Für den ultimativen Kick: Das sind die zehn besten Thriller auf Netflix

Schon Friedrich Nietzsche wusste: Wenn man lang genug in den Abgrund schaut, dann schaut irgendwann der Abgrund zurück. Und wir lieben es, nach Feierabend in die Abgründe der menschlichen Seele zu schauen, bis wir uns darin selbst erkennen und uns ein wohliger Schauer überkommt. Weil wir dann sehen: Wir sind nicht allein, und kein Gedanke ist so pervers und unheimlich, dass ihn Drehbuchautor*innen nicht schon in einen Plot eingewoben hätten.

Welcher der 300 Thriller in der Netflix-Mediathek bietet die tiefsten, die Alltagssorgen herrlich verkleinernden Abgründe? Hier sind zehn Thriller, bei denen sich Friedrich Nietzsche vor lauter Spannung einmal quer über seine Denker-Couch rollen würde.

Beckett (2021)

April (Alicia Vikander) und Beckett (John David Washington) sind ein US-amerikanisches Paar im Griechenland-Urlaub. Sie schauen sich Ausgrabungsstätten an und sind sichtlich verliebt. Doch schon nach ein paar Filmminuten bricht das Idyll zusammen: Beckett schläft bei einer nächtlichen Autofahrt eine Sekunde lang ein, das Auto überschlägt sich einen Hügel hinab und kracht in ein einsam in der Landschaft stehendes Haus. Für eine Sekunde meint Beckett, durch die zerbrochene Windschutzscheibe einen verängstigten Jungen und eine hektisch gestikulierende Frau zu sehen. Dann krabbelt er aus dem Wrack – und findet Aprils leblosen Körper.

Ein paar Tage später besucht Beckett als eine Art Konfrontationstherapie die Unfallstelle. Doch plötzlich wird auf ihn geschossen. Beckett wird zum Gejagten. Er muss quer durch das fremde Land vor mysteriösen Verfolgern fliehen, sein Überleben wird mit jeder atemberaubenden Von-der-Klippe- oder Vom-Hausdach-Spring-Szene unwahrscheinlicher. Irgendwann wird klar: Nichts war ein Zufall – auch nicht der Unfall und der Tod seiner Freundin. Ein Normalo wird in Beckett zum Helden wider Willen – ein archetypischer Plot in nahezu perfekter Umsetzung, Spannung pur. Die armen Fingernägel!

Reptile (2023)

Der abgebrühte Detective Tom Nichols (Benicio Del Toro) wird in Reptile in eine Mordermittlung verwickelt: Eine junge Immobilienmaklerin wurde tot in einem ihrer Häuser aufgefunden. Für Nichols hat der Fall eine besondere Bedeutung – die Frau namens Summer war einige Jahre zuvor seine Partnerin.

Der Freund der jungen Frau, Will Grady (Justin Timberlake), der das Immobilienimperium seiner Familie leitet, ist von ihrem Tod völlig am Boden zerstört. Doch irgendetwas stimmt nicht – und Nichols' Ermittlungen in diesem Fall führen ihn in ein Netz der Korruption. Schon bald verweigern die Nachbarn die Zusammenarbeit, die Gradys wollen nicht mit ihm reden und selbst die Kolleg*innen bei der Polizei zögern, den Fall voranzutreiben. Denn hinter all dem scheint sich eine große und dunkle Verschwörung zu verbergen.

Der Schacht (2019)

In Der Schacht geht es um ein sehr gruseliges Buffet. Eines Tages wacht Goreng (Iván Massagué) in einem vertikalen Selbstverwaltungszentrum auf, das umgangssprachlich als „Der Schacht“ bekannt ist – im Grunde ein riesiger Turm mit vielen, vielen Stockwerken. Auf jeder Ebene sitzen zwei einander Unbekannte fest. Gorengs Zellengenosse Trimagasi (Zorion Eguileor) erklärt ihm, dass das Essen für die Bewohner des Schachts über eine Plattform von der obersten bis zur untersten Etage geliefert wird. Dabei wird auf jeder Etage für wenige Minuten angehalten. Der Haken an der Sache: Die Menschen in den unteren Etagen können nur das essen, was die Bewohner der oberen Etagen übrig lassen. Jeden Monat werden die Menschen nach dem Zufallsprinzip einer neuen Etage zugeteilt.

