Wer war Bayard Rustin? Die wahre Geschichte einer amerikanischen Ikone

Rustin erzählt die Geschichte eines historischen, jedoch wenig bekannten Freiheitskämpfers der Bürgerrechtsbewegung: Bayard Rustin. Das ist die wahre Geschichte hinter dem Netflix-Film.

Für viele Menschen gilt die „Ich habe einen Traum“-Rede von Dr. Martin Luther King Jr. („I have a dream“) als das Symbol der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung. Dennoch blieb ausgerechnet der Mann, der den Marsch organisierte, auf dem King seine historische Rede hielt, den meisten unbekannt.

In Rustin erhält Bayard Rustin, der unbesungene Aktivist für Freiheit, nun seine verdiente Würdigung. Bei der filmischen Umsetzung von Rustins Geschichte – gespielt von Colman Domingo – konzentrieren sich Regisseur George C. Wolfe (Ma Rainey's Black Bottom) und die Drehbuchautoren Julian Breece und Oscar-Preisträger Dustin Lance Black (Milk), auf einen bestimmten Abschnitt seines Lebens: die Planung, Organisation und Durchführung des Marsches auf Washington für Arbeit und Freiheit im Jahre 1963.

Kämpfer, Organisator, Visionär

Der Film beschreibt, wie Bayard Rustin Unmögliches möglich machte: Er feilte an seiner Vision, führte Menschen zusammen und bändigte Egos und politische Ansichten innerhalb der Bürgerrechtsbewegung. Rustin sammelte Spendengeld, überzeugte Neinsager, ignorierte Drohungen – und kämpfte als bekennender Homosexueller gegen Vorurteile.

Auch sein Liebesleben wird in Rustin beleuchtet. Und obwohl der Film Bayard Rustins wohl spannendstes Lebenskapitel schildert, lohnt der tiefere Blick in seine beeindruckende Geschichte. Wer war eigentlich Bayard Rustin? Hier eine kleine Einführung:

Ein Aktivist der ersten Stunde

Der Marsch auf Washington bildete den Höhepunkt von Rustins lebenslangem Einsatz für die Bürgerrechtsbewegung. Im Jahr 1912 geboren, wuchs Rustin bei Großeltern mit Quäker-Weltanschauung auf, die sich für die Bürgerrechte engagierten und regelmäßig Bürgerrechtler wie W.E.B. Du Bois und Mary McLeod Bethune in ihrem Haus in West Chester, Pennsylvania, beherbergten.

Schon als Jugendlicher begann Rustin, Proteste und Demonstrationen gegen die Rassentrennung zu organisieren. Noch vor Abschluss der High School wurde er zum ersten – aber nicht zum letzten – Mal verhaftet, weil er in einem Kino im Bereich für Weiße saß.

Colman Domingo spielt Bayard Rustin

Hauptdarsteller Domingo: „Ich stürzte mich hinein“

Im Gespräch mit Netflix schildert Colman Domingo, welch „außerordentliche Ehre“ und Herausforderung die Rolle des Rustin für ihn gewesen sei.

„Ich habe mich sehr lange darauf vorbereitet, Bayard Rustin zu spielen“, sagte Domingo. Für ihn als bekennenden Schwulen war Rustin schon seit der High School ein Held gewesen. „Sobald ich wusste, dass der Film grünes Licht bekam, stürzte ich mich hinein. Ich habe Biografien gelesen, mir Dokumentarfilme angesehen, eben alles, was ich in die Finger bekommen konnte. Ich habe studiert, wie er seine Hände benutzt hat. Wir erleben in Rustin jedes Element von Bayard Rustin, die ganze Vielfalt seiner Person. Ich habe versucht sicherzustellen, dass jeder Moment mit Ehrlichkeit gefüllt ist.“

Ein Leben zwischen Kultur und Veränderung

Rustin führte ein bemerkenswertes Leben, in dem Aktivismus und Kunst Hand in Hand gingen. Seine kraftvolle Tenorstimme verschaffte ihm ein Musikstipendium an der Wilberforce University in Ohio, von der er später wegen der Organisation eines Streiks (aus Protest gegen das schlechte Essen in der Cafeteria) verwiesen wurde.

