„Das kann nicht wahr sein!“ – Enzo Vogrincic über Die Schneegesellschaft

Der Schauspieler startet nach seiner Rolle in Juan Antonio Bayonas Oscar-nominiertem Survival-Film Die Schneegesellschaft groß durch. Im Interview erzählt er, wie ihn die Arbeit an dem Film als Mensch verändert hat.

Vor ein paar Monaten hatte Enzo Vogrincic nur einige wenige TV-, Film- und Bühnenauftritte vorzuweisen. Jetzt ist er weit oben auf der Liste der begehrten Newcomer. Der uruguayische Schauspieler wurde fast über Nacht zu einer Online-Sensation, dank seiner hervorragenden Leistung in Die Schneegesellschaft. In dem zweifach Oscar-nominierten Film von Regisseur J.A. Bayona spielt er Numa Turcatti, den Überlebenden einer Katastrophe.

Enzo wurde 1993 in Montevideo geboren und kommt ursprünglich aus dem Theaterbereich. Für Die Schneegesellschaft sind er und seine Schauspielerkollegen mehr als ein Jahr lang in das wahre Ereignis von 1972 eingetaucht, das als „Wunder der Anden“ bezeichnet wird. Als ein Flugzeug mit 45 Passagieren und Besatzungsmitgliedern an Bord in einem abgelegenen Teil der Bergkette abstürzte, saßen sie 72 Tage lang fest. Als sie entdeckt wurden, gab es nur noch 16 Überlebende. Hier erzählt Vogrincic, wie intensiv die Arbeit an seinem ersten Film war – eine Erfahrung, die ihn als Schauspieler und als Mensch verändert hat.

Die Schneegesellschaft ist deine erste große Filmproduktion. Wie war es, mit einem Projekt in dieser Größenordnung anzufangen? 

Vor zwei Jahren habe ich mit meinen Freunden Theater gespielt. Die TV-Produktionsindustrie Uruguays ist winzig; sie existiert nicht in diesem Umfang. Für einen uruguayischen Schauspieler ist es fast undenkbar, in einer solchen Produktion mitzuwirken. Das ist ziemlich einzigartig. Manchmal haben wir in den Bergen gedreht, und wir sahen uns an und sagten: „Das kann nicht wahr sein!“ Irgendwie fühlt es sich nicht ganz real an. Es ist erstaunlich.

Du spielst den Erzähler, Numa Turcatti, aber gleichzeitig ist der Film ein Ensemblefilm. Wie würdest du deine Rolle zusammen mit den anderen Schauspielern beschreiben?

Es ist die Geschichte einer Gruppe. Obwohl die Geschichte aus der Sicht von Numa erzählt wird, ist er nur einer von 45 Menschen, die die Geschehnisse miterlebt haben. Bayona hätte sich als Regisseur genauso gut auf jemand anderen konzentrieren können, und es wäre immer noch genauso kraftvoll gewesen. Die Geschichte ist so außergewöhnlich, dass es keine Rolle spielt, auf wen die Kamera gerichtet ist.

Die Schneegesellschaft basiert auf dem gleichnamigen Buch. Welche persönliche Beziehung hattest du zu dieser Geschichte?

In Uruguay kennt man die Geschichte von klein auf. Als ich 11 oder 12 war, kam einer der Überlebenden, Gustavo Zerbino, zu einem Vortrag in unsere Schule. Die Geschichte in der dritten Person zu hören, ist eine Sache, aber ihm zuzuhören, wenn er sagt: „Als wir meine Freunde essen mussten...“ ist etwas ganz anderes. Diese Ich-Erzählung fesselt einen auf eine Weise, die die Perspektive auf alles verändert. Man fängt an, viel mehr mitzufühlen.

Die Schneegesellschaft: Enzo Vogrincic am Set.

Die Produktion hat viel Zeit in Anspruch genommen, darunter sechs Monate Casting, zwei Monate Proben und vier Monate Dreharbeiten. Wie hat sich dieser Prozess abgespielt?

Es war wie eine Schule des Lernens. Ich habe das Buch nach dem ersten Casting gekauft und war darauf fixiert. Als wir es mit den Überlebenden wiederentdeckt haben, als wir sie kennen gelernt haben, begann die Geschichte eine breitere und tiefere Bedeutung zu bekommen. Ich wurde auf einer persönlichen Ebene involviert. Wir lernten ihre Familien und Freunde kennen – und mir wurde klar, dass es nicht nur um das geht, was ihnen widerfahren ist, sondern auch um ihre Angehörigen. Ich habe das Gefühl, dass ich spirituell gewachsen bin.

Was genau habt ihr bei den Proben gemacht? Wie habt ihr euch dabei auf die Rollen vorbereitet?

