Red Rose – Der Geheimtipp für alle, die Sex Education geliebt haben

In der britischen Miniserie Red Rose spielt eine App gleichen Namens die dramaturgische Hauptrolle. Sie verführt und belohnt eine Teenagergruppe aus Bolten, einer abgerockten Arbeiterstadt im Nordwesten Englands. Aber es ist ein Deal mit dem Teufel.

Darum geht es in Red Rose

In der Eröffnungsszene kommt ein junges Mädchen nach Hause. Eine moderne Luxusvilla. Es schneit. Sie wirkt verängstigt, es ist niemand zuhause. Die Hauselektronik spielt verrückt, die Alarmanlage funktioniert nicht, Lichter flackern, die Musikanlage springt an, Chorgesänge. Auch der Fernseher geht an, das Mädchen sieht sich selbst vor dem großen Monitor. Sie hört eine Stimme, die ihren Namen ruft. Ist es ihre Mutter? Sie gerät in Panik, klettert aufs Dach und als ihre Mutter kurz darauf nach Hause kommt, muss sie mitansehen, wie ihre Tochter vom Dach stürzend auf dem Terrassenboden aufschlägt. Tot.

Dann springt das Geschehen ein halbes Jahr zurück. Die 16-jährige Rochelle (Isis Hainsworth), ihre besten Freundinnen Wren (Amelia Clarkson) und Ashley (Natalie Blair) sowie ihre Freunde Noah (Harry Redding), Anthony (Ellis Howard) und Taz (Ali Khan) feiern ihren Schulabschluss in Bolton.

Rochelle lebt in prekären Verhältnissen: Ihr Vater hat nur Gelegenheitsjobs, die Familie ist auf Unterstützung durch die Tafel angewiesen. Rochelles Mutter hat vor einiger Zeit Suizid begangen, die Teenagerin muss sich um ihre beiden jüngeren Schwestern kümmern. Eine Einladung zu einer Party stürzt Rochelle in Probleme, da sie kein Geld für die passende Festkleidung hat.

Da legt sich auf Rochelles Smartphone eine geheimnisvolle App namens Red Rose ab, die nach ihren Wünschen fragt und diese auch erfüllt. So lädt sich das Stromkontingent ihrer Familie von allein wieder auf und rechtzeitig vor der Party findet Rochelle, ganz wie Cinderella, ein wunderschönes Kleid vor der Tür.

Allerdings verlangt die App auch zunehmend Dinge von Rochelle, die diese von ihren Freund*innen entfremdet. Das gipfelt darin, dass Red Rose Rochelle dazu bringt, den Freund ihrer besten Freundin Wren zu küssen, die daraufhin am Boden zerstört ist. Und es bleibt nicht bei Eifersuchts-Ränkeschmieden – Red Rose hat den Tod im Gepäck.

Darum ist Red Rose ein echter Geheimtipp

Red Rose wurde von Entertainment One und Eleven für Netflix und BBC Three produziert. Die Produktionsfirma Eleven entwickelte zuvor bereits Sex Education für Netflix.

Kreiert wurde die Serie von den Zwillingsbrüdern Michael und Paul Clarkson, die schon die Drehbücher für das Fantasy-Drama Das Rad der Zeit und Mike Flanagans The Haunting of Bly Manor schrieben. Bolton ist die Heimatstadt der Brüder und man spürt auf Schritt und Tritt, dass die Macher sich wirklich auskennen mit der Stadt, ihrer Geschichte und der speziellen British-Northwest-Atmosphäre.

 Dabei greifen die Clarksons im Grunde zwei altbekannte Motive auf: Ein den modernen Zeiten angepasstes Märchen- und Doktor-Faust-Thema vom Pakt mit dem Teufel (oder einer anderen verführerischen dunklen Macht). Und eine urbane Legende – welche hier die Geschichte von einer sich selbst downloadenden Smartphone-App ist, die so gut wie alles über ihre Benutzer*innen und deren Wünsche und Sehnsüchte weiß.

 Urbane Legenden sind Geschichten, die schon jeder einmal irgendwo gehört und weitererzählt hat. Etwa die von den abgetrennten Fingern in der Autotür: Nachts sieht eine Frau aus dem Auto ein Fahrrad auf der Landstraße. Sie steigt aus, schaut sich um, findet aber keinen anderen Menschen. Ihr wird unheimlich, sie steigt wieder ein und fährt weiter. Zuhause entdeckt sie mit Schrecken drei Finger, die sie offenbar beim Zuschlagen der Tür jemandem abgetrennt hat, der sie um ein Haar gekillt hätte.

