David Fincher: „Ich wäre gerne ein Profi“

Der Killer ist der neue Thriller von David Fincher auf Netflix. Am Set haben er und seine Crew erzählt, wie viel der Regisseur mit dem Hauptcharakter gemein hat und was Perfektion für ihn bedeutet.

Der Killer handelt von einem anspruchsvollen Profi, dessen akribische Methoden und distanziert-ironische Weltanschauung durch eine widerspenstige Realität gestört werden. Das mag ein Hinweis darauf sein, warum David Fincher den Film umsetzen wollte. Der Fight Club-Regisseur strebte schon immer nach mehr. Und in Michael Fassbender hat er einen ebenso ehrgeizigen Hauptdarsteller gefunden.

Fassbender, bekannt aus 12 Years a Slave und Steve Jobs, verließ für ein paar Jahre die Leinwand, um als Profi-Rennfahrer bei der Langstrecken-Rennserie European Le Mans mitzumachen. Diese Mischung aus Gefahr und Präzision ist für die Rolle der Titelfigur in Der Killer geeignet: Ein namenloses Attentäter, der nach Perfektion strebt.

„Ich muss mein eigener Richter sein“

Ob und wie man „Perfektion“ auf der Leinwand definieren kann, werden Zuschauer*innen beim Sehen herausfinden. Am Set sieht es so aus, als würde sich Fincher mit nichts Geringerem zufriedengeben. Obwohl er das bestreiten würde, weiß er, dass seine Definitionen von denen anderer abweichen können.

Michael Fassbender spielt in der Der Killer einen Auftragsmörder.

„Meine Vorstellung von Professionalität ist, dass man rund um die Uhr daran arbeitet, seine Versprechen einzulösen“, sagt er und fährt mit einem selbstbewussten Lächeln fort. „Nicht viele Menschen denken so. Manche Leute sagen: ‚Du gibst in 40 Stunden pro Woche dein Bestes und lässt die Würfel fallen, wo sie wollen.‘“

Wenn man mit Fassbender über den Dreh spricht, ist das Setzen eigener Maßstäbe immer wieder ein Thema. In New Orleans, im Februar 2022, zwischen den Aufnahmen für seinen Kampf mit The Brute (gespielt von Sala Baker), erinnert er sich, wie damals an der Schauspielschule alle voller Angst und Unsicherheiten waren, wenn sie nach einer Aufführung ein kritisches Urteil der Lehrer*innen hörten. Fassbender entschied: „Ich muss mein eigener Richter sein.“

Der Killer wartet im Coworking-Büro

Sein eigener Richter sein: Diesen Anspruch hat auch der Attentäter aus The Killer an sich. Wir hören seine Gedanken, während er diejenigen jagt, von denen er glaubt, dass sie ihn bedrohen.

Der Film beginnt in Paris, wo die Titelfigur in einem leeren Coworking-Büro darauf wartet, dass sein Ziel auf einem ruhigen Stadtplatz erscheint. Wir folgen seiner akribischen, hypnotisierenden Routine des Schlafens und Vorbereitens, während er im Voice-Over seine Sicht auf die Welt darlegt: „Bleib bei deinem Plan. Antizipieren, nicht improvisieren. Traue niemandem. Verschaffe dir niemals einen Vorteil. Kämpfe nur den Kampf, für den du bezahlt wirst …“

Die Szene untersucht die Kluft zwischen dem, was sich die Menschen selbst erzählen, und ihrem tatsächlichen Verhalten. Dieser Widerspruch war einer der Gründe, warum Fincher sich für den Stoff interessierte. Zum ersten Mal las er die von Alexis Nolent geschriebene Graphic-Novel-Serie in den Neunzigern.

„Ich liebe die Idee eines Codes, der unter Attentätern gilt“, sagt Fincher. „Aber was mich als Geschichtenerzähler überzeugt hat, war die Subjektivität: Du bist im Kopf dieses Kerls.“ In den Comics gibt es fast keine Dialoge, nur den inneren Monolog des Killers.

Der Killer war eine Idee, die Fincher lange mit Andrew Kevin Walker besprochen hatte. Walker ist der Drehbuchautor von Sieben (1995) – dem Serienkiller-Thriller, der Fincher der Welt als Filmemacher vorstellte. Walker schrieb, ohne in den Credits genannt zu werden, auch an den Fincher-Filme The Game (1997) und Fight Club (1999) mit. Die beiden blieben Freunde, sprachen oft über Ideen, die sie gerne in Filmen erkunden würden. Darunter war die Vorstellung eines Voice-Overs, der im Gegensatz zum Verhalten steht – einer Figur, die sich im Wesentlichen selbst belügt. „Wenn man in ihre Gedanken eintaucht“, sagt Fincher, „wie bringt man dann das, was man sieht, mit dem in Einklang, was man hört?“

„James Bond auf dem Weg zum Baumarkt“

Das Gewissen und die Art, wie wir uns rechtfertigen, sind Themen in Finchers Werken – in Sieben aber auch in The Social Network (2010). Zugleich hat er ein beständiges Interesse an Prozessen. Das zeigt sich in Zodiac (2007), wo ein Amateurdetektiv und ein professioneller Detektiv die Beweise eines schwer fassbaren Serienmörders sichten. Oder in Verblendung (2011), in dem unwahrscheinliche Held*innen ein Jahrzehnte altes Rätsel lösen.

