Ein Hai mit Brüsten, ein Ritter auf der Flucht und eine versteckte Botschaft: Das ist Nimona

Vom Highschool-Projekt zum Netflix-Film: Nimona, die Geschichte über die chaotische Gestaltenwandlerin und den in Ungnade gefallenen Ritter Ballister Boldheart, hat eine turbulente Vorgeschichte – und eine Botschaft, die selbst ihren Erfinder N.D. Stevenson überrascht hat.

Ballister Boldheart hat einen unmöglichen Wunsch: Er, der Junge von der Straße, will Ritter werden. Diese Ehre wird jedoch nur Adeligen zuteil. Aber Ballister gibt nicht auf – und gewinnt eine wichtige Fürsprecherin: die Königin selbst. Er besteht sein hartes Training und schließlich ist es soweit, die Königin schlägt Ballister zum Ritter. „Ich gratuliere, Sir Boldheart“, sagt die Königin. „Möge mit euch eine neue Helden-Ära beginnen.“ Er seufzt erleichtert. Er hat es endlich geschafft. Doch als Ballister sein Schwert von der Königin entgegennehmen will, passiert das Unfassbare: Der Griff des Schwertes öffnet sich und heraus schießt ein grüner Laser. Der Laser trifft die Königin mitten in die Brust. Sie stolpert, stürzt. Sie ist sofort tot.

Als Ballister den Laser  von ihr richten will, weg von den Menschen um ihn herum, trifft er die Decke der Arena. Funken und Gesteinsbrocken regnen herab. Panik bricht aus. Ballister, verletzt und verdächtigt, flieht.

Mit einem Schlag ist er der meistgehasste Mann des Königreichs. „Er ist ein Mörder!“, sagen die Leute. „Er ist ein Monster!“

„Er ist perfekt!“, sagt Nimona.

Nimona, das ist eine Teenagerin mit rosa Undercut, Piercings und einer Vorliebe für alles Makabre. Sie will sein „Sidekick für den Rachefeldzug sein“, verkündet sie Ballister. Eine Bewerbung hat sie auch mitgebracht: einen Stapel blutrünstiger Zeichnungen. Oh, und fast hätte sie vergessen zu erwähnen: Sie kann ihre Gestalt wandeln. Mal ist sie ein rosa Nilpferd, mal ein Spatz, mal ein Blauwal.

Ein ungleiches Duo: Sir Ballister Boldheart (im Englischen gesprochen von Riz Ahmed) und Nimona (Chloë Grace Moretz).

Dass Ballister gar kein Bösewicht ist, enttäuscht Nimona etwas. Aber dann wird sie ihm eben helfen, seine Unschuld zu beweisen. Hauptsache, sie kann auf dem Weg etwas Chaos stiften.

So beginnt die Geschichte des neuen Netflix-Films Nimona. Der Weg zur Verfilmung des Graphic Novels war nicht minder chaotisch und abenteuerlich als die Reise von Nimona und Ballister – und hat einen Plot Twist, der selbst Nimonas Schöpfer N.D. Stevenson überrascht hat.

So ist Nimona entstanden

Nimona begann als ein High School Projekt: N.D. Stevenson, damals noch Schüler, zeichnete vor elf Jahren eine Comicseite über eine Teenagerin, die sich bei einem Schurken als Sidekick bewirbt. Der Schurke hat erst kein Interesse: „Ich kann kein Kind gebrauchen, das mir den ganzen Tag nachläuft.“

Nimona, empört: „Ich bin kein Kind! Ich bin ein Hai!“

Sagt sie, und verwandelt sich in einen Hai. Der Hai und der Schurke starren sich an. 
„Ach ja, ich hab vielleicht vergessen zu erwähnen, dass ich eine Gestaltenwandlerin bin.“

Der Original-Comic ist noch immer auf Tumblr online. N.D. Stevenson mochte Nimona so sehr, dass er weitere Geschichten über sie und Ballister zeichnete. Von 2012 bis 2014 veröffentlichte er sie weiter als Webcomics. Dann wurde der amerikanische Verlag HarperCollins auf die Geschichte aufmerksam und veröffentlichte Nimona als Graphic Novel.

