Braunschlag ist die beste Serie auf Netflix, die du nicht gesehen hast

In unserer Serie „Geheimtipp“ stellen wir in loser Folge Empfehlungen aus der Redaktion vor – Filme und Serien, die nie in den Top 10 auftauchen, es aber definitiv verdient hätten. Diesmal: Die Serie Braunschlag.

In Braunschlag gibt es eine Diskothek, aber keine Jugendlichen, die dort tanzen. Es gibt einen Marktplatz, der auch am Sonntag so leer bleibt, dass er wie eine Filmkulisse aussieht. Und es gibt eine Polizeiwache mit zwei Beamt*innen, die jeden Tag Monopoly spielen, weil fast nie jemand anruft.

Braunschlag ist ein Kaff im Waldviertel. Eine Region in Niederösterreich, die an Tschechien grenzt und vom Tourismus vergessen wurde. Ein Anti-Tirol: arm und strukturschwach.

Doch es gibt einen Mann, der Braunschlag reich machen will. Sein Name ist Gerhard Tschach. Er ist der Bürgermeister. Seine Idee: Er will aus dem Dorf einen Wallfahrtsort machen und so Millionen von Katholik*innen nach Braunschlag locken. Dafür täuscht er zusammen mit seinem besten Freund Richard Pfeisinger eine Marienerscheinung vor.

Im Wald hängen Tschach und Pfeisinger eine billige Marienstatue auf, beleuchten sie mit einem Discolicht und warten, bis der Dorfdepp vorbeikommt. Denn Tschach ist sich sicher: „Wir brauchen nur einen einzigen, der uns das glaubt.“

So beginnt Braunschlag. Eine Miniserie auf Netflix, die 2011 vom ORF produziert wurde. In Österreich war Braunschlag ein Erfolg. Doch in Deutschland ist die Serie immer noch ein Geheimtipp. Ein Versäumnis: Denn Braunschlag gehört zu den besten Serien, die jemals gedreht wurden. Nicht nur in Österreich.

Aliens, Männer in Hasenkostümen und ein Fluch

Der Autor und Regisseur von Braunschlag ist David Schalko. In Österreich ist Schalko längst ein Star und gilt als Multitalent. Er produziert nicht nur Fernsehfilme und -serien. Sondern schreibt auch Gedichte, Theaterstücke und Romane. Berühmt hat ihn sein Roman Weiße Nacht (2009) gemacht. Eine Satire über einen rechtspopulistischen Politiker, der viele Leser*innen an den FPÖ-Politiker Jörg Haider erinnert hat. Doch sein Meisterwerk ist Braunschlag.

Braunschlag: Die Mutter Gottes oder doch Außerirdische?

In der Serie vereinen sich zwei von Schalkos größten Talenten: ein brillantes Gespür für Story und absurde Komik.

So hält der Dorfdepp die Marienerscheinung zunächst für Aliens, zeigt den Vulkanier-Gruß aus Star Trek und sagt: „Willkommen auf der Erde!“ Tschach, der sich hinter einem Findling versteckt, flüstert in ein Mikrofon: „Knie dich hin. Ich komme, um dich zu erlösen.“ Der Dorfdepp denkt kurz nach: „Heißt das, ihr nehmt mich mit?“ Tschach darauf: „Ich bin gekommen, um dich und viele andere zu heilen.“ Wieder denkt der Dorfdepp nach: „Aber ich bin heil. Ich will nur fort!“

Disco-Besitzer Pfeisinger (Nicholas Ofczarek) und Bürgermeister Tschach (Robert Palfrader) in Braunschlag.

Die Nachricht von der Marienerscheinung verbreitet sich trotz Alien-Missverständnis in Braunschlag und der Vatikan schickt sogar einen Kommissar vorbei, der überprüfen soll, ob das Wunder echt ist. Sein Urteil: „Für ein Wunder braucht es ein bisschen mehr als einen Wahnsinnigen, der nicht zwischen Außerirdischen und der heiligen Maria unterscheiden kann.“ Doch den Pilger*innen ist das egal. Sie kommen trotzdem nach Braunschlag.

Nur Tschach (gespielt von Robert Palfrader) macht das nicht glücklich. Er glaubt plötzlich, dass er sich versündigt hat und ein Fluch auf Braunschlag liegt.

Und tatsächlich passieren plötzlich seltsame Dinge: Tschachs Frau verliebt sich in einen Mann im Hasenkostüm. Ein Schäferhund, der seit Jahren verschwunden ist, taucht wieder auf und zerfleischt seinen Besitzer. Im Keller einer harmlos aussehenden Rentnerin wird ein Verlies entdeckt.

Lieblose Ehen und noch lieblosere Affären

Braunschlag ist als Ensemble-Stück angelegt. Fast alle Rollen sind dabei mit dem Who-is-Who der österreichischen Schauspielszene besetzt.

Elfie Pfeisinger (Nina Proll) und Herta Tschach (Maria Hofstätter) in Braunschlag.

Nicholas Ofczarek etwa spielt Richard Pfeisinger, den Dorf-Disco-Betreiber und besten Freund von Tschad. Ein Mann, der mit Vorliebe schwere Lederwesten und Goldschmuck trägt. Und sich jeden Abend so besäuft, dass er in seiner Disco einschläft oder seinen Sportwagen in Schlangenlinien nach Hause lenkt. Maria Hofstätter und Nina Proll spielen die Frauen von Tschach und Pfeisinger, die ihre lieblosen Ehen nicht mehr ertragen – und noch lieblosere Affären beginnen. Insgesamt gibt es in Braunschlag 14 Hauptdarsteller*innen.

Wald4tler Spezialitäten

David Schalko stammt wie seine Figuren in Braunschlag aus dem Waldviertel. Dass er die Welt kennt, von der er erzählt, merkt man in jeder Einstellung: Die Provinz-Disco von Richard Pfeisinger sieht genauso trostlos aus, wie Provinz-Discos eben aussehen: weiße Kachelfliesen auf dem Boden, Plastikpalmen vor der Tanzfläche und eine Theke aus braun-schwarzem Echtholz. An einem Imbiss ist ein Schild befestigt, auf dem „Wald4tler Spezialitäten“ steht. Und die Einfamilienhäuser in Braunschlag sind fast alle in grellen Farben gestrichen, in scheußlichen Rot-, Grün- und Gelbtönen.

Selten wurde die Hässlichkeit der Provinz so schön inszeniert wie in Braunschlag.

Trotzdem schaut Schalko nicht auf seine Figuren herab. Sondern begegnet ihnen mit Liebe. Er nimmt ihre Ängste ernst, ihre Hoffnungen und Konflikte. Und tatsächlich mag man Tschach und die anderen Braunschlager sofort. Gerade, weil sie keine Held*innen sind. Weil sie lügen, wenn sie daraus einen Vorteil ziehen können. Weil sie größenwahnsinnig werden, wenn es so aussieht, als könnte ein Plan aufgehen. Und weil sie viel zu oft den einfachen und nicht den richtigen Weg gehen – so wie die meisten anderen Menschen auf der Welt auch.

Lennardt Loss, Netflixwoche

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