Mask Girl: Wie ist es, berühmt zu sein?

„Applaus für Mo-mi“, sagt der Moderator der Talent-Show. Es ist 1989 und die kleine Mo-mi gibt alles bei ihrer Tanz-Performance. Sie liebt es, auf der Bühne zu stehen, das Jubeln und das Scheinwerferlicht. Laut ihrer Mutter ist Mo-mi allerdings nicht hübsch genug, um ein Superstar zu werden. 

„Ich wollte anders leben als alle anderen, doch nun lebe ich wie alle anderen.” Mit 27 arbeitet Mo-mi in einem deprimierenden Bürojob. Nachts wird sie allerdings zu Mask Girl und tanzt mit Maske in Live-Streams für Likes und Herzchen. Die koreanische Serie Mask Girl erzählt, wie die Online-Persona Mask Girl Mo-mi und viele andere Menschen immer weiter ins Unglück stürzen.

Doch wie real ist so eine Serie? Und was können Betroffene tun?

Die Psychologin Franziska Lauter berät Menschen, die in der Öffentlichkeit stehen. Im Netflixwoche-Interview erklärt Lauter, welche Gefahren Berühmtsein mit sich bringt, warum Mask Girl falsch damit umgeht und weshalb auch eine Maske nicht vor der Identitätskrise schützen kann.

Netflixwoche: Frau Lauter, Sie haben den MiM-Verbands (Mental Health in Music) mitgegründet – eine Anlaufstelle für Musiker*innen, um sich mit ihrer mentalen Gesundheit auseinanderzusetzen. Wie sind Sie darauf gekommen?

Franziska Lauter: Eine britische Studie von 2016 hat ergeben, dass Musiker*innen, die in der Öffentlichkeit stehen, einem besonders stressigen Umfeld ausgesetzt sind. Deshalb habe ich mich mit ein paar Kolleg*innen zusammengeschlossen, um das Problem anzugehen. Man muss sagen, ich stand früher auch als Musikerin in der Öffentlichkeit. Deshalb kenne ich beide Seiten. Und ich wusste: Als Psychologin möchte ich mich auch auf Kreative und Musiker*innen spezialisieren.

Beim Mask Girl aus der Serie sitzt der Wunsch nach Berühmtheit tief: Schon als kleines Mädchen will sie unbedingt auf der Bühne performen. Was sind das für Menschen, die nach Berühmtheit streben?

Lauter: Menschen, die in der Öffentlichkeit stehen, werden gerne narzisstische Motive unterstellt. Es gibt auch andere Motive. Zum Beispiel: Wissen vermitteln, Unterhalten, Gutes tun. Dann gibt es aber auch Gründe, die durchaus etwas mit Selbstwert zu tun haben – wie bei Mask Girl, die durchgehend versucht, ihre narzisstische Wunde zu heilen.

Eine narzisstische Wunde?

Lauter: Der Mutter von Mask Girl geht es allein um Schönheit und das lässt sie ihre Tochter spüren. Damit reißt sie im Inneren von Mo-mi eine Wunde auf. In ihr setzt sich fest: „Ich bin nie genug. Mein Gesicht ist ein Makel.” Es ist nicht unüblich, dass man sich dann dem Berühmtsein zuwendet. Mit ihrer Internet-Figur Mask Girl sucht sie später nach dem männlichen Blick, der sie bewundert. Dann spricht man psychologisch von einer narzisstischen Plombe, wie bei einem Loch im Zahn.

Im Fall von Mask Girl scheint ihre Berühmtheit immer schlimmere Situationen herbeizuführen. Was kann man von ihr über das Berühmtsein lernen?

Lauter: Neben Fame, Geld und Aufmerksamkeit, kann sich aus Berühmtheit auch unheimlich Schreckliches entwickeln. Das sieht man bei Mask Girl gut: Sie wird von einem vermeintlichen „Fan” in ein Hotel eingeladen. Dann passiert eine leider typische Situation. Er bedrängt sie und meint: „Online gibst du dich so freizügig und jetzt machst du einen auf verschlossen.” Und auch der angeblich nette Arbeitskollege hilft ihr nur aus egoistischen Motiven. Er will sie für sich haben und sagt: „Du bist doch mit ihm ins Hotel gegangen.” Das ist ein ganz typischer Satz, den man heute als Victim Blaming bezeichnen würde.