Selbst wenn man der Kapitalismuskritik oder dem Plädoyer für eine gerechte Verteilung des Reichtums keine Beachtung schenkt, ist diese Überlebensgeschichte fesselnd. Eine Fortsetzung des Films ist bereits in Produktion.

The Devil All the Time (2020)

Eine Kleinstadt im Ohio der grau-schwarz-blutroten 1940er Jahre. Ein kaputter Ort, bevölkert von verlorenen Seelen. Da ist Arvin Russell (Tom Holland), ein junger Mann, der in einer von Korruption und Gewalt geprägten religiösen Gemeinschaft aufwächst. Er opfert den Familienhund, um das Leben seiner krebskranken Mutter zu retten – umsonst, sie stirbt. Da sind außerdem: Ein korrupter Pastor, der sich gern mal im Gottesdienst mit dicken, schwarzen Spinnen überschüttet, ein perverser Sheriff, ein sadistisches Ehepaar und andere finstere Gestalten, die sich in einer Spirale von Gewalt und Sünde, Angst und Schuld verstricken.

Alle Figuren stecken tief in moralischem Morast, sind grausam und/oder leiden Höllenqualen. Popkornkino geht anders, dieser Film ist eine Tour de Force der schonungslosen Gewalt. Nichts an The Devil All The Time ist schön. Aber alles ist brillant: Wie der Regisseur Antonio Campos die einzelnen Handlungsstränge zu einem zutiefst bitteren Ganzen verwebt, lässt einen verstört und begeistert zurück.

Stumm (2023)

Stumm erzählt die Geschichte von Sergio Ciscar (Arón Piper). Einem jungen Mann, der nach sechs Jahren aus der Haft entlassen wird, nachdem er seine Eltern als Minderjähriger ermordet hat. Während dieser Zeit hat Sergio kein einziges Wort gesagt und nicht mit der Justiz zusammengearbeitet. Ana Dussuel (Almudena Amor), eine junge Psychiaterin, beobachtet Sergio. Sie will herausfinden, wie gefährlich er ist – und was damals wirklich passiert ist.

El Camino: Ein Breaking Bad Film (2019)

El Camino fängt an, wo die Jahrhundertserie Breaking Bad aufgehört hat: Der Junkie und Dealer Jesse Pinkman (Aaron Paul) sitzt am Steuer des 1978 Chevrolet El Camino und rast ins Nirgendwo davon. Und wir rasen mit ihm. Durch zwei Hochstrom-Stunden, in denen Jesse versucht, mit seinem alten Leben Schluss zu machen. Er trifft alte Weggefährten, bekannt aus dem Breaking-Bad-Kosmos, zum Beispiel seine beiden Drogen-Kumpel Skinny Pete (Charles Baker) und Badger (Brandon Mayhew), bei denen er zunächst Zuflucht findet. Sie sind so gut zu ihm wie kaum jemand, mit dem Jesse in den letzten Jahren zu tun hatte. Aber im Grunde ist er allein. Ein Mann ohne Bezugspersonen auf seinem Camino, seinem schmerzhaften Weg zu Erlösung und Frieden.

Fremd in der Welt (2017)

Die Pflegehelferin Ruth (Melanie Lynskey) hat keinen Bock mehr auf Leute, die die Scheiße ihrer Hunde mitten auf der Straße liegen lassen. Keinen Bock mehr auf Leute, die sich in der Schlange beim Coffeeshop vordrängeln, keinen Bock mehr auf die ganz alltägliche Rücksichtslosigkeit und Scheißegalhaltung der meisten Menschen. Als sie dann glaubt, Opfer eines Einbruchs geworden zu sein, und die Polizei sich nicht wirklich darum kümmert, reicht es ihr endgültig: Mithilfe ihres halbwegs irren, aber immerhin hilfsbereiten Nachbarn Tony – der auch Hundesitter und Samuraischwert-Besitzer ist (genial: Elijah Wood) – beschließt sie, die Aufklärung des Verbrechens selbst in die Hand zu nehmen.

