Duell am Abgrund: Scheitern heißt sterben

Duell am Abgrund erzählt die Geschichte der Schweizer Berg-Rivalen Ueli Steck und Dani Arnold. Warum die neue Netflix-Dokumentation atemberaubend ist.

„Ich bin eigentlich ein extremer Angsthase“, sagt der Schweizer Ueli Steck zu Beginn der neuen Netflix-Dokumentation Duell am Abgrund, die in hinreißenden Bildern die Rivalität zwischen den beiden Extremkletterern Steck und Dani Arnold zeigt.

Steck sagt dies, während wir ihn in einer senkrechten Felswand in schwindelerregender Höhe klettern sehen. Allein. Ohne Sicherheitsseil. Mit dem Druck umgehen, dass ein Fehler der letzte ist, konnte Ueli Steck – trotz oder wegen seiner Angst – wie kein Zweiter. „Du musst dir in dem Moment sagen: Ich bin der Beste und du musst das auch glauben.“

„Swiss Machine“, nannten sie ihn in der Bergsteigerszene und seine Leistungen und Rekorde waren phänomenal. Steck sah sich dabei weniger als Bergsteiger denn als Leistungssportler. „Tagelang in der Wand hängen ist nichts für mich.“ Steck ging es um Rekorde, Zahlen, er wollte sich mit anderen vergleichen. Und genau darum geht es beim alpinen Speedklettern, der wohl extremsten Form des Kletterns. Allein, ohne Hilfsmittel, so schnell wie möglich die Wand, den Berg hoch. Da bleibt kein Platz und noch weniger Zeit für Bergromantik. Die jungen Wilden waren und sind nicht jedermanns Sache. Für den sicher bekanntesten Bergsteiger Reinhold Messner, betreiben sie „Zahlenalpinismus“, gleichwohl Messner Steck als „Ausnahmetalent“ würdigte.

Stecks bis dahin wohl bekanntester Rekord war die Besteigung der extrem gefährlichen Eigernordwand im Winter 2008. Er sprintete die rund 1.800 Meter hohe steile, nackte Felswand in zwei Stunden und 47 Minuten hinauf. 1938, bei der Erstbesteigung brauchten Heinrich Harrer, Anderl Heckmair, Ludwig Vörg und Fritz Kasparek drei Tage.

Zwei Stunden und 47 Minuten. Niemand, der einmal vor dieser Wand stand, wird dies für möglich halten. Die Bergwelt verneigte sich vor Ueli Steck.

Und dann kam Dani Arnold.

2011 raste der damals noch relativ unbekannte Schweizer (Jahrgang 1984 und damit acht Jahre jünger als Steck) die Eigernordwand sechs Minuten schneller hoch als Legende Steck.

Der Auftakt einer Rivalität zwischen beiden, die die Grundlage für Duell am Abgrund bildet. Ein Wettlauf um die jeweils schnellste Bezwingung der großen Alpen-Nordwände ­ – Grandes Jorasses (4.208), Matterhorn (4.478), Eiger (3.967). Die Doku widmet sich dem Wettkampf zwischen Steck und Arnold und lässt unter anderem den Profikletterer Alex Honnold und den Alpinisten Don Bowie zu Wort kommen.

Den Rekord an der Eigernordwand holte sich Ueli Steck zurück. Im November 2015 verbesserte er Arnolds Zeit auf zwei Stunden 22 Minuten und 50 Sekunden.

Ein Rekord, der bis heute besteht und Ueli Steck überlebt hat.

Steck stürzte 2017 im Himalaya in den Tod. Er kam ums Leben bei dem Versuch, den Mount Everest (8.848 m) und den Lhotse (8516 m) zu überqueren. In einem Durchgang und ohne künstlichen Sauerstoff. In seinem letzten Interview mit dem Tagesanzeiger sagte er über sein Vorhaben: „Scheitern heißt für mich: Wenn ich sterbe und nicht heimkomme.“

Der Film ist seinem Andenken gewidmet.

Netflixwoche Redaktion

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