Ehrengard: Wie werden Prinzen in Wahrheit verkuppelt?

In der historischen Komödie Ehrengard dreht sich alles um die Kunst der Verführung. Doch wie hätte sich Herr Cazotte im echten Leben geschlagen? Wir machen den Reality-Check: Wie viel Platz für Romantik gab und gibt es wirklich in europäischen Monarchien?

Geht es um die Kunst der Verführung, galten früher wie heute für Royals und den Nicht-Adel unterschiedliche Regeln. Jemanden ohne Erlaubnis beim Nacktbaden zu malen, war jedoch schon immer mindestens ein Tabu, wenn nicht sogar illegal. Im dänischen Kostümdrama Ehrengard hält das einen Romantiker wie Herrn Cazotte in seiner Mission nicht auf. Sein Ziel? Die schöne und starke Tochter eines Offiziers zu erobern, indem er heimlich ein Porträt von ihr beim Schwimmen im Waldsee anfertigt.

Der Film basiert auf dem gleichnamigen Roman der dänischen Autorin Karen Blixen. Die Handlung spielt in einer fiktiven Version des frühen 19. Jahrhunderts.

Vom ersten Moment, als der Maler die schöne Ehrengard (gespielt von Alice Bier Zanden) am Hofe des Großherzogs von Babenhausen begegnet, ist es um Cazotte (Mikkel Boe Følsgaard) geschehen. Da kommt es ihm sehr gelegen, dass die Großherzogin (Sidse Babett Knudsen) Hilfe dabei braucht, ihren Sohn Lothar unter die Haube zu bringen. Sonst geht der Thron an den Cousin ihres Gatten.

Cazotte stimmt zu, unter einer Voraussetzung: Er will, dass Ehrengard für eines seiner Porträts Modell sitzt. Doch auch als er den Sohn des Großherzogs erfolgreich verkuppelt hat, wird ihm sein Wunsch verwehrt. Ehrengards Vater will von Kunst nichts wissen und ist strikt dagegen, dass irgendein dahergelaufener Fremder seine Tochter malt.

Doch dann stellt sich heraus, dass der neue Nachwuchs am Hofe etwas zu zeitig nach der Hochzeit zur Welt kommen soll. Es droht ein Skandal. Sollten die Babenhausener*innen herausfinden, dass Prinz Lothar schon vor seiner Ehe fleißig an der royalen Linie gearbeitet hat, war’s das mit seiner Herrschaft. Wieder wendet sich die Großherzogin an Cazotte und der heckt einen Plan aus. Und zu diesem Plan gehört natürlich auch Ehrengard. Die hat von Cazottes Verführungsabsichten (und seinem Stalking am See) nicht die leiseste Ahnung – bis er ein bisschen zu selbstbewusst wird.

Im echten Leben hätten Gouvernanten Cazotte einen Strich durch die Rechnung gemacht

Babenhausen ist ein fiktives Reich, hat jedoch einen echten royalen Bezug – die dänische Königin Margrethe II. hat am Kostümdesign von Ehrengard mitgewirkt. Und Fiktion hin oder her – auch die Regeln des Anstands dürften sich in Babenhausen nicht sehr von denen der Adelshäuser im echten Leben unterscheiden.

In Ehrengard gibt Cazotte den jungen Thronerben als seinen Lehrling aus, um ihm heimlich seiner potenziellen Gemahlin Ludmilla vorzustellen. Er überzeugt ihre Familie, ihn und seinen Gehilfen mit dem Mädchen allein zu lassen, um ihr Porträt nachzubessern. Doch im echten Dänemark wäre die 17-Jährige sehr wahrscheinlich von einer Gouvernante beaufsichtigt worden. Der junge Großherzog in spe hätte also wahrscheinlich seine künftige Angetraute nicht vor der Eheschließung verführen können. Somit gäbe es auch später nicht den Schlamassel des Geburtstermins fünf Monate nach der Hochzeit.

Vorsicht, junger Mann! Cazotte (Mikkel Boe Følsgaard) wird von Marbod (Jacob Lohmann) ermahnt.

Gehen wir aber einmal davon aus, dass das junge Paar besonders schlitzohrig vorgegangen ist. Im Film müssen die beiden für ein Jahr in die Provinz ziehen, um den wahren Zeitpunkt der Geburt geheim zu halten. Cazotte beaufsichtigt die zwei und Ehrengard begleitet sie, um der schwangeren Ludmilla Gesellschaft zu leisten. Doch Cazottes Auserwählte ist immer noch die Tochter eines wichtigen Offiziers. Auch sie hätte höchstwahrscheinlich kein Jahr im Exil verbringen können, ohne dass ihr Vater jemanden zum Aufpassen mitgeschickt hätte.

Viele Monarch*innen bestiegen unverheiratet den Thron

Vielleicht geht es in Babenhausen auch besonders liberal zu? Die Regel, dass der Thronfolger vor Amtsantritt verheiratet sein muss, spricht dagegen. In den echten europäischen Monarchien existiert dieses Gesetz nämlich nicht. Unter realistischen Umständen wäre Herr Cazottes Beratung kaum nötig gewesen, denn der junge Prinz hätte erstmal in Ruhe den Thron besteigen und sich dann eine Gattin suchen können. Wahrscheinlich wäre sie sogar für ihn ausgesucht worden.

