Love, Sex & 30 Candles: Warum ist es so etwas Besonderes, 30 zu werden?

Es ist das Jahr, in dem vier beste Freundinnen aus Kapstadt 30 werden. Sie haben sich vor zehn Jahren an der Uni kennengelernt, mit großen Träumen und Lust auf die Zukunft. Jetzt hat jede von ihnen ihre eigenen Schwierigkeiten zu bewältigen: Dikeledi hat Ärger mit dem unzuverlässigen Vater ihrer Tochter und schwärmt für ihren Arbeitskollegen, Linda stößt jeden Mann von sich weg, wenn es ernst wird, Sades christlicher Verlobter engt sie immer mehr ein und eine ungeplante Schwangerschaft droht Nolwazis Karriere als Modedesignerin kaputt zu machen.

Nolwazi wird nachdenklich, als die Freundinnen sich treffen: „Was habe ich denn erreicht?“, sagt sie, „Ich miete immer noch, ich besitze kein eigenes Heim. Und ich bin immer noch Single.“ Im neuen südafrikanischen Netflix-Film Love, Sex and 30 Candles geht es um den 30. Geburtstag: das Ende eines Lebensabschnitts, das Ende der Jugend; gespickt mit Katastrophen, Herzschmerz und überraschenden Planänderungen. Und damit sind die Freundinnen im Film nicht allein.

Für viele scheint die 30 ein besonderer Moment im Leben zu sein. Brigitte schreibt, „Hilfe, ich werde 30!“ und der Spiegel „30. Geburtstag: Warum hinterfrage ich mein Leben?“ Das Online-Magazin Vice empfiehlt „30 Dinge, mit denen du anfangen musst, bevor du 30 wirst“. Zum Beispiel, seine Steuer machen und seine Zimmerpflanzen am Leben erhalten.

Die 30 scheint eine magische Grenze zu sein, auf die wir hinfiebern und vor der wir uns fürchten. Aber warum ist das so? Hier die Gründe, warum der 30. Geburtstag für uns so wichtig ist.

Meilenstein-Druck: Habe ich alles erreicht?

„Ich werde in einem Monat 30 und manchmal fühlt sich diese Aussicht an, als würde man einen Scheinwerfer auf mein Leben richten, der die ganzen unordentlichen Ecken ausleuchtet“, schreibt die Independent-Autorin Eloise Hendy in einem Artikel. Menschen, die Ende 20 sind, kennen die Veränderungen, die sich plötzlich im Umfeld einstellen: Man wird immer häufiger auf Hochzeiten eingeladen. Freund*innen werden schwanger. Bekannte werden in ihrem Job befördert. Man selbst studiert vielleicht noch oder geht jedes Wochenende in den Techno-Club, statt Windeln zu kaufen oder ein Haus in der Vorstadt zu renovieren.

Laut einer Studie der britischen Wohltätigkeitsorganisation Relate haben Millennials und Gen Z mehr Druck, traditionelle „Lebens-Meilensteine“ zu erreichen. Obwohl ein Drittel der Befragten der Meinung war, dass klassische Ziele wie Heiraten und Kinderkriegen veraltet sind, gibt die Mehrheit an, dass sie davon beeinflusst sind. „Die frühen Dreißiger scheinen ein echter Krisenmoment zu sein und Leute scheinen den eigenen Erfolg unfair zu bewerten, wenn sie Dinge noch nicht gemacht haben, die sie ‘hätten tun sollen“', heißt es in der Studie.

Lebens-Meilensteine an sich sind aber nicht das Problem. Sondern die, die heutzutage nicht mehr zu jedem passen, aber trotzdem als Standard für ein erfülltes Leben gelten. Die meisten der Befragten der Studie geben an, dass es zeitgemäßere Meilensteine gibt, die gesellschaftlich nicht genug gewürdigt werden. Darunter: eine ungesunde Beziehung verlassen, seinen Job kündigen, um seiner Leidenschaft zu folgen, ein Haus mit Freund*innen kaufen, eine Therapie anfangen oder die Entscheidung treffen, Single zu bleiben und keine Kinder zu haben.

Das Ende einer wilden Ära

Die Zwanziger werden oft romantisiert: bis in die Morgenstunden rauchend in Studierendenkneipen sitzen, weil man am nächsten Tag nur zur Vorlesung muss, Verkehrsschilder klauen und in die WG-Küche hängen, jede Menge fragwürdige Dating-Erfahrungen sammeln und sich die Haare kaputt-blondieren. Unvernünftig sein und sich ausprobieren ist in den Zwanzigern erlaubt. Es wird sogar als wesentlicher Teil der Zwanziger verstanden. Erfolge und Fehler gehören in dieser Zeit zum Leben. Ist man aber erstmal 30, scheint es, sollte man plötzlich angekommen und fertig sein. Fehler werden nicht mehr so leicht vergeben.

