Was macht die wahre Piper heute?

Flughafen Brüssel, 1993. Piper Kerman ist 23 Jahre alt und zum ersten Mal in ihrem Leben außerhalb der USA. Sie trägt einen unscheinbaren Business-Look – Stöckelschühchen, schwarze Seidenhose, beiger Blazer – und einen Rollkoffer voller Geld, den sie für einen nigerianischen Drogenbaron schmuggelt.

Mit diesem Moment beginnt Piper Kerman ihr Buch Orange is The New Black über ihr Jahr im Frauenknast. Aus dem autobiographischen Buch wurde eine der ersten und erfolgreichsten Netflix-Serien: Vor 10 Jahren erschien die erste Folge von Orange Is the New Black auf Netflix.

Die Serie über das Frauengefängnis Litchfield Penitentiary wurde nicht nur gefeiert als „die erste Serie, die uns zeigte, wie Streaming-TV wirklich funktioniert“ (New York Times). Sie hat auch das Leben der wahren Piper Kerman nachhaltig verändert.

Wie ist die echte Piper ins Gefängnis gekommen?

Den illegalen Nebenjob als Schmugglerin hat Piper eine Frau vermittelt, die Piper in ihrem Buch „Nora“ nennt, die später in der Netflix-Serie „Alex“ getauft wird, und die in Wahrheit Catherine Cleary Wolters heißt.

Piper beschreibt Cleary-Nora-Alex in ihrem Buch so: „Nora war klein und sah ein bisschen aus wie eine französische Bulldogge, oder vielleicht eine weiße Eartha Kitt. Alles an ihr war drollig – ihre trällernde, witzelnde, heisere Stimme, die Art, wie sie den Kopf neigte, um einen mit ihren hellen, braunen Augen unter dem Wuschelkopf anzuschauen. Sogar die Art, wie sie ihre allgegenwärtige Zigarette hielt, das Handgelenk geknickt und bereit zum Gestikulieren. Sie hatte eine spielerische, wachsame Art, einen Menschen aus der Reserve zu locken, und wenn sie einem Aufmerksamkeit schenkte, hatte man das Gefühl, als würde sie einen in einen geheimen Scherz einweihen wollen.“

In der Serie beleben Piper und Alex ihre Beziehung im Gefängnis neu. Die Realität sieht anders aus.

Die beiden lernen sich über einen gemeinsamen Freundinnenkreis von lesbischen Frauen kennen. Piper findet Nora mysteriös und clever. Nora mag, dass Piper sich mit ihren geliebten Katzen so gut versteht. Eines Abends in einer Bar erzählt Nora Piper von ihren kriminellen Geschäften: Dass sie über ihre Schwester ein Drogenkartell kennengelernt hat und seitdem Drogen schmuggelt – und dafür großzügig bezahlt wird.

Piper reizt das Abenteuer und das Geld. Aber noch traut sie sich nicht. Die beiden bleiben in Kontakt und starten eine Beziehung.

„Eines Tages im Frühling kehrt Nora mit einem brandneuen Miata-Cabriolet und einem Koffer voller Geld nach Hause zurück. Sie wirft das Geld auf das Bett und rollt nackt und kichernd darin herum. Bald darauf flitzte ich in diesem Miata umher, während Lenny Kravitz am Kassettendeck fragt: Are you gonna go my way?“

So beschreibt Piper in ihrem Buch den Moment, der sie schließlich überzeugt, ins Drogengeschäft einzusteigen. Sie schmuggelt für den Drogenbaron über 10.000 Dollar von Chicago nach Brüssel.

Piper und Larry (gespielt von Jason Biggs) in der Serie. Der wahre Larry findet seine Serienversion übrigens sehr unterhaltsam.

Schließlich lernt Kerman einen Mann namens Larry kennen, trennt sich von Wolters und verlobte sich mit Larry. Ihr kurzer Ausflug in die Kriminalität scheint folgenlos zu bleiben. Doch ein paar Jahre später steht die Polizei vor ihrer Tür.

1998 wird Piper Kerman wegen Geldwäsche und Drogenhandel zu 15 Monaten Haft verurteilt. Ihre Strafe tritt sie erst 2004 an, rund zehn Jahre nach ihren kriminellen Aktivitäten. Wie die Piper in der Serie hatte sie sich in der Zwischenzeit ein bürgerliches Leben mit Larry aufgebaut, das nun zusammenbricht.

13 Monate ihrer Strafe muss sie hinter Gittern absitzen, im Women's Federal Prison Camp in Danbury, einem Gefängnis im US-Bundesstaat Connecticut. Ihre Erfahrungen im Frauenknast verarbeitet sie auf dem Blog ThePipeBomb – und später in ihrem Buch Orange Is the New Black, das erst ein Bestseller und 2003 ein internationaler Netflix-Hit wird.

 „Wir hatten keinen Sex im Gefängnis“

Piper heißt in der Netflix-Serie mit Nachnamen nicht Kerman sondern Chapman und wird von Taylor Schilling gespielt. Wie ähnlich ist die Serien-Piper der echten?