Ein Gesetz wie in Babenhausen wäre an Königshöfen im echten Leben denkbar ungünstig, da die Thronerb*innen zum Teil sehr jung waren, als sie gekrönt wurden. Henry VI. war neun Monate alt, als er 1422 den englischen Thron bestieg. Alfonso XIII. wurde am Tag seiner Geburt im Jahr 1886 zum spanischen König. Der dänische König Christian IV. war zehn, als er seinen Vater beerbte. Demzufolge war die Ehe kein Muss für den Thron. Die englische Königin Elizabeth I. – auch bekannt als „die jungfräuliche Königin“ –  hat sogar nie geheiratet.

Für Europas Monarch*innen war die Ehe vor allem Politik

Die Liebesgeschichte zwischen Lothar und Ludmilla in Ehrengard mag herzerwärmend sein. Doch in den Monarchien Europas stand im 19. Jahrhundert weder Herr Cazottes romantische Kunst der Verführung noch das komplizierte Hofmachen à la Bridgerton auf dem Programm.

Natürlich spielten Benimmregeln eine übergeordnete Rolle und es gab gesellschaftliche Anlässe wie Bälle oder Einladungen zum Tee. Waren Paare einander versprochen, schafften sie es eventuell sogar, ein paar Minuten allein miteinander zu verbringen. Vielleicht wurden ein paar sehnsüchtige Liebesbriefe geschrieben, wie vom künftigen König George IV. an die Gouvernante seiner Familie. Doch wichtiger war, dass der Monarch oder die Monarchin ein strategisch sinnvolles Ehebündnis einging. Liebe stellte sich – bei Glück – im Nachhinein ein.

Romantik? Nein. Inzucht? Ja.

Für Königreiche waren Ehen lange vor allem ein Instrument, um den Thron zu halten, Allianzen zu schmieden und die Macht auszuweiten. Darum sind heute alle europäischen Monarchien miteinander verwandt. Nicht nur das kleine Königreich Dänemark hat dafür seine Königsgemahl*innen vor allem im Ausland gefunden. Gerade wenn der Thron in Babenhausen aus den eigenen Kreisen bedroht wird, hätte der Großherzog darum vermutlich darauf bestanden, seinen Sohn mit der Nachfahrin eines anderen europäischen Hauses zu verkuppeln.

Marbod, der Cousin des Großherzogs, hat sein Auge auf Babenhausens Thron geworfen.

Die Kehrseite der Medaille? Die Auswahl an Ehepartner*innen für König*innen in Europa war recht klein. Und auch wenn der Zusammenhang zwischen Erbkrankheiten und Inzucht bekannt war, ließen sich nicht alle Königshäuser davon abhalten, untereinander zu heiraten, um ihre Macht zu konsolidieren.

Als Paradebeispiel gilt das Geschlecht der Habsburger, das besonders hartnäckig darauf setzte, sich innerhalb der Familie zu vermehren. Ihr Wahlspruch: „Kriege führen mögen andere, du, glückliches Österreich, heirate.“  Der letzte Habsburger Thronfolger, der spanische König Karl II., war der Sohn von einem Onkel und seiner Nichte. Wahrscheinlich die Ursache für seine schweren geistigen und körperlichen Behinderungen. Er starb stark geschwächt, kaum zurechnungsfähig und da er unfruchtbar war ohne Erben kurz vor seinem 39. Geburtstag.


Bis heute können Prinzen und Prinzessinnen nicht immer heiraten, wen sie wollen

Zwar ist in Ehrengard die Ehe des Prinzen auch in Babenhausen keine Privatangelegenheit. Doch ist ein neugieriger Großvetter, der den Thron für sich beanspruchen will, nichts im Vergleich zum Schicksal der vielen jungen Prinzen und Prinzessinnen, deren Leben zum politischen Spielball ihrer Familien wurde.

Oft wurde in Königshäusern keine Zeit damit verschwendet, potenziellen Partner*innen den Hof zu machen oder sie überhaupt kennenzulernen. Die Ehe von Königin Charlotte und König George III wurde von ihrem Bruder arrangiert. Sie begegnete ihrem Mann zum ersten Mal am Tag ihrer Hochzeit – in einem Land, das sie zuvor nie betreten hatte. Von ihrer Enkelin Queen Victoria heißt es, sie habe mit den von ihr arrangierten Ehen ganz Europa maßgeblich geprägt.

Bis heute kann unter europäischen Monarch*innen nicht einfach jede*r heiraten wie er oder sie möchte. In Dänemark zum Beispiel braucht die Königin oder der König vor der Eheschließung das Einverständnis des Parlaments (Folketing), um nicht den Thron zu verlieren. Auch die Nachkomm*innen brauchen die Zustimmung der Königin oder des Königs und die des Kronrats (bestehend aus Monarch*in, Thronerb*in und Mitgliedern des Kabinetts). In Großbritannien ist es ebenfalls Pflicht, für die ersten sechs Thronerben vom König die Erlaubnis zum Heiraten einzuholen. 

Wenn es bei Hofe heutzutage noch so streng zugeht, ist es nur schwer vorstellbar, dass ein Herr Cazotte im 19. Jahrhundert im Dunstkreis eines Prinzen so schalten und walten hätte können, wie er es in Ehrengard tut. Aber die Geschichte zeigt doch sehr amüsant, was Möchtegern-Casanovas passiert, die Frauen unterschätzen. Denn Ehrengard lacht zuletzt.

Netflixwoche Redaktion

Drücke ESC, um die Suche zu schließen.