Filme wie 30 über Nacht zeigen diese unausgesprochene Regel. Im Film wacht die 13-jährige Jenna plötzlich als ihr 30-jähriges Ich wieder auf. Und das hat alles erreicht, was ein Mädchen sich wünscht: ein New York City-Apartment mit begehbarem Kleiderschrank, einen guten Job bei einem Fashion-Magazin und einen heißen Freund. Selbstverständlich hat die Dreißigjährige all das geschafft. Und was, wenn nicht?

Eine Studie der US-amerikanischen National Academy of Sciences beobachtet, dass Menschen über viele Kulturen und Länder hinweg an vorgegebenen Punkten ihres Lebens reflektieren und wichtige Entscheidungen treffen. Das Rechnen in Zehner-Abschnitten, wie es in der westlichen Kultur üblich ist, hat reale Auswirkungen auf das Verhalten von Einzelnen. Die Studie hat herausgefunden, dass Menschen kurz vor großen Umbrüchen wie dem 30. Geburtstag häufiger Suizid begehen, Affären anfangen oder sich bei Marathons anmelden.

Das Alters-Paradox

„Warum, Gott? Wir hatten einen Deal: Du lässt die anderen altern, nicht mich!“ schreit Joey in Friends bei der Party zu seinem 30. Geburtstag voller Verzweiflung. Neben Erfolgsdruck und neuer Verantwortung steht die 30 vor allem für eins: das Ende der Jugend. Am Anfang der Zwanziger fühlt man sich oft reifer und erwachsener, als man es vielleicht wirklich ist. In den späten Zwanzigern dreht sich diese Wahrnehmung: Man fühlt sich eher jünger und hält stärker an der eigenen Jugend fest. Das Älterwerden wird zum ersten Mal zu etwas Negativem.

Während in manchen Kulturen das Alter und die Erfahrung, die mit ihm kommt, gefeiert und respektiert werden, bedeutet Älterwerden in westlichen Kulturen Wertverlust. Sofort fürchtet man also den Verlust der Produktivität, Gesundheit und Attraktivität: „Physischen Anzeichen des Alterns wird mit Abneigung begegnet, es wird in der Popkultur in schlechtem Licht gezeigt – wenn überhaupt“, schreibt die Universität von Ohio. Da ist es kaum verwunderlich, dass der Geburtstag, der das Ende der Jugend markiert, mit Angst belegt ist.

Das Paradoxe: Während man mit 30 nicht mehr als jugendlich gilt, wird einem gleichzeitig das Erwachsensein kaum zugestanden. Es werden zwar die gleichen Meilensteine bei Millennials und GenZ als Maß angelegt, wie bei vorherigen Generationen. Aber diese Meilensteine sind heute viel schwerer zu erreichen.

Während ein Babyboomer in seinen Zwanzigern die finanziellen Möglichkeiten hatte, gleichzeitig einen Hauskredit aufzunehmen und eine Familie zu gründen, kann sich das in Zeiten von Immobilienkrise und Inflation kaum noch jemand leisten. Wenn dann die großen Ziele aus einfacheren Zeiten nicht erreicht werden, wird das den heutigen 30-Jährigen als eine Form von „Berufsjugendlichkeit“ ausgelegt. Es hat aber nichts mit Unreife zu tun, sondern weniger Perspektiven.

„Leuten in ihren Zwanzigern wird das Erwachsensein ständig vorenthalten, und eigentlich hatten wir auch nicht besonders viel Spaß“, schreibt Eloise Hendy vom Independent über ihre Zwanziger. Die 30 als Symbol für den nahenden Lebensabend und für die hinausgezögerte Jugend gleichzeitig verlangt ziemliche Gehirnakrobatik. Das zeigt aber auch, mit wie viel widersprüchlicher Bedeutung der 30. Geburtstag beladen ist.

Die neue, stolze 30

Die Ära der Dreißiger könnte einen viel besseren Ruf haben. Weil es heute viel mehr Lebensentwürfe gibt, als noch vor ein paar Jahren. Statt Babygeschrei, Rechnungen und Stau auf dem Weg zum Büro fangen Leute an, die Dreißiger als die dritte Staffel ihres Lebens zu begreifen: Die zweiten Zwanziger, nur mit mehr Geld, Selbstsicherheit und einer Ahnung davon, was man vom Leben will.

Vor allem im Rückblick ist der 30. Geburtstag, der uns zuvor einschneidend vorkommt, ein Tag wie jeder andere und Alter eine willkürliche Zahl. Wenn man wegen des 30. Geburtstags trotzdem anfängt auszurasten, sollte man sich am besten an einen Satz aus Love, Sex and 30 Candles erinnern. Der fasst nämlich zusammen, was der Film über das 30-Werden sagen will: „Es ist egal, wie alt du bist, solange du von geliebten Menschen, Freunden und Familie umgeben bist.“

Emeli Glaser, Netflixwoche

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