Der amerikanische Albtraum ist für Denise Huskins und Aaron Quinn noch nicht vorbei

Die Medien nannten Denise Huskins „das echte Gone Girl“, doch die True-Crime-Doku Ein amerikanischer Albtraum enthüllt eine weitaus verstörendere Geschichte. Wo sind sie und ihr Partner Aaron Quinn heute?

Achtung: Dieser Artikel enthält Schilderungen von sexualisierter Gewalt sowie große Spoiler zur Doku.

Wenn Horror zur Realität wird, hoffen die Betroffenen auf Gerechtigkeit – oder zumindest, dass man ihnen glaubt. Doch leider erweist sich das riesige, verworrene Strafrechtssystem der USA nicht immer als zuverlässig.

Am 23. März 2015 werden Denise Huskins und ihr Freund Aaron Quinn mitten in der Nacht von einem Einbrecher geweckt. Huskins wird entführt – und was dann geschieht, ist das Thema von Ein amerikanischer Albtraum, der neuen Doku-Serie der Filmemacherinnen Felicity Morris und Bernadette Higgins (Der Tinder Schwindler).

„Viele Kriminalgeschichten sind von Anfang an sehr geradlinig und offensichtlich. Aber diese Geschichte ist faszinierend: Jedes Mal, wenn man denkt, man weiß, was wirklich passiert ist, gibt es eine neue Wendung“, sagt Higgins gegenüber Netflix. „Jeder denkt, dass er das Ende von Anfang an kennt. Doch bei dieser Geschichte hätten nur wenige Menschen vorhergesehen, was die Wahrheit ist.“

Aaron Quinn und Denise Huskins waren beide Physiotherapeuten im selben örtlichen Krankenhaus.

Die Geschichte von Huskins' Verschwinden löste in den USA und weltweit einen Wirbelsturm an Schlagzeilen und Spekulationen aus. Viele verglichen sie mit Gone Girl – dem erfolgreichen Film von 2014, der auf Gillian Flynns Roman basiert.

Auch in Gone Girl verschwindet eine Frau plötzlich. Nach und nach deckt die Polizei auf, dass die Beziehung zwischen dem Schriftsteller Nick Dunne (Ben Affleck) und der verschollenen Amy (Rosamund Pike) gar nicht die Bilderbuch-Romanze war, nach der sie von außen aussah. Nick wird immer verdächtiger, die Medien und die Weltöffentlichkeit verurteilen ihn bereits. Doch dann stellt sich am Ende des Films heraus, dass Amy ihre Entführung nur inszeniert hat. In Wirklichkeit ist sie eine Soziopathin, die sich an Nick für Kränkungen rächen wollte.

Ben Affleck als Nick Dunne in Gone Girl.

Als Denise Huskins entführt wird und wieder auftaucht, fragen die Medien: Ist auch sie ein Gone Girl à la Amy? Lügt sie?

Auch die Polizei glaubt ihr nicht: Die Strafverfolgungsbehörden behaupteten, die Schilderung des jungen Paares sei zu weit hergeholt.

Die dreiteilige Doku-Serie  Ein amerikanischer Albtraum zeigt mit einer Mischung aus Verhörmaterial und neuen Interviews auf, wie schnell wir oft über andere urteilen – und was passiert, wenn die Polizei sich früh auf eine Version der Geschichte festlegt, die nicht weiter von der Realität entfernt sein könnte.

Was geschah mit Denise Huskins?

Huskins und Quinn lernten sich 2014 in der Bay Area-Stadt Vallejo, Kalifornien, kennen, als sie beide als Physiotherapeut*innen in einem örtlichen Krankenhaus arbeiteten. Am 23. März 2015 wurde das Paar in ihrem Zuhause gegen 3 Uhr morgens von einem blinkenden weißen Licht, roten Laserpunkten und einer Gruppe von Eindringlingen in Neoprenanzügen aufgeschreckt.

„Aufwachen, das ist ein Überfall“, sagte einer der Männer. Dann fesselte er das Paar mit Kabelbindern, setzte ihnen mit schwarzem Klebeband abgedeckte Schutzbrillen und Kopfhörer auf. Über die Kopfhörer hörten sie vorab aufgezeichnete Nachrichten: Eine Stimme sagte ihnen, dass ihnen nun Beruhigungsmittel verabreicht würden – notfalls mit Gewalt. Der Einbrecher sagte zu Denise Huskins: „Wir werden Folgendes tun: Wir werden dich für 48 Stunden festhalten.“ Er sperrte sie in den Kofferraum von Quinns Auto und fuhr davon.

Aaron Quinn erzählt in der Doku Ein amerikanischer Albtraum von der Nacht des 23. März 2015.