Der Comic schaffte es auf die Bestsellerliste der New York Times, wurde in 16 weitere Sprachen übersetzt und mit zahlreichen Preisen geehrt. Oder wie N.D. Stevenson in seinem Comic-Newsletter zusammenfasst: „Nimona ist ein Webcomic, den ich vor zehn Jahren geschrieben habe und der jetzt als Graphic Novel erscheint. Es kommt ein Hai mit Brüsten darin vor, und sie haben mir dafür eine Medaille verliehen. Daraus wird jetzt ein Animationsfilm. Der Film ist wirklich gut.“

Doch der Weg dahin war schwierig. Autor N.D. Stevenson (auch bekannt für She-Ra und die Rebellenprinzessinnen) beschreibt den Film als einen „Phönix, der aus der Asche steigt.“ Denn eine Filmadaption von Nimona war schon lange beim Animationsstudio Blue Sky in Arbeit, damals das konzerneigene Studio von 20th Century Fox. Doch dann übernahm der Disney-Konzern das Fox-Studio – und zog den Stecker.

„Es gab eine Zeit, in der der Film völlig tot war“, sagt Troy Quane, der gemeinsam mit Nick Bruno Regie geführt hat. „Es war niederschmetternd, weil so viele Leute so viel Leidenschaft, Liebe und Schweiß in ihn gesteckt haben. Wir hatten gerade unsere Storyreels fertiggestellt und wussten, dass wir einen großartigen Film und eine tolle Figur hatten, die wir der Welt vorstellen wollten.“

Netflix sprang ein und gab Nimona eine zweite Chance. Der Film startete am 30. Juni auf Netflix und begeisterte Fans wie Kritiker*innen: Auf Rotten Tomatoes hat der Film einen Score von 92 Prozent in den Rezensionen und sogar 94 Prozent bei den Zuschauer*innen.

„Nimona ist ein liebenswertes Zeichentrickabenteuer, das mit seiner großartigen Animation und seiner nachdenklichen Allegorie eine tiefe emotionale Ader ausschöpft.“

Rotten Tomatoes

Nimona ist ein witziges Krimi-Abenteuer mit futuritsischen Rittern, Monstern und einem Mord. Aber die Geschichte ist noch mehr als das. Wie Rotten Tomatoes zusammenfasst: In Nimona versteckt sich eine nachdenkliche Allegorie – eine Metapher, die selbst Autor N.D. Stevenson nicht bewusst war, als er die ersten Comicseiten zeichnete. Bis Fans ihn darauf hinwiesen.

In seinem Comic-Newsletter erzählt Stevenson, dass es eine Frage gibt, die ihm ständig gestellt wird: „Also … die Hauptfigur ist eine Gestaltenwandlerin? Ist Nimona eine Metapher für Transsexualität?“

 „Im Rückblick ist das offensichtlich“, sagt Stevenson (selbst trans) heute. „Aber damals hatte ich keine Ahnung.“ Nimona ist ein Mädchen, aber manchmal ist sie eben auch ein Muskelprotz, ein Elefant oder ein Monster mit Flügeln und Flammen. Sie kann ihr Geschlecht und ihr Aussehen beliebig wechseln – ihre Transformationen sind ein unverzichtbarer Teil ihrer Identität.

Als pinker Gorilla fällt Nimona in der U-Bahn auf. Sie stört das nicht.

„Kannst du dich bitte normal verhalten? Wenigstens kurz?“, fragt Ballister Nimona in einer Szene im Film. Sie sitzen in einer U-Bahn und Nimona ist gerade ein riesiger, pinker Gorilla.

„Normal?“, fragt Nimona spöttisch zurück.

„Ich denke, es wäre eben einfacher, wenn du ein Mädchen wärst“, sagt Ballister.

„Leichter, wenn ich ein Mädchen wäre? Das ist ein Kracher. Leichter für wen?“

„Für dich“, sagt Ballister. „Nicht viele Menschen sind so verständnisvoll wie ich.“

Ballister weiß, wie es ist, ein Außenseiter zu sein. Als einziger Ritter ohne Adelstitel war er den Menschen um sich herum schon vor dem Mord an der Königin verdächtig. Das Königreich, das wird in Nimona schnell klar, ist auf Vorurteilen und Angst gebaut. Eine Gestaltenwandlerin wie Nimona oder ein Bruch mit der Tradition wie Ballisters Ritterschlag stören das System. Sie werden als Monster abgestempelt.

Doch wie das Abenteuer der beiden zeigt: Tradition und Sicherheit auf Kosten von Freiheit und Individualität führen zu Machtmissbrauch, Angst und Enge. Wer sich dagegen traut, die vermeintlichen „Monster“ kennenzulernen, wird rasch feststellen, dass es keinen Grund zur Angst vor dem Anderen gibt. Und ein bisschen Chaos tut auch mal gut.

Netflixwoche Redaktion

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