Fischerhut und Turnschuhe – der Killer weiß sich zu kleiden.

Für Der Killer war Fincher wichtig, die Hauptfigur zu entmystifizieren. Die normalerweise glamouröse Figur eines professionellen Attentäters fügt er in eine prosaische Realität. Der Attentäter sollte unscheinbar sein, nicht cool. Oder wie Fincher es ausdrückt: „James Bond auf dem Weg zum Baumarkt“.

In den Graphic Novels sieht der Killer anders aus, inspiriert  von Der eiskalte Engel, dem 60er-Jahre-Attentäter-Krimi mit Alain Delon in Filzhut und Trenchcoat. Fassbenders Figur dagegen kauft online oder in Verbrauchermärkten ein und kleidet sich wie ein Tourist. Er ist wohl der am wenigsten modische fiktive Attentäter der Geschichte: Fischerhut, Trainingsanzüge, Turnschuhe. Dieser Killer kauft bequeme Kleidung in Flughäfen-Shops, um besser unterzutauchen und anonym zu bleiben.

Fassbender musste sich auf Fincher einlassen

Als Fincher Fassbender 2009 in unterschiedlichen Rollen sieht – in Andrea Arnolds Fish Tank und Quentin Tarantinos Inglourious Basterds – nimmt er ihn im Visier:. „Zwei äußerst fesselnde Darbietungen, zwei Figuren, die nichts gemeinsam haben“, sagt Fincher.

Fassbender hatte seit seinem Auftritt in X-Men: Dark Phoenix (2019) aber nicht mehr gespielt – seine Familie und seine Rennkarriere standen im Fokus. Wer den Dreharbeiten zu Der Killer beiwohnt, erkennt, wie viel körperliche Präzision und Geduld erforderlich sind, um die Figur zu spielen. Und Fincher ist sehr genau, wenn es darum geht, was er in jeder Szene und jedem Take verlangt.

Fassbender glaubt, dass er sich zu Beginn seiner Karriere möglicherweise nicht auf diese Methode eingelassen hätte. „Als ich jünger war, wäre ich vielleicht frustriert gewesen und hätte nicht die Fähigkeit gehabt, einfach ruhig einen Schritt zurückzutreten, noch einmal anzufangen und weiterzumachen“, sagt er.

Perfektionistisch wie ein Killer?

Fincher ist es leid, über die hohe Anzahl seiner Takes zu sprechen, als ob das seine Masche wäre. Wenn man ihm und dem langjährigen Cutter Kirk Baxter zuhört, erscheinen die Zahlen vernünftig. Wünschenswert – für die logische und emotionale Kontinuität sowie die visuelle Kohärenz. Aber da Fincher einen Film über einen sardonischen, prozessorientierten, akribischen Profi dreht, der den Wert von Wiederholung, Wiederholung, Wiederholung erkennt, ist es nicht schwer, eine Schlussfolgerung zu ziehen.

„Man kann Parallelen ziehen“, gibt Baxter zu. „Hier ist die Geschichte eines anspruchsvollen Attentäters, ausgeführt von einem anspruchsvollen Mann.“

Der Killer ist ein Perfektionist. Er kämpft aber nur den Kampf, für den er bezahlt wird.

Baxter ist klar, dass Fincher nicht alle Merkmale eines mörderischen Hauptdarstellers aufweist, „aber er verfügt auf jeden Fall über den Fleiß.“ Der Kameramann Erik Messerschmidt, der für seine Arbeit an Finchers Drama Mank (2020 ) den Oscar für die beste Kamera gewann, stimmt zu. „Ich würde es nie als Perfektion bezeichnen, denn ich glaube nicht, dass es das ist, was er anstrebt – aber er weiß, wonach er sucht.“

Fincher: „Ich weiß nicht, wie Menschen so leben können“

Fincher redet nicht gerne über die Themen, die seiner Arbeit zugrunde liegen, aber eines weiß er: „Ich bin kein Perfektionist, weil zu viele meiner Projekte meine Hände unvollendet verlassen.“ Er macht eine Pause. „Ich weiß letztendlich auch nicht, was das bedeutet.“

Perfektion ist eine Illusion, scheint er zu sagen, denn wenn sie überhaupt definiert werden kann, dann nur vom Publikum. „Wenn Sie erst einmal entschieden haben, dass es Ihnen wichtig ist, wie sich Ihre Arbeit auf andere Menschen auswirkt, werden Sie diesen Anspruch nie mehr verlieren“, fügt Fincher hinzu. „So bequem es für mich auch wäre zu sagen: ‚Ok, ich habe meinen Film veröffentlicht und alle schienen ziemlich zufrieden zu sein.‘ – Ich weiß nicht, wie Menschen mit so einer Einstellung leben können.“

Welche anderen Eigenschaften Fincher auch mit den Protagonist*innen seiner Filme teilen mag, Selbsttäuschung gehört nicht dazu. Er kann nicht einfach den Job machen, das Geld nehmen und weitermachen. Ihn beschäftigt, ob das Ergebnis ihm gefällt oder nicht. „Es wäre schön, sich einen Dreck darum zu scheren“, sagt er und lacht. „Ich wäre gerne ein Profi.“

Von Nev Pierce, Queue

Drücke ESC, um die Suche zu schließen.