Huskins tauchte etwas mehr als 48 Stunden später wieder auf. Rund 640 Kilometer entfernt in Huntington Beach, Kalifornien, in der Nähe des Hauses ihres Vaters. Sie schien unverletzt zu sein. Später berichtete sie, dass sie von ihrem Entführer zweimal vergewaltigt worden war.

Leider war Huskins' Erlebnis nur das erste von mehreren Traumata, die die beiden erleiden sollten.

Warum nannten die Medien Denise Huskins das „Gone Girl“ des wahren Lebens?

Die Verfilmung des Bestsellers Gone Girl kam nur ein Jahr vor dem Einbruch in die Kinos. Die Schlagzeilen zogen schnell Parallelen zwischen der fiktiven Thrillergeschichte und den erschütternden Details von Huskins' Entführung auf.

Denise Huskins leidet noch heute unter dem Trauma – und darunter, dass die Polizei sie öffentlich als Lügnerin darstellte.

Während Huskins verschwunden war, wurde Quinn stundenlang von Polizisten aus Vallejo und FBI-Agenten intensiv verhört, um ihm ein Geständnis zu entlocken. Als Huskins zurückkehrte, beschuldigte die Polizei die beiden, einen ausgeklügelten Schwindel koordiniert zu haben.

Haben Denise Huskins und Aaron Quinn die Wahrheit gesagt?

Spätere Entwicklungen bestätigten alle schwer fassbaren Details ihrer Geschichte. Aber nicht, bevor die beiden von der Polizei in Vallejo in die Mangel genommen wurden. Die Ermittler weigern sich, ihrer Darstellung zu glauben.

„Es ergab keinen Sinn, dass die Strafverfolgungsbehörden – ausgerechnet die Leute, die die Macht haben, zu ermitteln und zu helfen – sich einfach gegen einen wenden. Das machte die Situation noch viel beängstigender“, so Huskins gegenüber Tudum. Neun Jahre später sind sie und Aaron Quinn immer noch zusammen und denken oft über das Erlebte nach. „Später fand ich heraus, welche Beweise die Behörden damals hatten, die sie nicht genutzt haben und die mich hätten retten können. Es gab einfach so viele Schichten von Verrat und Ungerechtigkeit.“

Die Polizeibehörde von Vallejo hielt eine Pressekonferenz ab, in der sie die beiden beschuldigte, staatliche Mittel zu verschwenden. Doch dann erhielten Huskins und Quinn von unerwarteter Seite Recht.

Sergeant Misty Carausu, damals Polizeibeamtin in Dublin, Kalifornien, hatte jemanden nach einer anderen Entführung verhaftet: Matthew Muller, einen ehemaligen Marinesoldaten.

Carausu fiel auf, dass Mullers Vorgehensweise den Details im Fall Vallejo ähnelte. Als sie die Hütte in South Lake Tahoe untersuchte, in der Muller damals lebte, fand Carausu neben anderen verdächtigen Gegenständen eine Spielzeugpistole mit einem angebrachten Laserpointer und eine mit Klebeband abgedunkelte Schutzbrille. An einer der Brillen hing eine lange blonde Haarsträhne – was Carausu weiter davon überzeugte, dass Muller für die Entführung von Huskins verantwortlich war.

Die Dubliner Polizei nahm schließlich den wahren Täter Matthew Muller fest.

Muller wurde schließlich wegen Entführung, Raubes und Vergewaltigung im Zusammenhang mit dem Überfall in Vallejo zu 40 Jahren Gefängnis verurteilt.

Huskins sagte aus, dass Muller nicht allein gehandelt haben kann, obwohl er bisher als Einziger angeklagt wurde. Trotz des Urteils spürt Huskins immer noch das Trauma als Opfer von sexueller Gewalt, das nicht nur von ihren Entführern, sondern auch von der Polizei schikaniert wurde. Ein amerikanischer Albtraum bringt die beunruhigende Belastung für Frauen in solchen Fällen auf den Punkt: „Ich weiß nicht, was man mir alles hätte antun müssen, was mit jeder Frau geschehen muss, damit man uns glaubt“, sagt Huskins in der Doku-Serie.

Hat sich die Polizei von Vallejo jemals entschuldigt?

Nachdem der Fall aufgeklärt worden war, schrieb der damalige Polizeichef von Vallejo, Andrew Bidou, einen Brief. In diesem entschuldigte er sich bei Huskins und Quinn und erklärte, dass die „Schlussfolgerungen der Abteilung falsch waren“.

Abgesehen davon herrschte bei der Polizei von Vallejo sechs Jahre lang Funkstille – bis sie sich schließlich öffentlich entschuldigte, als sie für eine Fernsehreportage kontaktiert wurde. Nachdem das Ehepaar die Stadt Vallejo wegen Verleumdung verklagt hatte, erhielt es schließlich 2,5 Millionen Dollar in einem außergerichtlichen Vergleich.

Paul Schrodt, TUDUM / Netflixwoche