Tessa Ganserer über Disclosure: „Beim ersten Mal konnte ich die Dokumentation gar nicht zu Ende schauen“

In unserer neuen Rubrik „Promi-Tipp“ sprechen Prominente über Filme und Serien auf Netflix, die mit ihrer Profession zu tun haben. Heute spricht die Grünen-Politikerin und erste transgeschlechtliche Bundestagsabgeordnete Tessa Ganserer über Disclosure. Sie erklärt, warum auch Filme etwas mit Politik zu tun haben und warum die Doku über trans Personen in Hollywood sie aufgewühlt hat, aber ihr gleichzeitig Hoffnung macht.

Von Tessa Ganserer

Ich habe Diclosure - Hollywoods Bild von Transgender erst nach meinem Coming-out angesehen. Beim ersten Mal konnte ich die Dokumentation gar nicht zu Ende schauen, weil sie mich so tief bewegt hat.

In Disclosure sprechen transgeschlechtliche Künstler*innen und Medienschaffende wie die Schauspielerin Laverne Cox darüber, wie trans Personen in Hollywood-Filmen dargestellt werden. Sie machen dabei unmissverständlich klar, welche Auswirkungen die stereotypen und diskriminierenden Darstellungen auf ihre eigene Entwicklung hatte.

Ich habe mich in vielem schmerzlich wiedererkannt und mir ist dabei bewusst geworden, dass ich die Transfeindlichkeit, die in unserer Gesellschaft herrscht, selbst verinnerlicht habe. Die hat es mir lange erschwert, mich so zu akzeptieren, wie ich bin.

Dieser Satz aus Disclosure ist mir besonders in Erinnerung geblieben:

„Je mehr wir gesehen werden, desto mehr sind wir Übergriffen ausgesetzt.“

Tiq Milan spricht über das Paradox der Sichtbarkeit.

In der Filmgeschichte tauchen immer wieder dieselben verzerrten Rollenbilder von trans Personen auf: Vermeintliche Männer in Frauenkleidung, die das Publikum belustigen sollen. Ein anderes Stereotyp ist die trans Frau als tragische Sexarbeiterin. Das wohl fürchterlichste Narrativ, das schon in der Hitchcock-Ära sehr beliebt war, zeigt die trans Person als Psychopath*in oder psychisch krank.

Solche Stereotype sind gefährlich. Sie schüren Angst und Ressentiments. Wenn ich gefragt werde, was Disclosure mit Politik zu tun hat, dann habe ich darauf eine klare Antwort: Man muss sich die realen Auswirkungen solcher Stereotype bewusst machen.

In Disclosure sprechen transgeschlechtliche Künstler*innen und Medienschaffende wie die Schauspielerin Laverne Cox.

Trans Personen sind extrem häufig Opfer von Hassverbrechen. In den USA werden jährlich hunderte transgeschlechtliche Menschen ermordet. Auch hier in Deutschland gibt es solche Verbrechen: Im September 2022 verstarb ein trans Mann in Münster nach einer brutalen Attacke. Und das ist nur die Spitze des Eisbergs. Trans Personen erleben in Deutschland ständig Diskriminierung, zum Beispiel im Beruf und auf dem Wohnungsmarkt.

Transgeschlechtlichkeit gibt es schon immer in der Geschichte der Menschheit, aber die längste Zeit wurden trans Personen pathologisiert und ihrer Rechte beraubt. Auch heute gibt es viel zu wenig Aufklärung, was trans sein wirklich ist. Es ist die Aufgabe der Politik, Haltung zu zeigen, Akzeptanz vorzuleben – aber auch einzufordern.

Das hat mich inspiriert:

Ein Mandat ist eine Berufung. Zu sehen, wie die Menschen in Disclosure für uns eintreten und beherzt das Wort ergreifen, bestätigt mich in meiner politischen Arbeit.

Daran muss die ganze Gesellschaft mitarbeiten: Die Kirche, Vereine und eben auch Film und Fernsehen. Was das Thema Diversity anbelangt, sind deutsche Filmproduktionen noch ziemlich hinterher. Das geht über trans Personen hinaus: Wenn Frauen ab einem bestimmten Alter nur noch die Omi spielen können und Migrant*innen oder People of Color immer dem gleichen Stereotyp entsprechen, dann sind wir noch ziemlich weit davon entfernt, die Gesellschaft richtig abzubilden.

Wir haben noch viel Arbeit vor uns. Aber Disclosure gibt mir auch Hoffnung. Endlich, dachte ich beim Schauen, wird mal nicht über uns gesprochen, sondern transgeschlechtliche Menschen kommen selbst zu Wort. In der Doku sind sie laut und sichtbar.

Ich bin felsenfest überzeugt, dass Dokumentationen und Filme wie Disclosure dazu beitragen, verletzenden Rollenbildern in den Medien entgegenzuwirken. Man muss nicht trans sein, um zu erkennen, dass diese Darstellungen einseitig sind. Es reicht, wenn man trans Personen zuhört. Disclosure leistet dazu einen unschätzbaren Beitrag.

Zur Person

Tessa Ganserer ist Abgeordnete der Grünen im Bundestag. Zu ihren politischen Schwerpunkten gehören Umwelt- und Naturschutz und die Gesundheit queerer Menschen. Ganserer setzt sich als stellvertretendes Mitglied im Gesundheitsausschuss unter anderem für ein Selbstbestimmungsgesetz ein, nach dem trans Personen und nicht binäre Menschen ihren Geschlechtseintrag selbstbestimmt bei Behörden ändern können. 2021 wurden Ganserer und die Grünenpolitikerin Nyke Slawik als die ersten beiden trans Frauen in der deutschen Geschichte in den Bundestag gewählt.

Tessa Ganserer

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