Sind Fans auch in der Realität eine Gefahr für Prominente?

Lauter: Das, was Mask Girl durchlebt, kenne ich von weiblichen Klientinnen. Vor allem wenn sie in ihrer öffentlichen Persona sexualisiert auftreten. Sie treffen dann manchmal im echten Leben auf Männer, die eine Anspruchshaltung haben, die völlig daneben ist. Frauen können da in sehr unangenehme oder sogar lebensbedrohliche Situationen geraten.

Mask Girl kommuniziert mit ihren Fans über das Internet und reagiert in Live-Streams auch einzeln auf sie. Ist das Internet schuld, dass die Distanz fehlt?

Lauter: Die Zeiten haben sich durch die sozialen Medien total geändert. Der Beruf Musiker*in oder auch Influencer*in ist unfassbar anstrengend geworden und birgt eine ziemliche Fallhöhe. Früher haben Menschen, die in der Öffentlichkeit standen, praktisch einseitig an ihre Fans gesendet. Über Auftritte in Filmen, Fernseh-Interviews. Heute gibt es natürlich mehr denn je parasoziale Beziehungen. Die Fans haben eine Stimme, sie können Direktnachrichten und Kommentare schreiben. Eine große Frage, mit der ich mich in meiner Arbeit beschäftige, ist: Wie reagiere ich als Person, die in der Öffentlichkeit steht. Es bedarf sehr vieler Schutzmechanismen.

Und was kann man zum Beispiel falsch machen, wenn man mit seinen Fans interagiert?

Lauter: Wenn Mask Girl verletzt ist, kompensiert sie das damit, dass sie mehr und mehr von sich preis gibt. Zum Beispiel: Nacktheit. Das kann eine sehr schlimme Spirale sein, weil man dann praktisch das erzwingen will, was einem droht zu entweichen: Anerkennung. Sie schreibt an wildfremde Menschen im Internet: „Ich bin eine Frau, die man nicht lieben kann.” Das erinnert mich daran, was mir mal ein erfolgreicher Musiker gesagt hat: Was ich Leuten raten würde, niemals zu tun, ist, Fans zurückzuschreiben, wenn es einem nicht gut geht. Vor allen Dingen nicht, wenn man schon drei Gläser Wein getrunken hat.” Bei Mask Girl hat genau das verheerende Konsequenzen.

NANA als Online-Star Kim Mo-Mi in Mask Girl.

Wenn es so wichtig ist, sich als Privatperson zu schützen, ist es nicht ein guter Anfang von Mask Girl, sich eine Maske aufzusetzen?

Lauter: Es hat durchaus Vorteile, eine tatsächliche Maske zu tragen oder in der Öffentlichkeit nur eine ganz bestimmte Rolle zu spielen. Wenn man eben keine Maske trägt, kann man sehr schnell sehr eingeschränkt werden im alltäglichen Leben. Zum Beispiel: Gestern bin ich Bus gefahren und niemand hat mich beachtet. Ich persönlich genieße das. Ich dachte: Wunderbar, nobody cares. Das sind einfache Sachen, die sehr berühmte Menschen wahrscheinlich nie wieder in ihrem Leben machen können.

Aber auch ihre Maske kann die Hauptfigur Mo-Mi nicht davor retten, dass sie erkannt wird.

Lauter: Ja, als der Arbeitskollege die Identität von Mask Girl herausfindet, entwickelt er erst recht eine Faszination für sie. Da ist einerseits der Fame und all das Sexualisierte von Mask Girl, das für ihn wahnsinnig verführerisch ist. Und dann ist da Mo-Mi, die wirkliche Person. Schon beginnen die Probleme. Probleme, mit denen sich jeder Mensch, der in der Öffentlichkeit steht, tagtäglich auseinandersetzen muss. Dazu gehören immer Menschen, die sich in ihr Leben drängen wollen.

Andere Menschen können gefährlich für einen werden, wenn man berühmt ist. Kann es auch sein, dass der Fame etwas mit einem selbst macht?