Wir haben jeden Tag sechs Stunden geprobt. Das erste Skript ist kaum mit dem Endresultat zu vergleichen. Wir haben erstaunliche Erfahrungen gemacht. Zum Beispiel haben wir 40-minütige holotrope Atemübungen gemacht, um veränderte Bewusstseinszustände zu erreichen. In der zweiten Sitzung ist etwas Unglaubliches mit mir passiert. Numa erschien vor mir, und ich begann mit ihm zu sprechen. Ich habe ihn gebeten, mich zu begleiten, mich zu führen, ich habe mit ihm gesprochen, und dann ist er verschwunden. Als ich zurückkam, wurde uns gesagt: „Behalte diesen Zustand bei und zeige die Figuren von dort aus.“ Ich habe angefangen, Dinge zu fühlen, die mir bei der Figur nie in den Sinn gekommen waren.

Was hat es für dich bedeutet, die echten Helden der Geschichte zu treffen?

Das Kennenlernen der Überlebenden und ihrer Familien war ein Weg, sie zu vermenschlichen. Schon bei der ersten Umarmung entdeckt man versteckte Informationen über die Figuren. Sie sind immer noch 18 oder 19 Jahre alt, sie gehen immer noch auf dieselbe Weise miteinander um. So findet man heraus, wer man sein wird, je nachdem, wie sie sich ausdrücken. Bis heute nennen sie mich immer noch Numa. Wenn sie mich umarmen, dann umarmen sie auch Numa.

Die Schneegesellschaft: Enzo Vogrincic als Numa Turcatti.

Ihr habt die Szenen in chronologischer Reihenfolge gedreht, im Schnee, unter harten Wetterbedingungen. Wie war es, dies auf so realistische und eindringliche Weise zu erleben?

Als Schauspieler muss man die ganze Zeit Dinge erfinden. Aber wenn man die physischen Elemente tatsächlich fühlt, wenn man seine Füße nicht mehr spürt und noch acht Stunden Kälte vor sich hat, wenn man weiß, dass man morgen nichts Besseres zu essen haben wird, dann wirkt sich das auf die Geschichte aus, die man erzählen muss. Dein Handeln wird natürlicher, und am Ende bist du dankbar dafür.

Bayona, der Regisseur von Die Schneegesellschaft, ist sehr sorgfältig und detailliert in seiner Arbeit. Wie war es, mit ihm zu arbeiten und seine Vision von innen zu sehen?

Bayona ist unermüdlich. Wir haben gedreht und er hat sich dann an die Arbeit gemacht und über die Szenen des nächsten Tages nachgedacht, immer mit einem neuen Vorschlag. Als Regisseur ist er sehr nah an den Schauspielern dran, und das ist sehr wichtig. So konnten wir viel improvisieren. Wenn man erschöpft war, hat er noch ein bisschen weitergemacht. Man fühlte sich nie allein mit ihm. Er hat uns nie im Stich gelassen.

Du hast das Essen erwähnt. Wie schwierig war es, eine strenge Diät einzuhalten, um das Gewicht der Figur zu halten?

Man kann sich nicht an das Gefühl gewöhnen, den ganzen Tag über Essen nachzudenken. Ich hatte noch nie die Gelegenheit, wirklich mit meinem Körper zu interagieren, und das gibt der Schauspielerei eine ganz neue Dimension. Es stärkt deine Disziplin und dein Engagement als Schauspieler. Ich würde es wieder tun. Wenn man schauspielert, versteht man, warum man es tut. Das bringt den Beruf auf eine tiefere Ebene.

Die Schneegesellschaft: Enzo Vogrincic und andere Darsteller.

Bist du jemals an deine Grenzen gestoßen, und was hast du dann getan?

Als mir das passiert ist, bin ich ins Fitnessstudio gegangen, um 40 Minuten zu laufen. Dadurch konnte ich verstehen, dass man immer noch ein bisschen mehr Energie hat. Ich habe nachts an die Türen meiner Kollegen geklopft, und einige von ihnen haben mich begleitet. Aber natürlich ist jeder Mensch anders. Andere wurden dann schlecht gelaunt und frustriert. Man kämpft immer mit sich selbst.

Ihr habt euch offensichtlich gegenseitig unterstützt. Habt ihr eine Gemeinschaft gebildet, wie sie auf dem Bildschirm zu sehen ist?

Es war wunderschön. Während der Probenmonate sind wir alle zusammen durch Barcelona gelaufen. Wir waren 25 Leute; wir haben uns jeden Tag gesehen und im selben Hotel gewohnt. Wir sind wirklich Freunde geworden. Die Arbeit mit Freunden macht einen großen Unterschied. Alles, was in der Geschichte geschah, spiegelte sich in uns selbst wider. Die Freundschaft hält am Ende alles zusammen. Es war genial von Bayona, dass er uns dazu gebracht hat, vorher Freunde zu werden. Wir treffen uns auch heute noch zum Fußballspielen.

Pedro J. García, Queue

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