„Je gruseliger die Geschichte ist, desto schneller und weiter verbreitet sie sich“, sagt Bernd Harder, Wissenschaftsjournalist und Autor von „Das Lexikon der Großstadtmythen“. Red Rose arbeitet äußerst geschickt mit diesem Phänomen. Und im Internet-Zeitalter natürlich mit Lichtgeschwindigkeit.

Rochelle (Isis Hainsworth) werden viele Wünsche von der App Red Rose erfüllt. Aber sie muss einen hohen Preis dafür zahlen.

Neben dem aktuellen und brisanten Thema, wie sehr wir alle durch Internet, Algorithmen, Apps und KI gesteuert und beeinflusst werden, ist Red Rose deshalb so gelungen, weil es den Machern wie schon bei Sex Education gelungen ist, eine äußerst authentische Teenager-Community zu casten.

 Das fängt damit an, dass die Protagonist*innen „ganz normal“ und nicht wie Models aussehen (wir sagen nur: Riverdale). Es geht weiter über die Dialoge, die sehr Gen-Z sind, ohne in peinlichen Jugendjargon zu verfallen. Und es rundet sich ab durch die präzise Darstellung von Land und Leuten mit all ihren Eigenarten im Nordwesten von England, der schon immer als etwas spinnert und „spooky“ galt – den manche als zurückgeblieben empfinden, die Einheimischen nennen es lieber: Stolz.

Red Rose ist also nur auf den ersten Blick eine reine Mystery-Horror-Serie. Vielmehr ist sie ein soziales Teenager-Sittengemälde, bei dem die Eigenarten des englischen Nordwestens ebenso wie die proletarische Vergangenheit und Gegenwart der Menschen eine gewichtige Rolle spielen.

Die Autoren Michael und Paul Clarkson haben intensiv in ihrer alten Heimatstadt recherchiert: „Wir sind in unsere alte Sekundarschule gegangen und haben mit den Teenagern viele Gruppendiskussionen gehabt, um herauszufinden, wie ihr Leben aussieht“, sagt Michael im Gespräch mit dem Lifestyle-Online-Magazin dazeddigital. Und natürlich dreht sich viel um soziale Medien. Die Clarksons glauben, dass soziale Medien drei grundlegende Bedürfnisse befriedigen: Zuwendung, Aufmerksamkeit und den Wunsch, gesehen und gehört zu werden.

„Die jungen Menschen verbinden sich emotional mit dem, was sie online erschaffen“, sagt Paul. „Das digitale Selbst, das wir in den sozialen Medien erschaffen, ist ein Teil von uns – aber kaum jemand weiß, wie es kodiert ist, wohin es übertragen wird – an wen gehen diese ganzen Daten?“

Auch der Zeitpunkt, an dem Red Rose einsetzt – der Schulabschluss der Teenagergruppe – ist nicht zufällig gewählt. „Dieser School-is-out forever-Moment nach dem Sommer, ist eine so formbare Phase, in der alles passieren kann und die einen prägt“, sagt Paul Clarkson. Für die Clarkson-Zwillinge ist es genau diese Formbarkeit, die Teenager am anfälligsten für die App macht:„Red Rose nutzt die Scham aus, denn wenn man die Scham von jemandem kontrollieren kann, kann man ihn auch kontrollieren.“

Wren (Amelia Clarkson), Ashley (Natalie Blair) sowie ihre Freunde Noah (Harry Redding), Anthony (Ellis Howard) und Taz (Ali Khan) sind fasziniert von der App Red Rose

Der soziale Background in einer Stadt wie Bolton, in der in manchen Stadtteilen fast die Hälfte der Kinder in Armut lebt, wird besonders durch die Rolle Rochelle gespiegelt. Ihr Kampf um eine Zukunft und ihr Überleben fühlt sich real an. Rochelle ist die erste, aber nicht die letzte, die von Red Rose verführt wird – weil sie kaum eine andere Wahl hat.

Paul Clarkson erklärt, dass eine sterbende Industriestadt wie Bolton „eine unheimliche Stille ausstrahlt“. Das Drehbuch und die Figuren sind vom unbeugsamen Geist des Nordens durchdrungen. „In Bolton werden viele Menschen schnell erwachsen. Es ist die Geschichte aller ehemaligen Industriestädte, die ihr schlagendes wirtschaftliches Herz verloren haben“, sagt Paul Clarkson. Sein Bruder ergänzt:

„Wir freuen uns darauf, dass die Arbeiterklasse im ganzen Land dies sieht – denn, wenn wir Teenager wären, die Red Rose sehen, würden wir uns gesehen und gehört fühlen.“

Netflixwoche Redaktion

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