Im Verlauf der Handlung verwandelt sich Fremd in der Welt von einer schwarzhumorigen Gesellschaftssatire zu einem quer durch die Genres hüpfenden Anarcho-Werk irgendwo zwischen Krimi, Komödie, Horrorfilm und beinhartem Thriller. Unberechenbar bis zur unvergesslichen, blutdurchtränkten Schlussszene, der besten Selbstjustiz-Racheszene der vergangenen Jahre, dem verzweifelten, letzten Kampf um das verlorene, innere Zuhause in einer abgestumpften Welt.

Das Spiel (2017)

Das Spiel basiert auf dem gleichnamigen, fiesen Psycho-Thriller von Stephen King. Das Buch galt lange als unverfilmbar. Schließlich wagte sich der Regisseur Mike Flanagan, Schöpfer der genialen Netflix-Horrorserie Midnight Mass, an den klaustrophobischen Stoff.

Ein sexuell frustriertes Ehepaar in den mittleren Jahren fährt in ein abgeschiedenes Wochenendhaus, um der Leidenschaft eine letzte Chance zu geben. Gerald (Bruce Greenwood) nimmt ein paar Viagra und fesselt dann seine Frau Jessie (Carla Gugino) mit Handschellen ans Bett. Leider hat er ein paar Pillen zu viel erwischt und erleidet einen tödlichen Herzinfarkt. Und für Jessie beginnt die Hölle: In kompletter Abgeschiedenheit an den Bettpfosten gefesselt und mit ihrem toten Ehemann auf dem Boden beginnt ihr Überlebenskampf. Ein Hund beginnt, an Geralds Leiche zu nagen und schaut auch zunehmend hungrig zu Jessie. Und da ist noch etwas – oder jemand? Jessie, zunehmend dehydriert, meint, Gespenster zu sehen. „Du bist doch nur aus Mondschein gemacht“, ruft sie einer monströsen Kreatur zu. Wenn sie wüsste, wie falsch sie liegt.

Athena (2022)

Eine epische Straßenschlacht in einer Pariser Banlieue. Symphonisch, elegische, ungeschnittene Kamerafahrten. Drei Brüder werden in eine atemberaubende Rache-Erzählung verwickelt: Einer ist Polizist, einer ist Gangster, und der Jüngste ist der Anführer der Revolution einer Jugend, deren Zorn über die dauernde Armut und die überwältigende Perspektivlosigkeit sich in einem Einbruch auf einer Polizeistation entlädt. Sie klauen Maschinenpistolen und Panzerwerfer und verwandeln ihre Siedlung in ein uneinnehmbares Fort.

Der Regisseur Romain Gavras zeigt einen modernen Bürgerkrieg, visuell überwältigend, unerträglich spannend, mit ungeheurem Mitgefühl. Wenn alles vorbei ist, hört man das Blut in den Ohren rauschen. Athena ist ein Film wie eine Panzerfaust.

Prisoners (2013)

Regen. Zwei Mädchen, die auf der Straße spielen. Ein unheimlicher Van. So beginnt in Prisoners der moralische Grenzgang des verzweifelten Vaters Keller Dover (Hugh Jackman), der in einem nervenzerfetzenden Wettlauf gegen die Zeit versucht, seine Tochter zu retten. Die Polizei in Gestalt von Detective Loki (Jake Gyllenhaal) macht ihre Arbeit in Dovers Augen nicht schnell genug. Dover meint zu wissen, wer der Täter ist. Und beschließt, ihn so lange zu foltern, bis er verrät, wo die Mädchen sind. Als klar wird, wie alles zusammenhängt, sitzt man mit offenem Mund vor dem Fernseher, hört den leisen Ton einer Trillerpfeife und betet: Bitte, Detective Loki, hör sie!

Netflixwoche Redaktion

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