Wie Orange Is the New Black TV-Geschichte geschrieben hat

Das Wasser ist kalt, der Duschvorhang schimmelt, die anderen Insassinnen drängeln schon. Um die Füße hat sie sich Klopapier gewickelt und mit zwei Haargummis befestigt, damit sie sich keinen Fußpilz holt. So begann vor genau zehn Jahren Piper Chapmans Aufenthalt im Frauengefängnis Litchfield Penitentiary.

Am 11. Juli 2013 erschien die erste Folge von Orange Is the New Black. Eine Serie, die schon bald nach ihrem Start als „die wichtigste Show des Jahrzehnts“ (Time Magazine) gefeiert wurde, als „die erste Serie, die uns zeigte, wie Streaming-TV wirklich funktioniert“ (New York Times).

Zum zehnjährigen Jubiläum blicken wir zurück: Wie hat Orange das Fernsehen revolutioniert? Hier sind drei Gründe, warum die Serie bahnbrechend war.

1. Der Auftakt für zehn Jahre Netflix Originals

Orange Is the New Black ist nicht das allererste Netflix Original (das ist Lilyhammer); auch House of Cards erschien wenige Monate früher. Doch anders als House of Cards ist Orange ein wahres Original: Kein Remake eines bereits erfolgreichen Politdramas, sondern eine völlig neue Geschichte mit viel Freude am Experimentieren. Eine Serie, die sich immer wieder neu erfinden darf. Wie zum Beispiel in der fünften Staffel, die sich ganz auf den dreitägigen Gefängnisaufstand nach dem Tod von Poussey durch die Gewalt eines Wärters konzentriert und den Konflikt fast in Echtzeit erzählt.

Nach Pousseys (Samira Wiley) Tod eskaliert in Staffel 5 der Konflikt zwischen den Insassinnen und den Wärtern.

Vor Orange Is the New Black gab es kein Vorbild dafür, was ein Netflix-Original ausmacht. Die Serie setzte den Ton für künftige Produktionen. Und ihr Erfolg zeigte, was Netflix am besten kann: Visionen jenseits des Mainstreams verwirklichen. Visionen wie Stranger Things – eine Idee, mit der sich die Duffer-Brüder zuvor bei fünfzehn Sendern beworben hatten, ohne Erfolg. Oder wie Squid Game, eine Geschichte aus Südkorea, an die zehn Jahre lang niemand außer ihr Schöpfer Hwang Dong-Hyuk glaubte  – und die heute die weltweit erfolgreichste Netflix-Serie aller Zeiten ist.

Serien wie Stranger Things oder Squid Game waren zu riskant, teuer und ungewöhnlich für das traditionelle Fernsehen. Aber perfekt für Netflix und seine seit Orange experimentellen Originals. Heute machen diese Originals über die Hälfte der Netflix-Mediathek aus.

2. Ein diverses, von Frauen geführtes Ensemble

„Es gibt Frauen in allen Formen“, sagte Lorraine Toussaint (Vee) in einem Interview mit der New York Post. „Ich glaube, die Serie wird das Bild der Frauen in Hollywood verändern. Es gibt diesen Mythos, dass Sendungen über Frauen nicht erfolgreich sein können oder nicht so viel Geld einbringen können wie Sendungen über Männer. Diese Serie hat das alles in den Wind geschlagen.“

Schwarze Frauen, alte Frauen, junge Frauen, queere Frauen, liebevolle Frauen, garstige Frauen – in Orange Is The New Black werden all ihre Geschichten erzählt.

2013, als die Orange zum ersten Mal erschien, waren Filme und Serien noch extrem homogen besetzt. Die beliebtesten und preisgekrönten Drama-Serien aus dieser Zeit heißen Mad MenBreaking BadHomelandGame of Thrones – überwiegend Geschichten über weiße, männliche Antihelden.

Einzige Ausnahme von der Regel: Produzentin und Drehbuchautorin Shonda Rhimes. Ihre Serie Scandal war das erste Network-Drama mit einer schwarzen weiblichen Hauptrolle seit den 1970er Jahren.

