Das sind die besten Filme aus Rumänien auf Netflix

Auf Netflix kann man sich Filme auf über 25 Originalsprachen anschauen. Die Auswahl reicht von „Polnisch“ über „Koreanisch“ bis hin zu „Telugu“. In unserer neuen Serie „Nur mit Untertiteln“ stellen wir Euch Länder vor, in denen zwar irre gute Filme gedreht werden — doch über die man in Deutschland zu wenig spricht. Den Anfang macht: Rumänien.

Ungefähr 1.000 Kilometer von Deutschland entfernt liegen die rumänischen Karpaten. Ein Gebirgszug mit dichten Wäldern, Felsvorsprüngen und Gletscherseen, durch den noch Wölfe und Bären streifen. Irgendwo hier lebt Simion in einer Blockhütte. Er ist ein Einsiedler. Schon seit Jahren laufen seine Tage immer gleich ab. Er unterhält sich mit seinem Esel, geht im Wald jagen und sammelt Brennholz. Ein ruhiges, einsames Leben.

Doch eines Tages findet Simion bei seinen Streifzügen durch die Wälder eine junge Frau, blutüberströmt und fast bewusstlos. Er schleppt sie in seine Hütte. Er versorgt ihre Wunde. Er gibt ihr Wasser und Brot. Dabei fühlt Simion etwas, das er schon lange nicht mehr gefühlt hat: Liebe. Doch bald begreift Simion, dass die Frau nicht bei ihm bleiben wird, wenn sie wieder gesund ist. Und seine Liebe verwandelt sich in hässlicheres Gefühl: in Wut. Er will sie besitzen. Für immer.

Der Einsiedler aus Love 1. Dog

Das ist der Plot von Love 1. Dog (Originaltitel: Dragoste 1. Câine). Ein Psychodrama aus Rumänien, das 2018 Premiere feierte. Love 1. Dog ist nur einer von über 50 rumänischen Filmen, die man sich auf Netflix anschauen kann. Wenn man sich durch die Titel klickt, fällt zuerst eine Sache auf: Man findet nicht einen einzigen Film, der älter als 2004 ist. Das ist kein Zufall. Das moderne rumänische Kino ist jung.

Die Anfänge: Zigaretten für den Direktor

Die Geschichte des modernen rumänischen Kinos beginnt 2004 mit einem 13-minütigen Kurzfilm über Korruption. In Cigarettes and Coffee (Un cartuș de Kent și un pachet de cafea) unterhalten sich ein älterer Herr und ein junger Mann in einem Café in Bukarest. Auf den ersten Blick scheinen sie nicht viel gemeinsam zu haben. Der ältere Herr trägt eine abgewetzte Jacke. Der junge Mann einen teuren Anzug. Alt und arm trifft jung und wohlhabend.

Doch schnell wird klar: Es sind Vater und Sohn. Der Vater hat gerade seinen Job als Wachmann verloren. Nur zwei Jahre vor der Pensionierung. Er berät sich mit seinem Sohn, wie er den Job zurückbekommen könnte. Beide haben die gleiche Idee: mit einer Schachtel Kent-Zigaretten und einer Packung Kaffee für den Direktor der Sicherheitsfirma.

The Great Communist Bank Robbery: der Himmel über Bukarest

Kent-Zigaretten tauchen in vielen rumänischen Filmen auf. Während der Ceaușescu-Diktatur von 1965 bis 1989 dienten sie nicht nur als Tauschmittel auf dem Schwarzmarkt und als eine Art Bestechungsgeld. Sie waren auch symbolisch aufgeladen und standen für (westliche) Freiheit und Reichtum. In der Allgemeinen Deutschen Zeitung für Rumänien erinnert sich ein Journalist an die fast magische Wirkung, die Kent in den 1970er Jahren auf ihn ausübten. Er schreibt: Kent-Zigaretten seien nicht nur sündhaft teuer und nur unter der Hand zu bekommen gewesen. „Sie waren sozusagen eine Art Ticket ins Paradies, denn wer Kent rauchte, der befand sich ja schon in den USA, zumindest mit der Nasenspitze.“

Cigarettes and Coffee spielt auf die Symbolwirkung von Kent in Rumänien an. Und suggeriert: Auch, wenn Ceaușescu tot und die Diktatur vorbei ist – die allgegenwärtige Korruption hat überlebt. Man braucht nur den richtigen Leuten ein paar Kent und etwas Kaffee zustecken und schon kann man eine Kündigung rückgängig machen.

