewandten Aristokraten.

Lange Finger, ein dunkler Schatten: Ist das ein Vampir?

Bram Stoker schließt 1897 an diesen Vampir-Typus an. In seinem Roman wird ein englischer Anwalt in das Schloss von Graf Dracula in den transsilvanischen Karpaten eingeladen. Er soll ihm helfen, ein Haus in London zu kaufen. Dabei gerät er in einen Hinterhalt, der seine Verlobte involviert. Im viktorianischen England schlägt Dracula ein. Der Roman ist bis heute eine der einflussreichsten Horrorgeschichten der Welt.


Was war der erste Vampirfilm der Geschichte?

Schon in der frühen Zeit des Kinos tauchen Vampire hin und wieder als Figuren. Zum Beispiel 1908 in Georges Méliès Kurzfilm La légende du fantôme, wo eine junge Frau nachts auf dem Friedhof Kreaturen von Vampiren bis Drache begegnet. Aber der erste Vampirfilm in Spielfilmlänge ist Nosferatu von Friedrich Wilhelm Murnau. Das junge Regietalent Murnau drehte Nosferatu in Wismar, Lübeck und auf Sylt. 1922 kommt der Film in die deutschen Kinos. 

Erst sieht es nicht so aus, als würde Nosferatu ein Kultklassiker werden. Ein Erfolg ist der Film nicht. Zusätzlich basiert er auf dem Roman Dracula, aber die Produktionsfirma hat sich nicht die Rechte am Material gesichert. Also ließ Bram Stokers Witwe die meisten Kopien per Gerichtsbeschluss vernichten.

Trotzdem: Die langen Finger, spitzen Ohren, stechenden Augen und die neblig-unheilvolle Atmosphäre von Graf Orlok und seinem Schloss gehen in die Filmgeschichte ein. Über die Zeit wird Nosferatu aus der Weimarer Republik zur Generationenübergreifenden Popkultur-Ikone. Eines der neuesten Beispiele ist wohl, dass der Vampir, gespielt von Max Schreck, ohne Erklärung in einer Episode der Zeichentrickserie Spongebob Schwammkopf auftaucht, um den Lichtschalter zu bedienen.

Sexy Dracula goes Hollywood

Neun Jahre nach dem expressionistischen Copyright-Desaster aus Deutschland beginnt der Vampir-Hype schlagartig auch in den USA – mit einer weiteren, diesmal rechtmäßigen Verfilmung von Bram Stokers Roman. Tod Brownings Dracula von 1931 katapultiert einen neuen Horror-Star ins Rampenlicht und prägt eine neue Art Blutsauger: den sexy Vampirfürsten.

Man könnte denken, dass der Herzensbrecher-Vampir eine Erfindung aus Teenie-Serien der 2000er wie Vampire Diaries ist. Aber weit gefehlt: Mit dem ungarischen Schauspieler Bela Lugosi wird Graf Dracula schon in den 1930ern zum Sexsymbol.

Mit seinem Akzent, seinen zurückgegelten Haaren und seinem langen schwarzen Umhang wird Lugosi zum Standardbild des modernen Vampirs. Und zu dem eines Verführers. In Brownings Dracula kommt der Fürst nicht creepy aus Ecken gekrochen wie Nosferatu. Er ist ein Mann von Welt. Und er verführt seine Opfer. Wortwörtlich. Die Mischung aus Grusel und sexueller Spannung zieht die Kinozuschauer*innen auf eine völlig neue Weise in ihren Bann.


Sexploitation-Vampirinnen und Blacula

In den Jahrzehnten nach Dracula folgen unzählige Vampirfilme, die dem Erfolg nacheifern. Und sich dabei strikt an die Bela Lugosi-Formel halten: Es entstehen unzählige Varianten des Gothic-Märchens vom anziehenden und mondänen Verführer. Erst mit den 1970er Jahren wagen es Film-Vampire, ihre Capes abzulegen und ihre Schlösser zu verlassen. Vor allem im Exploitation-Film, einem neuen Genre von Low Budget-Filmen, die Trends ausschlachten. 

In der Zeit gibt es ziemlich viele sexualisierte Vampirinnen in Sexpoitationfilmen. Zum Beispiel in Vampyros Lesbos oder Daughters of Darkness von 1971 drehen wunderschöne Blutsaugerinnen den Spieß um und locken Männer ins Verderben. Im Blaxploitation-Genre treibt der ehemalige afrikanische Prinz und Vampir Blacula sein Unwesen in Los Angeles. Der Film ist so erfolgreich, dass innerhalb weniger Jahre mehrere Sequels gedreht werden.

Die 80er und 90er: Dauerwelle, Drogen und AIDS

Über Film-Vampire in den 1980er Jahren schreibt Collider: „Vampire sind gleich geblieben, aber die Welt um sie herum hat sich verändert.“ Und es hat sich tatsächlich einiges verändert: Mit den Achtzigern kommt eine neue Jugendkultur mit Popmusik, bunten Klamotten und die Filme mit neuen Special Effects. In den neuen Vampirfilmen bleiben die Monster augenscheinlich weltgewandt, sind aber nicht mehr up-to-speed. Die jungen Held*innen der Achtziger-Filme schon. Sie stehen jetzt viel mehr im Fokus der Filme und schaffen es mit neuen Methoden, die altmodischen Vampire zu überlisten.

1992 kommt mit Bram Stoker’s Dracula die nächste Erfolgsverfilmung des Horror-Klassikers in die Blockbuster-Kinos und ist wieder eine relativ traditionelle Gothic-Erzählung. Aber auch eine Reihe von Indie-Filmen mit Vampirthema wurde Mitte der Neunzigerjahre relevant. „Der beste Ort, ein Vampir zu sein, war New York in den 90s“, schreibt Vulture in einem Artikel. Vampire verarbeiten hier vor allem stellvertretend Themen wie Drogenabhängigkeit und AIDS. Sie stehen hier in der Tradition des Realismus und für tristen Alltag: „Vampirismus ist in diesen Filmen eine bleiche, oberschlaue Brünette, die durch die Straßen von Manhattan streift und schwarz trägt.“

Die 2000er bis heute: Lustige, romantische, animierte Vampire

Heute findet man Vampirgeschichten häufiger in Serien und Filmen als je zuvor. Und das in allen möglichen Genres.

In den 2000ern haben Teenie-Vampir-Romanzen wie Vampire Diaries das Bild des modernen Vampirs revolutioniert. Vampire sind jünger und attraktiver als je zuvor. Sie tragen nicht nur Sneakers statt Umhang und trinken ihr Blut mit Strohhalm, sie sind auch nicht mehr unbedingt böse. Sie sind nicht mehr Kreatur in Menschengestalt. Sondern potenzielles Husband-Material.

Auch die Vampirkomödie erfreut sich heute großer Beliebtheit: Zum Beispiel als Hommage an das Schwarze Kino der Neunziger wie in Vampires vs. the Bronx oder Day Shift. Oder Remake alter Seifenopern wie bei Dark Shadows. Vampire gibt es in Flugzeugen wie in Blood Red Sky und auf Houseparties wie in Vampires. Als Anime in Castlevania. Oder eben ganz klassisch, im alten Schloss mit Umhang wie in der Serien-Verfilmung Dracula.

Vorsicht, bissig: In dem Film Day Shift ist eine böse Vampirin unterwegs.

Emeli Glaser, Netflixwoche

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