In den späteren Jahren der Großen Depression ließ sich Rustin in New York City nieder, in einer Zeit und an einem Ort großer Begeisterung für Bürgerrechts-Aktivismus, linke Politik und Kunst, und schloss sich einer Reihe progressiver Gruppen an, etwa der Young Communist League, der Quäker-Gesellschaft und dem Congress of Racial Equality. Neben Paul Robeson stand Rustin sogar in der Broadway-Aufführung von John Henry auf der Bühne und trat im Café Society auf, dem ersten integrierten Nachtclub von New York City in Greenwich Village.

Rustin nahm mehrere Alben auf, darunter Elizabethan Songs & Negro Spirituals, bei dem er von einem Cembalo begleitet wurde.

Für Regisseur Wolfe ist dieses Album mehr als nur eine Aufnahme. „Dieses Stück Vinyl begeistert mich bis zum Äußersten“, erzählt Wolfe gegenüber Netflix, „weil es auf brillante Weise die weitreichende Sichtweise einfängt, die er von sich selbst und seinem Platz in der Welt hatte. Oder sollte ich sagen: Welten, die in freudiger Missachtung der begrenzten Sichtweise anderer Menschen darauf existierte, wer er war, wo er hingehörte und was er sich wünschen sollte. Und genau aus diesem Grund, neben unzähligen anderen, ist der schwarze Queer-Quäker Bayard Taylor Rustin für mich der ultimative Amerikaner.“

So findet sich die Menschenrechtsbewegung: Frank Harts als Jim Farmer, Glynn Turman als A Philip Randolph, Colman Domingo als Bayard Rustin, Maxwell Whittington Cooper als John Lewis, Melissa Rakiro als Yvette und CCH Pounder als Dr. Anna Hedgeman.

Bayard, ein Pionier des gewaltlosen Widerstands

In dieser Phase seines Lebens studierte Rustin die Philosophien von Freiheitskämpfern wie Mahatma Gandhi und entwickelte Strategien und Beziehungen, die die Grundlage für die Ereignisse von Rustin bildeten.

Im Jahr 1941 plante er zusammen mit dem Arbeiterführer A. Philip Randolph (gespielt von Glynn Turman) einen Marsch auf Washington, der zwar nicht stattfand, aber den Marsch von 1963 inspirierte. 1942 wurde er, wie im Film gezeigt, verprügelt und verhaftet, weil er in der zweiten Reihe eines Busses saß, der von Louisville in Kentucky nach Nashville in Tennessee fuhr. Damit leistete er Pionierarbeit für zukünftige Praktiken des gewaltlosen Widerstands sowie die gezielte Auseinandersetzung mit segregierten Einrichtungen, welche in den kommenden Jahrzehnten Früchte tragen sollten.

Im Film offenbart Rustin seinem Liebhaber Elias Taylor (Johnny Ramey), dass er als Jugendlicher seiner Großmutter erzählte, dass er Männer Frauen vorziehe, woraufhin sie ihm sagte: „Ich nehme an, das ist es, was du tun musst.“ Obwohl Elias eine auf mehreren Personen basierende Figur ist, ist diese Aussage lebensnah, denn Rustin entdeckte seine Sexualität schon als Teenager und stand stets stolz zu ihr.

Colman Domingo als Bayard Rustin und Johnny Ramey als Elias.

Verfolgt, verhasst, verhaftet

In den 1950er Jahren wurde Rustin noch mehrere Male inhaftiert, unter anderem für zwei Jahre, weil er den Militärdienst verweigerte. In einem Fall wurde er nicht als Schwarzer Aktivist, sondern als Homosexueller verfolgt: Im Jahr 1953 wurde Rustin in Kalifornien verhaftet, weil er in einem geparkten Auto mit zwei Männern Sex hatte. Er bekannte sich schließlich der „unzüchtigen Landstreicherei“ schuldig. Bürgerrechtler Adam Clayton Powell Jr. (Jeffrey Wright) erwähnt diesen Vorfall im Hinblick auf den geplanten Marsch auf Washington mehrmals.

