Geniestreichen ist es immanent, dass sie nicht immer gleich als solche erkannt werden. Jedenfalls nicht von der großen (zahlenden) Masse. Hätte man seine Klasse gleich bemerkt und honoriert, der zu Lebzeiten erfolglose van Gogh hätte wohl beide Ohren behalten.

Ebenfalls spät zu Ruhm gekommen, ist Si Spencer, Schöpfer der Comicserie Bodies. Er veröffentlichte im Juni 2014 seine auf acht Comic-Bände angelegte Serie bei DC Vertigo, ohne dass die Welt oder wenigstens die Comicwelt groß aus den Fugen geriet. Gewiss, es gab gute Kritiken und es war auch kein Flop. Aber eben auch kein Mega-Seller; nichts, was man sich hinter die Ohren schreiben müsste.

Dieser Mega-Erfolg kommt aber nun mit der Netflix-Verfilmung, der Mini-Serie Bodies. Die Geschichte um eine mysteriöse Leiche, die zwischen 1890 und 2053 viermal am selben Ort im Londoner East End auftaucht, wurde von Showrunner Paul Tomalin grandios adaptiert.

Eine Leiche, ein Fundort, vier Jahrzehnte und vier Polizist*innen, die versuchen, den Fall aufzuklären.

Alle vier Detektiv*innen sind auf ihre Weise Außenseiter, gehören zu Minderheiten und alle vier stoßen auf institutionelle Widerstände, als sie sich mit dem Fall der nicht identifizierten Leiche befassen.

Im Jahr 2023 ermittelt die muslimische Detective Sergeant Shahara Hasan (Amaka Okafor).

1941 in der teilweise zerstörten Stadt untersucht der jüdische Detective Sergeant Charles Whiteman (Jacob Fortune-Lloyd) die Angelegenheit.

1890 im viktorianischen London wird der homosexuelle Detective Inspector Alfred Hillinghead (Kyle Soller) mit seinem bisher schwersten Fall konfrontiert.

2053 im London der Zukunft, einem dystopischen Überwachungsstaat, bekommt es die mit einer Behinderung geborene Detective Iris Maplewood (Shira Haas) mit derselben Leiche zu tun.

Wie unterscheidet sich die Netflix-Verfilmung von der Comicvorlage?

Starke Hauptfiguren, die schon den Comic von Spencer auszeichneten, wurden durch großartige Schauspieler*innen in der Verfilmung noch lebendiger, noch authentischer, als es ein Comic sein kann.

Der größte Unterschied zum Comic besteht darin, dass Paul Tomalin sich bei der Verfilmung für einen durchgehenden und einheitlichen Look & Feel entschied. Si Spencer hatte bei seinen Comicbücher für jede Zeitebene eine andere Zeichner*in engagiert.

Meghan Hetrick, Tula Lotay, Dean Ormston und Phil Winslade teilten sich die Aufgaben. Hetrick zeichnete die Gegenwart. Sie hat einen cartoonhaften und doch detaillierten Strich. Eine Mischung aus Schattierung und Schraffur.

Dean Ormston hat 1890 gezeichnet, er hat einen klassischen Stil, sehr naturgetreu. Mit vielen Details gelingt es ihm, Stimmungen abzubilden.

Lotay arbeitete an der futuristischen Geschichte. Sie überrascht mit sehr hellen Settings und ungewöhnlichen, ziemlich radikalen Science-Fiction-Illustrationen.

Einen krassen Gegensatz zu Lotay bildet Phil Winslade, dessen 1940er-Teil der düsterste von allen ist.

Die Mischung von Künstlern mit eigenem Stil macht dann auch neben der fesselnden Geschichte den Reiz der Comicbücher aus. Autor Si Spencer erlebt den filmischen Erfolg seiner Serie leider nicht mehr mit. Spencer starb 2021, im Alter von 59 Jahren an Herzversagen.

Netflixwoche Redaktion

Drücke ESC, um die Suche zu schließen.