Lauter: Prinzipiell ist das in der Öffentlichkeit stehen einer der anstrengendsten Berufe, die es gibt. Hinzu kommt enormer Stress und Druck. Man wird die ganze Zeit beobachtet, man feiert alle Erfolge in der Öffentlichkeit. Aber man wird bei Fehltritten auch öffentlich verurteilt. Wir sehen oft nur das Sahnehäubchen. Darunter ist ein unglaublicher Unterbau an Stressoren, denen man ausgesetzt ist. Und natürlich ist es verführerisch, dann zum Beispiel zu Substanzen zu greifen, die einem das kurz erleichtern. Mask Girl greift zum Alkohol.

Gibt es einen bestimmten Punkt, an dem es Prominenten zu viel wird und Sie sich Ihre Hilfe suchen?

Lauter: In der Regel ab dem Moment, in dem der Leidensdruck zu groß wird. Wenn sich eine Depression ankündigt oder die Angst überhand nimmt. Oft merken Menschen, dass sich ihre öffentliche Persona verselbstständigt und sie keine Kontrolle mehr haben. Wir haben ja normalerweise nur eine Identität, auch wenn wir in Beruf oder Privatleben durchaus verschiedene Rollen einnehmen. Mittlerweile hat allerdings fast jede*r von uns noch einen Avatar, der im Internet unterwegs ist und oft eine gut kuratierte Version unserer tatsächlichen Identität ist. Und wenn man wirklich massiv beruflich in der Öffentlichkeit steht, dann ist dieser Avatar überall und entwickelt auch unter Umständen ein Eigenleben, das psychologisch extrem belastend sein kann.

Ab welchem Ereignis aus der Serie hätte Mask Girl Hilfe gebraucht?

Lauter: Hätte ich es mir aussuchen können, hätte ich Mask Girl am liebsten schon ganz am Anfang getroffen. Eigentlich wäre es schön, wenn sie schon als Kind psychologische Unterstützung gehabt hätte. Als Ausgleich zu dieser sehr abwertenden Mutter. Da hätte man viel Prävention machen können, um ein Selbstwertgefühl aufzubauen.

Was hätten Sie der kleinen Mo-Mi gesagt, um ihr zu helfen?

Lauter: Ich hätte ihr erklärt: Deiner Mutter geht es überhaupt nicht gut, sie leidet selbst. Und es geht im Leben nicht darum, sich nach den Schönheitsidealen von anderen zu richten. Aber als erstes hätte ich dieses Kind gefragt: Was interessiert dich denn? Was machst du denn gerne? Ah, Pferde? Interessant. Sie hätte etwas gebraucht, das man ihr nicht so leicht nehmen kann. Denn jedes Mal, wenn jemand Mask Girl sagt, „Du bist hässlich”, zerstört er sie.

Berühmtsein hat auch Schattenseiten. Das weiß man eigentlich spätestens seit Britney Spears und anderen 2000er-It-Girls. Warum ist sowas für viele immer noch so ein Traumziel?

Lauter: Wenn wir berühmte Menschen sehen, sehen wir ein paar Leute. Und die stehen eigentlich auf einer Art großen Friedhof von anderen, die es nicht geschafft haben. Außerdem glaube ich, die negativen Seiten vom Fame sind immer noch unsichtbar. Sie werden zwar auch medial ausgeschlachtet. Aber auch verharmlost, mit Sprüchen wie: Es gibt keine Bad News, sondern nur Berichterstattungen. Ich glaube, dass dieser Mythos Superstar insgesamt medial gemacht ist. Hätten wir einen Hype um die beste Wissenschaftlerin, würden die Kids Astrophysiker und Chemikerinnen werden und nicht Fußballprofi und Rockstar.

Zur Person

Franziska Lauter ist Diplom-Psychologin und hat ihre eigene Praxis in Berlin. Nach dem Studium arbeitete Lauter fünf Jahre als Musikproduzentin und tourte mit ihrer Band. Heute berät sie Musiker*innen, Influencer*innen, Schauspieler*innen und andere Menschen, die beruflich in der Öffentlichkeit stehen.

Emeli Glaser, Netflixwoche

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