Inmitten der antikommunistischen Perioden „Red Scare“ und „Lavender Scare“ – gezielte Hetzkampagnen, um Kommunist*innen und Mitglieder der LGBTQ-Community zu entlarven und zu verhaften – wurde Bayard Rustin wegen seiner Sexualität und seiner früheren Verbindungen zum Kommunismus verstärkt beobachtet.

Rustin wusste, dass seine Verhaftung im Jahr 1953 als Druckmittel eingesetzt werden würde, weshalb er von seinen Führungsaufgaben zurücktrat und hinter den Kulissen fungierte, um nicht von der Bewegung abzulenken. Doch selbst die Verhaftung konnte Rustins Libido nicht mildern; er war weiterhin das, was man heute als „sex-positiv“ bezeichnen würde.

Alle lernen in der Schule von der Rede von Martin Luther King Jr. ( gespielt von Aml Ameen). Doch ohne Bayard Rustin wäre es nie zu dem berühmten Marsch auf Washington gekommen.

Zerwürfnis und Schulterschluss mit Martin Luther King

In Rustin vereinen sich alle persönlichen und beruflichen Erfahrungen der Person Bayard Rustin. Obwohl er von den Machthabern der Bürgerrechtsbewegung wegen seines strategischen Scharfsinns respektiert wurde, blieb er ein Außenseiter. Gerissen genug, um mit Politikern der alten Garde wie Roy Wilkins (Chris Rock) von der NAACP zusammenzuarbeiten, allerdings zu radikal, um deren Regeln zu befolgen.

Als das rassistische System in den 1960er Jahren in den Vordergrund des nationalen Bewusstseins rückte, dachte Rustin in größeren Dimensionen. Er wusste, dass Dr. Martin Luther King Jr.s Charisma und Berühmtheit große Aufmerksamkeit erregen konnte. Darum schlug er den Marsch am Rande des Demokratischen Parteitags 1960 vor.

Dieser Plan wurde durch den Druck des Abgeordneten Powell erschwert, der drohte, die Lüge zu verbreiten, Rustin und King seien ein Liebespaar gewesen. Obwohl die Ereignisse rund um King seine Gefühle enorm verletzten, versöhnte sich Rustin schließlich mit King –  der Rest ist Geschichte. Die beiden blieben bis zu Kings Ermordung im Jahr 1968 enge Freunde.

Bayard Rustin ist aus der Menschenrechtsbewegung nicht wegzudenken, er kämpfte bis an sein Lebensende um Gerechtigkeit.

Späte Anerkennung für einen Aktivisten der ersten Stunde

Rustin marschierte und demonstrierte bis zu seinem Tod im Jahr 1987 engagiert weiter. Im Jahr 2013 verlieh ihm der damalige US-Präsident Barack Obama posthum die Freiheitsmedaille. 2020 begnadigte der kalifornische Gouverneur Gavin Newsom Rustin für seine Verurteilung in Kalifornien. Und jetzt, mit einem Film zu seinen Ehren, könnte Bayard Rustin endlich in die Reihe der bekannten Bürgerrechtsanführer*innen aufgenommen werden.

„Er ist, was jeder Amerikaner anstreben sollte“, sagt Regisseur George C. Wolfe. „Ich bin dankbar und für immer voller Ehrfurcht vor allem, was er erreicht hat, und zutiefst stolz, wie alle, die an der Entstehung von Rustin mitgearbeitet haben, seine bemerkenswerte Geschichte mit der Welt teilen zu dürfen.“

2023 jährt sich der Marsch auf Washington zum sechzigsten Mal. New Yorks Bürgermeister Eric Adams rief kürzlich den 3. November zum offiziellen Bayard-Rustin-Tag aus.

Malcolm Venable, TUDUM

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