„Während der letzten zehn Jahre hat Rumänien mehr Preise auf Filmfestivals gewonnen als jedes andere Land auf der Welt“

2004 gewinnt Cigarettes and Coffee auf dem internationalen Filmfest in Berlin einen Goldenen Bären in der Kategorie „Bester Kurzfilm“. Das ist vorher noch keinem Film aus Rumänien gelungen. Nur wenige Monate später wird noch ein anderer rumänischer Kurzfilm (Titel: Trafic) in Cannes mit einer Goldenen Palme ausgezeichnet. Und zwar zum ersten Mal seit 1969.

Dass 2004 gleich zwei Kurzfilmpreise nach Rumänien gingen, war ungewöhnlich. Das Land war nicht gerade für seine Filmkultur bekannt. Während der Ceaușescu-Diktatur liefen vor allem Propagandafilme in den rumänischen Kinos: Heldengeschichten über Arbeiter und Bauern. In einem Handbuch über den sowjetischen und osteuropäischen Film konnte man 1992 noch folgendes lesen: „So wie Rumänien selbst hat auch das rumänische Kino bisher wenig Beachtung gefunden. Bis vor kurzem waren die Filme ästhetisch unbedeutend und hielten sich strikt an die formalen Vorgaben des totalitären Regimes. Aus diesen Gründen hat das rumänische Kino nie den Weltrang anderer osteuropäischer Kinos erreicht.“

Nach 2004 ändert sich das. Und zwar sehr schnell. Rumänische Regisseur*innen räumten einen internationalen Filmpreis nach dem anderen ab. Die Filmwissenschaftlerin Dominique Nasta schrieb dazu in einem Buch von 2013: „Während der letzten zehn Jahre hat Rumänien mehr Preise auf Filmfestivals gewonnen als jedes andere Land auf der Welt: Das Land am Rande Europas steht im Rampenlicht des Weltkinos.“

In Rumänien selbst wurden die Filme allerdings kaum geschaut. Noch 2012 gab es in dem Land mit fast 20 Millionen Einwohner*innen nur rund 80 Kinos. Und dort liefen vor allem Blockbuster aus den USA. Das moderne, rumänische Kino wird deswegen manchmal auch ein „Festivalkino“ genannt. Ein abwertender Begriff, der impliziert: Filme aus Rumänien werden nur von (westeuropäischen) Cineast*innen geschaut.

Fair ist der Begriff „Festivalkino“ nicht. Denn auch deutsche, französische oder englische Arthouse-Filme erreichen so gut wie nie die Zuschauer*innenzahlen von Blockbustern. Für viele rumänische Regisseure*innen waren die Festivals die einzige Möglichkeit, ihre Filme einem großen Publikum vorzustellen. Gesehen und gehört zu werden.

Neue rumänische Welle

Ungefähr um 2008 herum bekam das moderne, rumänische Kino auch einen Namen. In Zeitungen und Magazinen las man immer häufiger den Begriff „Romanian New Wave Cinema“. Frei übersetzt: „Neue rumänische Welle“. Die Botschaft dahinter war klar: So wie bei der Nouvelle Vague in Frankreich oder beim Neorealismus in Italien gibt es jetzt auch in Rumänien eine junge Generation von Filmemacher*innen, die mit den alten Traditionen bricht und ein neues, ästhetisch anspruchsvolles Kino macht.

Und tatsächlich ähneln sich viele rumänische Filme. Gedreht wird oft mit Laiendarsteller*innen. Es gibt so gut wie nie Sets oder Kulissen. Die Filmemacher*innen gehen mit der Kamera nach draußen: auf die Straße. Und filmen vor Ort. Dabei entstehen oft harte, realistische Bilder, die die Welt so zeigen, wie sie in den Augen der Künstler*innen ist: hässlich und gemein. So wie in dem Drama The Unsaved (La limita de jos a cerului), das von einem Drogendealer und der großen Langeweile in seinem Leben erzählt.