Dann kam Orange Is The New Black – mit gleich einem ganzen Ensemble von grandiosen Schauspielerinnen. Mit Geschichten über Frauen aller Hautfarben, sozialen Schichten, Altersstufen, trans Frauen, Frauen mit psychischen Problemen. Und sie alle sind vielschichtige Figuren, deren Perspektiven und Geschichten gewürdigt werden.

Für manche der Darstellerinnen war Orange der Beginn einer steilen Karriere. Wie für Natasha Lyonne (Nikki), die später mit Matrjoschka ihre eigene Netflix-Serie bekam.

Der Erfolg von Orange bewies, dass auch Geschichten über diverse, weibliche Perspektiven ein Millionenpublikum erreichen. Und bereitete so den Weg für zahlreiche Serien, von How to Get Away with Murder bis zu Noch nie in meinem Leben…

3. Empathie und Aufmerksamkeit für unterdrückte Minderheiten

Am 9. Juli 2014 veröffentlicht das TIME Magazine ein Cover mit der Titelgeschichte „The Transgender Tipping Point“. Auf dem Cover zu sehen ist Laverne Cox – der erste transgeschlechtliche Mensch auf dem TIME Cover.

Cox spielt in Orange Is the New Black Sophia Burset, eine der Insassinnen, die im Gefängnis einen Friseursalon leitet. Eine Figur mit einem vielschichtigen, sympathischen Charakter und einer komplexen Hintergrundgeschichte: Sophia hat Kreditkarten gestohlen, um sich die Operation für ihre Transition zu finanzieren. Ihr Sohn, der mit ihrer Umwandlung nicht klar kommt, hat sie bei der Polizei verpfiffen.

Orange war eine der ersten Serien, die von einer so vielschichtigen, transgeschlechtlichen Figur erzählte, sie mit einer trans Frau besetzte, und ihrer Geschichte so viel Raum gab. Trans Figuren waren bis dahin oft Witzfiguren oder psychisch kranke Killer, erklärt Laverne Cox in der Netflix-Dokumentation Disclosure: Hollywoods Bild von Transgender.

Sophia (Laverne Cox) ist einer der ersten Menschen, die nett zu Piper (Taylor Schilling) sind.

Orange hat im Laufe der sieben Staffeln viele solcher Vorurteile und Probleme aufgegriffen und für Empathie geworben: Rassismus, Flucht, Homophobie, Polizeigewalt, Armut und Obdachlosigkeit waren alles Themen, die in vielen der Folgen behandelt wurden.

Am stärksten natürlich ein Thema: das Gefängnissystem der USA. Denn die USA machen weniger als fünf Prozent der Weltbevölkerung aus, aber fast ein Viertel aller Gefängnisinsassen.

Die Freundschaften zwischen den Frauen sind inspiriert von wahren Freundschaften, die Piper Kerman im Gefängnis geschlossen hat.

Orange Is the New Black basiert auf den wahren Erfahrungen von Piper Kerman. Kerman hat ein Buch mit dem gleichnamigen Titel geschrieben und darin geschildert, was sie im Gefängnis erlebt hat: Brutalität von den Wächter*innen, Ungerechtigkeiten – aber auch viel Freundschaft, Herzlichkeit und Großzügigkeit  von den gefangenen Frauen.

Die wahre Piper engagiert sich seit ihrer Freilassung für die Rechte von Inhaftierten. Wie die Piper der Serie hat sie gelernt, dass ihre Mitinsassinnen ihr gar nicht so fremd und gar nicht so angsteinflößend sind, wie sie zunächst dachte. Und mit ihr haben die Zuschauer*innen gelernt. Sie haben mit den Frauen aus Orange is the New Black gelacht, gelitten und am Ende der sieben Staffeln sicher ein anderes  Bild über Frauen hinter Gittern.

Netflixwoche Redaktion