„Die Show ist kein Biopic, glücklicherweise“, hat Piper Kerman der New York Times erzählt. „Es gibt demografische Ähnlichkeiten. Ich bin im Grunde eine weiße Frau aus der Mittelschicht und habe daher Glück und Privilegien, was den Umgang mit dem Strafrechtssystem angeht. Aber Piper Chapman ist ein Produkt des Schreibens von Showrunnerin Jenji Kohan und ihrem Team und der Schauspielkunst von Taylor.“

Ihr gefällt, dass sie durch ihren Hintergrund als weiße Mittelschichtsfrau Menschen auf die Situation von Frauen in Gefängnissen aufmerksam gemacht hat, die sich sonst nie mit dem Leben hinter Gittern beschäftigt hätten. „In dem Buch geht es wirklich um eine Gemeinschaft von Frauen. Ich habe das Gefühl, dass die Serie genau das widerspiegelt. Fast jeder Zuschauer könnte in der Sendung jemanden finden, der ihm oder ihr am Herzen liegt.“

Auch für Galina Reznikov, besser bekannt als „Red“ (Kate Mulgrew) gab es ein reales Vorbild.

Die Serie wurde oft gelobt für ihren diversen Cast und die vielseitigen, vielschichtigen Geschichten, die sie über ganz unterschiedliche Frauen erzählt. Die meisten Storylines wurden für die Serie erfunden, doch einige sind von wahren Erinnerungen von Piper inspiriert. Im Gefängnis begegnete sie tatsächlich einer resoluten russischen Frau, die sie in ihrem Buch Pop nennt und die in der Serie Red (Kate Mulgrew) heißt. Wie in der ersten Staffel beging auch die echte Piper den schweren Fehler, die Küchenchefin zu beleidigen, freundete sich aber später mit ihr an. Auch für Sophia Burset (Laverne Cox), die elegante trans Frau aus Orange, gab es ein reales Vorbild.

Die Konflikte zwischen den Frauen sind in der Serie, dem Drama zuliebe, zugespitzt, hat Piper Kerman immer wieder in Interviews betont. Im echten Leben war sie überwältigt von der Solidarität, der Herzlichkeit und der Freundschaft zwischen den Frauen.

Am weitesten entfernt von der realen Piper und ihrer Knasterfahrung ist in der Serie die Beziehung zwischen Piper und Alex. Die echte „Alex“, Catherine Cleary Wolters, hat inzwischen ein eigenes Buch geschrieben, mit dem Titel Out of Orange. Darin erzählt sie vor allem von ihrer Karriere als Drogenschmugglerin (und wirklich sehr viel von ihren wirklich sehr geliebten Katzen) und deutlich kürzer als Piper Kerman über ihren Gefängnisaufenthalt.

Die Beziehung zwischen ihr und Piper beschreibt Catherine Cleary Wolters eher als eine „Freundschaft mit besonderen Vorzügen“. Sie habe, anders als in der Serie, Piper nicht „verführt“, sie war nicht ihre sexuelle lesbische Erweckung, und sie hatten auch keinen Sex in der Gefängniskapelle, erzählte Wolters gegenüber der Zeitschrift Vanity Fair.

Tatsächlich waren die beiden die meiste Zeit gar nicht im selben Gefängnis, sondern haben sich nur ein paar Tage gesehen, nachdem der Schmuggel aufflog: Wolters zufolge waren sie und Kerman insgesamt nur fünf Wochen lang in derselben Haftanstalt – hauptsächlich während eines kurzen Aufenthalts in einer Haftanstalt in Chicago im Jahr 2005. Sie waren beide in der Stadt, um gegen einen Mittäter in ihrem Fall auszusagen.

„Wir waren die Geister der Menschen, die wir einmal gewesen waren, und tummelten uns unter Hunderten anderer menschlicher Geister, gefesselt und angekettet, mit vorgehaltener Waffe durch Transportzentren geführt, durch Haftanstalten geschoben“, sagt Wolters gegenüber Vanity Fair.

Piper ist zurück im Gefängnis – diesmal aber freiwillig

Die Monate im Frauengefängnis haben Piper verändert – in der Serie wie im echten Leben. Im Finale von Orange Is the New Black wird enthüllt, dass Piper begonnen hat, Kurse für Zivilrecht zu besuchen.

Auch die echte Piper Kerman setzt sich seitdem für die Rechte von Gefangenen ein, vor allem für Frauen. Aus aktuellem Anlass: Auf ihrer Website zitiert sie eine Statistik der Women’s Prison Association. „Die Zahl der Frauen in Gefängnissen ist in den vergangenen drei Dekaden um 800% gewachsen. Fast zwei Drittel aller Frauen in Gefängnissen sind Mütter.“

Piper Kerman setzt sich für ihre Rechte ein. Sie hat bereits öfter vor dem US-Kongress gesprochen, schreibt Kommentare für Zeitungen wie die Washington Post oder spricht in Diskussionsrunden für Sender wie CBS. Und sie besucht Gefängnisse und unterrichtet die Frauen dort in Kreativem Schreiben.

Netflixwoche Redaktion

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