Eine Rettungsaktion in The Father Who Moves Mountains

Die Laiendarsteller*innen und die Drehs auf der Straße: Das führt nicht nur zu einer minimalistischen Bildsprache. Es spart auch Geld. Die Produktionskosten für einen rumänischen Film liegen oft weit unter 500.000 Euro. Im Filmgeschäft: ein Taschengeld. In einem Gespräch mit der Zeit hat der rumänische Regisseur Radu Jude einmal gesagt: „Wir müssen solche verwackelten Filme machen, weil wir uns Besseres nicht leisten können. Vielleicht ist das auch das Geheimnis der rumänischen Nouvelle Vague.“

Ein Kino der Abgehängten und Ausgestoßenen

Das Romanian New Wave Cinema ist auch das: ein langsam erzähltes Kino mit langen Plansequenzen und wenigen Schnitten. Die Kamera bleibt dicht bei den Figuren. Panihida – Himmelreich (Panihida) spielt in einem Dorf in der Moldau. In der ersten Einstellung sieht man eine Kapelle auf einem Hügel. Die Kamera filmt sie fast zwei Minuten lang und schwenkt dann ins Tal. Doch „langsam erzählt“ bedeutet nicht langweilig. Im Gegenteil. In Love 1. Dog (Dragoste 1. Câine), der Film mit dem Einsiedler und der jungen Frau, sorgt die niedrige Schnittfrequenz für eine fast unerträgliche Spannung. Wir sind live dabei, wenn sich die Geschichte zuspitzt und können den Bildern nicht entfliehen. Es gibt kein Entkommen.

Das Romanian New Cinema spielt oft im neoliberalen Rumänien der Gegenwart, in dem die Schere zwischen Arm und Reich immer größer wird. Es erzählt von den Armen, den Kranken, Abgehängten und Ausgestoßenen.

Da ist die junge Mutter aus Der letzte Morgen (Dimineața care nu se va sfârși), die sich prostituieren muss, um ihre Familie zu ernähren. Da ist der junge Laurentiu aus Heads and Tails (Cap și pajură), der nach einer Kopfverletzung nicht ins Krankenhaus geht. Sondern zu Hause bleibt und stirbt. Und da ist der Vater aus The Father Who Moves Mountains (Tata mută munții), der seinen verschollenen Sohn in den Bergen sucht – und dabei nicht wie ein klassischer Held herüberkommt, sondern wie ein einsamer und verbitterter Mann.

Das Romanian New Wave Cinema blickt aber nicht nur auf die rumänische Gegenwart. Oft schaut es auch zurück: auf die brutale Ceaușescu-Diktatur und die rumänische Nachkriegszeit. In der Dokumentation The Great Communist Bank Robbery (Marele jaf comunist) geht es um einen Propagandafilm, den die kommunistische Regierung in Rumänien über einen Bankraub in Bukarest gedreht hat. Und das Drama Moromete Family: On the Edge of Time (Morometii 2) erzählt die Nachkriegsjahre aus der Sicht einer Bauernfamilie in der rumänischen Provinz. Auch hier gibt es keine klassischen Held*innengeschichten. Die Verlierer*innen sind dem Romanian New Cinema immer lieber als die Gewinner*innen.

Cristi Puius Wutanfall

Viele rumänische Filmemacher*innen können den Begriff „Romanian New Wave“ übrigens nicht mehr hören. Als man ihn bei einem Gespräch in seinem Haus auf die Romanian New Wave angesprochen hat, soll der Regisseur Cristi Puiu laut der New York Times einmal einen Wutanfall bekommen haben. Er habe auf die Lehne seiner Couch geschlagen und gerufen: „There is not, not, not, not, not a Romanian new wave.“

Eine nachvollziehbare Reaktion: Immer, wenn man von einer „new wave“ spricht, macht man aus vielen individuellen Filmemacher*innen eine große, undurchsichtige Masse. Man vereinfacht und verallgemeinert. Wenn man wissen will, wie in Rumänien Kino gemacht wird, hilft eigentlich nur eine Sache: Man muss sich die Filme anschauen.

Lennardt Loss, Netflixwoche

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