„Gehen ein Zuhälter, eine Hure und ein Drogendealer in eine Bar“

Den Film They Cloned Tyrone kann man schwer in eine Box packen: Er ist Comedy, Science Fiction, Thriller, Retrodrama und sozialer Kommentar. Die Geschichte, wie der Drogendealer Fontaine eine Regierungsverschwörung aufdeckt, bezieht sich allerdings aber auch auf viele Traditionen aus dem Black Cinema und vor allem aus einer Ära: das Blaxploitation-Kino der 1970er Jahre. Hier alles zu der stürmischsten Zeit der Schwarzen Filmgeschichte. 

Seltsame Dinge passieren im Viertel The Glen. Erst wird der Drogendealer Fontaine von einem Rivalen erschossen – und wacht am nächsten Tag unverletzt auf. Dann sieht er vor dem Schnapsladen, wie ein Mann in einen Van gestoßen und entführt wird. Und dann fangen die Leute im Fastfood-Restaurant, im Friseursalon und in der Kirche an, unkontrolliert zu lachen oder geistesabwesend an die Wand zu starren. Hat das etwas mit der neuen Fried-Chicken-Rezeptur und dem Haar-Produkt „2Clean perm Cream“ zu tun?

Fontaine (John Boyega), die Sexarbeiterin Yo-Yo (Teyonah Parris) und der Zuhälter Slick Charles (Jamie Foxx) gehen dem Mysterium zusammen auf den Grund. In einem verlassenen Einfamilienhaus machen sie eine Entdeckung: ein Fahrstuhl. Slick Charles weigert sich erst, einzusteigen: „Es ist ein Aufzug! In einem Drogenhaus! Läuten da nicht deine Alarmglocken?“ Alarmglocken sind angebracht: Im geheimen Keller erwartet die drei ein hoch-technisiertes Labor. Und ein überraschter Mann im Kittel, der etwas beunruhigendes sagt: „Wir sind überall.“

They Cloned Tyrone ist ein neuer Science Fiction-Mystery-Film auf Netflix. Er spielt in einer retro-futuristischen Welt in körniger Siebziger-Ästhetik, in der es aber auch 2000er-Zeug wie Klapphandys, Blockchain und den Rapper 50 Cent gibt – und Untergrund-Labore mit Glasgefäßen und übertrieben brodelnden Flüssigkeiten wie in Science-Fiction-Filmen der 1950er Jahre.

Über They Cloned Tyrone liest man in Kritiken, er sei „Blaxploitation-inspiriert“ (New York Times), oder „eine stylische Hommage an das Blaxploitation-Genre“ (The Verge). Regisseur Juel Taylor schließt mit seinem Film an ältere Traditionen des Black Cinema an. Er arbeitet nicht nur mit einem Schwarzen Cast und erzählt die Geschichte einer Schwarzen Nachbarschaft – er verarbeitet auch Motive einer klassischen Schwarzen Filmbewegung: Blaxploitation. Dann wird auf einmal klar, dass hinter bösen Wissenschaftler:innen und Pistolen schwingenden Hood-Held*innen noch einiges mehr verborgen ist, als man zunächst denkt.

Was ist Blaxploitation?

Blaxploitation entsteht in den frühen 1970er Jahren. Die neue Filmbewegung ist ein Subgenre des Exploitation-Films. Das sind oft billig produzierte B-Movies, die Trends und Tabuthemen wie Sex und Gewalt kommerziell ausschlachten. Blaxploitation-Filme erzählen oft von Schwarzen Helden, die Widerstand gegen korrupte Weiße leisten und eigenhändig die Gerechtigkeit wiederherstellen. Blaxploitation-Filme gibt es in vielen Genres: Action und Thriller, aber auch Western, Horror und Comedy.

Die frühen Siebziger sind eine zähe Phase für die Filmindustrie. Die Kinos in den Städten verlieren Zuschauer*innen. Weiße Amerikaner*innen gehen nur noch in die Shopping Mall-Kinos in der Vorstadt. Filme, die Schwarze zeigen und an sie als Publikum gerichtet sind, gibt es damals kaum. Eine Handvoll Filme mit Sydney Portier werden Mitte der Sechziger gedreht, Begeisterung lösen die aber nicht aus.

1971 gelingt der Überraschungshit: Der Film Sweet Sweetback’s Baadasssss Song kommt in die innerstädtischen Kinos – und die Ticketverkäufe explodieren. Die Kinoschlangen sind hunderte Meter lang, die Vorstellungen jedes Mal ausverkauft.

Der Film, der alle in die Kinos zieht: Ein Low-Budget Independentfilm von einem Schwarzen Regisseur. Ein ungewöhnlicher Film, um so breiten Erfolg zu erzielen. Es geht um den Waisen Sweet Sweetback, der in einem Bordell aufgewachsen ist und mit seinem großen Penis in einer Sex-Show performt. Sweetback wird eines Mordes beschuldigt, den er nicht begangen hat. Den ganzen Film über wird er von weißen Cops und Hells Angels durch Los Angeles gejagt.

Was bedeutet Blaxploitation-Kino für Schwarze Amerikaner*innen?

Der unerwartete Erfolg von Sweetback ist ein Meilenstein. Denn danach entdeckt die Filmwirtschaft Schwarze Amerikaner*innen zum ersten Mal in der Geschichte der USA als eigenständige Zielgruppe. Studios fangen plötzlich an, eine Menge Filme zu drehen, in denen Schwarze Schauspieler*innen besetzt sind, und die aus Schwarzen Leben erzählen. Das Genre Blaxploitation ist geboren.

