„Bedauere ich etwas? Verdammt, ja, ich bereue so manches“, sagt Slyvester Stallone zu Beginn der Doku Sly. „Aber das ist es auch, was mich motiviert, das Bedauern zu überwinden – es wieder in Ordnung zu bringen.“
Über mehr als 50 Jahre hinweg hat Stallone Millionen von Menschen mit Blockbuster-Franchises wie Rocky, Rambo und The Expendables unterhalten. Er ist nicht nur Schauspieler und Filmemacher, sondern auch Künstler. Mit Rocky schaffte er den Durchbruch.
Allerdings ist seitdem nicht alles glatt gelaufen. In Sly spricht Stallone offen über seine Flops und Misserfolge an den Kinokassen und darüber, wie seine Herausforderungen ihn vorwärtsgetrieben haben.
„Was ist gesünder – in der Illusion zu leben und immer noch einen kleinen Hoffnungsschimmer zu haben, dass man hätte großartig sein können? Oder es zu vermasseln und ... ein Versager zu sein?“, sagt Stallone im Trailer zu Sly. „Ich denke, der einfachere Weg ist, mit der Illusion zu leben. Die Ablehnung war meine Ermutigung.“
Unter der Regie von Thom Zimny (The Gift: The Journey of Johnny Cash), mit Interviews von Zeitgenossen wie Arnold Schwarzenegger (Arnold, FUBAR) und Quentin Tarantino sowie exklusivem Zugang zu Stallone selbst, ist Sly teils Retrospektive und teils Hollywood-Nostalgie.
Darum geht es in Sly:
Die Doku zeichnet den Werdegang des inzwischen 77-jährigen Stallone nach – das Auf und Ab, die Höhen und Tiefen. Sly zeigt, wie hartnäckig er gearbeitet hat und welche Risiken er eingegangen ist, um vom Außenseiter zur Hollywood-Legende zu werden.
In Sly thematisiert Stallone seine schwierige Kindheit, die zerrüttete Beziehung zu seinem Vater, seine hart erkämpften beruflichen Anfänge und seine Misserfolge an den Kinokassen. Und das neben den monumentalen Erfolgen – und die Seltsamkeit der Berühmtheit selbst.
„Mein Vater war in Wirklichkeit Rambo“
In Sly räumt Stallone mit Mythen auf: „Ich wurde zähneknirschend geboren“, erzählt Stallone – fügt dann aber hinzu, dass dies auf eine Nervenlähmung infolge einer bei der Geburt erlittenen Verletzung zurückzuführen sei. Als er im New Yorker Stadtteil Hell's Kitchen aufgewachsen war, waren seine Eltern „ständig am Schreien und Streiten.“
„Mein Vater war in Wirklichkeit Rambo“, sagt Stallone in dem Film über den gewalttätigen Einfluss, den sein Vater auf sein Leben hatte. „Nichts wurde je verbal gelöst.“
Bevor er lernt, diese Körperlichkeit in seine Figuren zu übertragen, reagiert er auf die Gewalt zuhause anders: „Sly war ein großer Schulschwänzer, der sich immer geprügelt hatte“, erinnert sich Stallones Bruder Frank. Doch als ein Harvard-Professor im College zufällig eine Aufführung von Tod eines Handlungsreisenden mit Stallone sieht, ermutigt er ihn, eine Karriere als Schauspieler anzustreben.
Alle sahen in ihm nur die Muskeln – darum schuf er selbst seine große Rolle
Das Problem war, dass die Schauspielwelt ihn meist als „Schläger“ betrachtete. Stallone erinnert sich an Tage, an denen er auf Busbahnhöfen und in Hauseingängen geschlafen hat, um sich als Schauspieler durchzuschlagen und kleine Rollen als „Schläger“ zu bekommen.
Ein Job als Platzanweiser im Kino wurde zu seiner Ausbildung als Drehbuchautor: Der junge Stallone nimmt die Filme, die er sieht, heimlich auf Band auf, um sie später zu studieren. Ihm wird klar: Wenn er Schauspieler werden will, muss er auch Schriftsteller werden.
„Er konnte nicht bekommen, was er wollte, also schuf er es sich selbst“, sagt John G. Avildsen, der bei Rocky und Rocky V Regie geführt hat. Die beiden haben ganze Wochenenden damit verbracht, in Stallones Wohnung an Drehbüchern zu feilen. Stallone sagt zwar, dass Rocky in drei Tagen geschrieben war, aber das war nur der erste Entwurf – und dann hieß es „umschreiben und umschreiben“. Wie alle wissen, die selbst schreiben: Nach dem ersten Entwurf fängt die Arbeit erst an.
Als Stallone mit dem Star Henry Winkler in The Lords of Flatbush besetzt wird, spielt er wieder einen Schläger. Aber einen denkwürdigen. Sein improvisierter Auftritt „war unser erster Blick auf die Musikalität von Sylvester Stallones Dialogen“, erinnert sich Quentin Tarantino. Stallone nutzt diese Musikalität in Rocky Außerdem stützt er sich auch auf seine frühen Filme (vor allem Mean Streets und On the Waterfront) sowie auf seine konfliktreiche Beziehung zu seinem Vater. „Rocky hatte etwas Kriminelles an sich“, sagt er. Es wird die erste seiner Figuren, von der er hofft, dass sie Underdogs überall ansprechen wird.
„Ich betrachte jede Szene als meine letzte Szene.“
In den Kinos jubelt das Publikum und springt von den Sitzen auf, als Rocky Apollo Creed (Carl Weathers) schlägt. „Wir haben die Grenzen verwischt“, sagt Stallone in Sly.
Der überwältigende Erfolg des ersten Rocky-Films macht ihn über Nacht berühmt. Er hat ihn auch zu fünf Rocky-Fortsetzungen und weiteren Karriere-bestimmenden Rollen getrieben, insbesondere Rambo.
„Er war in meine Arena eingetreten“, erinnert sich sein heutiger Freund Schwarzenegger scherzhaft an den damaligen Konkurrenzkampf der beiden: „Wer hat mehr Muskeln?“.
Sly ist sowohl das Porträt eines Künstlers als auch die Reise eines Actionhelden – und ein Zeugnis für die hohen Ansprüche, die sein Star an sich selbst stellt.
In einer Keynote auf dem Toronto Film Festival, wo Sly vor seinem Streaming-Debüt auf Netflix seine Premiere gefeiert hat, hat Stallone junge Schauspieler*innen ermutigt, genauso hart zu sich selbst zu sein wie er selbst. Besonders wenn es um seine eigenen Projekte geht. „Ich sage: Stellt euch vor, das ist euer letzter Film. Würdet ihr so schlampig sein? Würdet ihr so lässig sein?“, sagt er. „So sehe ich das jetzt. Ich betrachte jede Szene als meine letzte Szene.“
AMANDA RICHARDS & REBECCA JOHNSON, TUDUM