Wie gut sind Otis‘ Tipps in Sex Education? Ein echter Sexualtherapeut macht den Reality Check

Einem Mädchen, das nur im Dunkeln mit ihrem Freund schlafen will, macht Otis verständlich: Erst wenn du dich selbst magst, wirst du das Ganze genießen können. Einem Mitschüler, der seinen Penis für zu klein hält, versucht er klarzumachen, dass es den meisten Frauen nicht auf die Größe ankommt. Sind das gute, hilfreiche Ratschläge?

Das sind gewiss keine schlechten Tipps. Die Autor*innen der Serie sind viel zu gut, als dass sie hier den Figuren Unsinn in den Mund legen würden. Das sind Tipps wie von einem realen Coach, die wohlwollend und aufbauend sind, die Trost spenden und Mut machen.

Ist es damit denn getan? Wie wäre das in einer echten Therapie?

Es wäre der Beginn einer Therapie. Therapeutische Arbeit wäre die Begleitung eines Veränderungsprozesses. Um beim Beispiel zu bleiben, ginge es nun um Fragen wie: Was benötigst du konkret, um dich selbst zu mögen und um für dich zu stehen? Was bräuchtest du, um das zu lernen?

Was noch?

Im nächsten Schritt würden dann Therapeut*in und Klient*in an dieser Stelle durch Übungen neue Verhaltensweisen erproben. Das ist meist ein längerer Prozess und wäre für die Dramaturgie einer Serie wohl nicht so spannend. Banal sind Otis' Tipps aber nicht, sie helfen beim Verständnis.

„Vielleicht ist da etwas bei mir kaputt“, sagt eine Schülerin, als sie Otis' Mutter, Sexualtherapeutin Jean Milburn, gegenübersitzt. Die antwortet: „Nichts ist richtig oder falsch. Wieso sollte also etwas bei dir kaputt sein?“ Ist das hilfreich?

Das Verständnis, richtig zu sein und nicht falsch, ist auf jeden Fall hilfreich. Aber etwas zu verstehen heißt noch nicht, es zu verinnerlichen und umsetzen zu können. An der Stelle setzt Therapie häufig erst an. Sex Education ist in erster Linie eine Unterhaltungsserie und keine authentische Therapiesitzung. Das soll sie auch nicht sein, dafür gibt es andere Formate. Beispielsweise meine Serie Die Paartherapie.

Wie beurteilst du generell die Serie Sex Education aus professioneller Sicht? Gab es Szenen, wo du dachtest: Hm, so doch nicht! Oder andersrum: Hast du dir sogar etwas abschauen können von Otis und seiner Mutter?

Ich finde die Serie großartig! Und die Autor*innen machen das sehr verantwortungsvoll und sicher werden sie professionell beraten. Gleichzeitig verstehen sie ihr Handwerk – nämlich zu unterhalten. Ebenso wie die Schauspieler*innen ihre Rollen mitreißend verkörpern. Was ich an der Serie so gelungen finde: Sie macht Lust darauf, sich im echten Leben mit diesen Themen zu beschäftigen.Ich bin Jahrgang 66 und hätte es ausgesprochen hilfreich gefunden, in meiner Pubertät und den Jahren danach solche wertvollen Informationen in einer Unterhaltungsserie erhalten zu können. Aber würde ich jemals einer fiktiven Person einen therapeutischen Rat für mich persönlich abnehmen? Nein.

Otis ist in der Praxis selbst unbeholfen und holt sich deshalb Tipps aus dem Internet. Müssten Sexual- und Paartherapeuten nicht eigentlich die besten Liebhaber sein und alle mindestens die Goldene Hochzeit feiern?

Haha, sicher verfügen viele Kolleginnen und Kollegen über bewährte Werkzeuge und ein fundiertes Wissen über gefährliche Paar-Dynamiken. Wir können bedrohliche Entwicklungen früher erkennen und zeigen vielleicht sogar eine größere Veränderungsbereitschaft. Aber an der Stelle möchte ich den Unterschied betonen zwischen dem Umgang mit Konflikten und den Gründen der persönlichen Partnerwahl. Denn damit es mit der Goldenen Hochzeit klappt, braucht es beide Partner.