Während „Sweetback“ seinen Hype genießt, plant das einflussreiche Hollywood-Studio MGM schon den nächsten großen Blaxploitation-Hit: Shaft. Der Film, der das Genre für den Mainstream öffnen soll. Privatdetektiv John Shaft (Richard Roundtree) ist der absolute Action-Held: Er bekämpft in New York die Mafia und bietet rassistischen Polizisten die Stirn. Er ist stylish: Goldkette, Rollkragenpulli, Lederjacke, Schnurrbart. „Anders als der praktisch stumme Sweetback war Shaft geradeheraus“, schreibt die Los Angeles Times, „besonders zu Cops, den traditionellen Erzfeinden von privaten Ermittlern und urbanen Schwarzen.“

Worum geht es in Blaxploitation-Filmen?

Blaxploitation-Filme zeigen Sexmaschinen, Privatschnüffler, Kopfgeldjäger, Prostituierte, Vampire und Cowboys, zeigen Action-Szenen voller Schießereien und Martial Arts. Wegen der kleinen Budgets und durchgeknallten Ideen halten viele, die sich die Filme oberflächlich anschauen, Blaxploitation für ein Genre der seichten Unterhaltung. Die Konflikte in den Filmen sind allerdings stark von der Schwarzen Bürgerrechtsbewegung beeinflusst: von Black Power, von Schwarzem Nationalismus und Marxismus.

Irgendwie durchgeknallt klingt definitiv auch die Story von They Cloned Tyrone

Weiße sind in den Filmen in der Regel die Bösen. Das korrupte Establishment, dem sich die Schwarzen Helden entgegenstellen. Schwarze Zuschauer*innen konnten bis zur Blaxploitation-Ära kaum eine Schwarze Person im Fernsehen oder Kino sehen. Wenn, dann in entwürdigenden Rollen, die sich Weiße ausgedacht haben. Und auf einmal gab es mit Blaxploitation Held*innen, die Rassismus anprangern, sondern auch gegen die weißen Unterdrücker zurückschlagen. Und gewinnen.

Was wurde an Blaxploitation-Filmen kritisiert?

Zeitgenössische Schwarze Kritiker*innen loben zwar das Empowerment, das die Filme zeigen. Blaxploitationfilme werden zu ihrer Zeit aber nicht nur bejubelt. Besonders bei Gangster- und Horrorfilmen gibt es damals viel Protest. Mehrere Schwarze Bürgerrechts-Organisationen bilden sogar die „Coalition Against Blaxploitation“. Selbst manche Schauspieler*innen und Drehbuchautor*innen, die sich erst über die neuen Rollen und Aufträge freuen, distanzieren sich irgendwann von Blaxploitation-Produktionen.

Erstes Problem: Hinter vielen dieser Filme stehen weiße Produzent*innen und Studios, die alleinig von den Erfolgen profitieren. Zweites: Viele Blaxploitation-Filme wie der Klassiker Superfly erzählen die Geschichten von Zuhältern und Kriminellen, die in zwielichtigen Vierteln unterwegs sind. Kritiker*innen fürchten damals, dass solche Figuren Stereotype über Schwarze Nachbarschaften verstärken. Auch Schwarze Männer als hypersexuell und gewalttätig darzustellen, spielt in die rassistischen Vorstellung der weißen Mehrheit.

Wie geht es für das Schwarze Kino weiter nach der Blaxploitation-Ära?

Nach ein paar Jahren ist die Luft raus. Das Prinzip Blaxploitation nutzt sich ab. Statt es weiterzuentwickeln, springen die Studios auf die nächsten Trends auf. In den Neunzigern entsteht mit New Black Realism allerdings ein selbstbewusstes Schwarzes Kino mit berühmten Vertretern wie Spike Lee. Sie beziehen sich immer wieder auf die Fantasien aus dem Blaxploitationkino „und korrigieren diese Bilder zu einer düsteren Realität,“ schreibt Katharine Bausch in ihrem Essay „Superflies into Superkillers“.

In They Cloned Tyrone findet man die Felljacken, das Neonpink und den Klamauk klassischer Blaxploitation-Filme – aber auch die Düsterkeit des New Black Realism. Und auch die Motive: Eine Person in Tyrone sagt, wie in einem Witz: „A pimp, a ho, and a drug dealer walk into a bar.“ („Gehen ein Zuhälter, eine Hure und ein Drogendealer in eine Bar.“) Diese Figur ist weiß und Teil einer Regierungsverschwörung, in der Menschenexperimente an Schwarzen Communities durchgeführt werden. Auch diese Story ist in der amerikanischen Geschichte verankert: Eine Erinnerung an reale Gräuel, wie das Tuskegee-Experiment, in dem Schwarze Südstaatler ohne ihr Wissen mit Syphilis infiziert wurde, um die (meist tödlichen) Folgen der Erkrankung zu studieren. Gräuel wie dieses wurden in der Geschichte des Black Cinema immer wieder in Horror und Science Fiction verarbeitet.

Neben Klamauk bleibt genug Raum für Realismus

Blaxploitation inspiriert heute noch überall die Filmwelt: Mit Neuverfilmungen der Genre-Klassiker wie Shaft von 2019. Dolemite Is My Name erzählt die Entstehungsgeschichte des Blaxploitation-Action-Klassikers Dolemite (1975). Die Doku Is That Black Enough For You?!? begibt sich auf die Spuren des Schwarzen Kinos bis in die spektakulären Siebziger. Und es gibt liebevolle Hommagen an den Vampirfilm der Blaxploitation-Ära in Vampires vs. the Bronx oder Day Shift

Blaxploitation und seine Ästhetik waren nie weg. Bis heute haben sie großen Einfluss auf die amerikanische Popkultur: Auch Rapper, die in ihren Musikvideos mit Gehstock und Felljacke vor Cadillacs posieren, verneigen sich damit vor dem Genre.

Emeli Glaser, Netflixwoche