BERLIN: Wie der Narzisst aus Haus des Geldes zum Publikumsliebling wurde

„Ein Exzentriker mit Tendenz zur Megalomanie, was ihn daran hindert, Gut und Böse zu unterscheiden.“ Hinter dieser Charakterbeschreibung verbirgt sich Andrés de Fonollosa – besser bekannt als Berlin, einer der Bankräuber*innen im Serienhit Haus des Geldes. Dort war der Charakter so beliebt, dass er nun in einem eigenen Spin-off zu sehen ist.

BERLIN dreht sich um einen Raubüberfall in Paris, „der ganz Europa bewegen wird“. Kein einfaches Unterfangen, weshalb sich Berlin (Pedro Alonso) für die Mission die Unterstützung einer Diebesbande sichert. Für die IT ist Keila (​​Michelle Jenner) zuständig, ein schüchternes Computergenie. Damián (Tristán Ulloa), ein zerstreuter Unidozent, kümmert sich um die Recherche. Hinzu kommt Roi (Julio Peña Fernández), ein Experte im Schlösserknacken und Berlins Protegé. Der waghalsige Draufgänger Bruce (Joel Sanchez) ist Mann für alles und der adrenalinsüchtige Neuzugang Cameron (Begoña Vargas) sowas wie die Wildcard der Gruppe. Gemeinsam will die Bande mit einem Streich die Edelsteine von 63 europäischen Königshäusern stehlen. Der Gesamtwert? Schlappe 44 Millionen Euro.

Berlin (Pedro Alonso) ist zurück und hat eine neue Crew.

Frauenfeindlich, narzisstisch, kaltblütig – Warum lieben wir Berlin trotzdem?

In Haus des Geldes erleben wir Berlin als frauenfeindlichen Narzisst. Wie kam es also dazu, dass ausgerechnet für diesen Antihelden eine eigene Serie geschrieben wurde? In der Originalserie führt Berlin unter Regie des „Professors“ den Überfall auf die spanische Münze in Madrid an und geht dabei äußerst kaltblütig vor. Er sät Terror unter den Geiseln, bedroht seine Mitstreiter*innen und schreckt auch vor Mord nicht zurück. Dabei macht Berlin nicht nur deutlich, wie wenig er insbesondere von Frauen hält, sondern auch von anderen Menschen im Allgemeinen. Er ist kein angenehmer, aber ein komplexer Zeitgenosse – und das macht ihn so interessant:

Berlin ist ein Showman

Er mag ein pathologisches Geltungsbedürfnis haben, doch das kaschiert Berlin mit Charisma. Wer ihn nicht kennt, läuft Gefahr, sich durch seinen Charme übers Ohr hauen zu lassen.

Berlin gibt sich im Interview mit der Kamera-Crew emotional.

Als in Haus des Geldes ein Kamerateam die Befreiung einer Gruppe Geiseln begleitet, legt er einen so emotionalen Auftritt hin, dass am Ende das ganze Land Mitgefühl für ihn und den Rest der Crew empfindet. „Noch nie habe ich eine Frau verkauft!“, sagt er mit Nachdruck und Tränen in den Augen und wehrt sich so gegen die falschen Anschuldigungen gegen ihn. Das mag stimmen. Aber beeindruckend an der Szene ist, wie Berlin es schafft, dass dadurch seine wirklich begangenen Verbrechen in den Hintergrund geraten. Manipulation schafft der Mann mit links (und Kopfwunde).

Er tut, was er für nötig hält

Berlin hat trotz seiner Skrupellosigkeit Prinzipien und Moral. Er ist ein gefährlicher Charakter, aber auch jemand, der sich nicht verstellt.

Zwar will er eine Geisel hinrichten lassen, jedoch nur, weil sie den gesamten Plan hätte platzen lassen können. Und dieser Plan ist der Lebensinhalt seines kleinen Bruders. Als die Frau überlebt, beharrt er nicht auf seiner Entscheidung, weil die neue Situation ihren Tod in seinen Augen nicht mehr erfordert. Auch wenn er den Zivilist*innen im Gebäude seiner mentalen Tortur aussetzt, tut er das vor allem, um die Leute in Schach zu halten. Nur so hat die Crew die notwendige Zeit, um ihren Bankraub auszuführen.

Bruce steht mitten im Briefing auf, um sich ein Gläschen Schampus zu gönnen. Berlin lässt ihn zur Strafe die ganze Flasche austrinken.

Berlin mag gefühlskalt sein, aber er ist mehr Pragmatiker als Sadist. Und auch wenn der Meisterdieb in BERLIN noch wesentlich froheren Gemüts ist, greift er hart durch, wenn er findet, jemand stellt seine Autorität infrage. Das bekommt auch Bruce zu spüren, als er eine wichtige Besprechung unterbricht, und zur Strafe eine ganze Flasche Champagner auf einmal austrinken muss.

In seltenen Momenten zeigt Berlin Mitgefühl

In der ersten Staffel Haus des Geldes lässt Berlin zwei serbische Veteranen seine Drecksarbeit machen. Heißt: Leute bedrohen oder ein Mitglied der Gruppe zusammenschlagen. Berlin gibt keinen Anlass zu denken, dass er für seine Schergen einen Funken Empathie haben könnte. Doch als einer der beiden schwer verletzt wird, gibt Berlin sich dessen Partner gegenüber mitfühlend.

Nachdem Moskau von den Kugeln der Einsatzkräfte getroffen wird, fordert Berlin bei der Polizei einen Chirurgen an.

Auch als der Überfall zu einem weiteren Opfer auf Seiten der Bankräuber*innen führt, tut er sein Bestes, um dem Mann das Leben zu retten, statt ihn seinem Schicksal zu überlassen.

Mit wenigen Ausnahmen bringt ihm das Leid anderer keinen Spaß, es berührt ihn nur nicht persönlich. Zeigt er Empathie, ist das ein Ausdruck von einem Maß an Verbundenheit, die er nur gegenüber wenigen zulässt. In BERLIN erlebt das Publikum ihn richtiggehend väterlich, da er sich als eine Art Lehrer für Roi versteht.

Berlin ist loyal

Dass ihm andere nicht ausnahmslos egal sind, zeigt sich in Haus des Geldes, als der Überfall auf die Münze nicht mehr läuft wie geplant. Mitstreiterin Tokyo (Úrsula Corberó) verliert die Nerven und will die ganze Operation abbrechen. Sie bedroht Berlin mit einem Revolver, der nur eine Patrone enthält. Immer wieder drückt sie ab, damit er den Notfallplan enthüllt, mit dessen Hilfe der Bande die sichere Flucht gelingen soll. Aber damit würde er sich gegen die Vorschriften seines Bruders richten, der Berlin genaue Anweisungen gegeben hat, wann die Gruppe diesen Notausgang nehmen kann. Darum riskiert Berlin lieber bei einer Partie Russisch Roulette sein Leben, als sich gegen den Professor zu stellen.

Berlin hält dem Professor die Treue.

Dass ihm andere nicht ausnahmslos egal sind, zeigt sich in Haus des Geldes, als der Überfall auf die Münze nicht mehr läuft wie geplant. Mitstreiterin Tokyo (Úrsula Corberó) verliert die Nerven und will die ganze Operation abbrechen. Sie bedroht Berlin mit einem Revolver, der nur eine Patrone enthält. Immer wieder drückt sie ab, damit er den Notfallplan enthüllt, mit dessen Hilfe der Bande die sichere Flucht gelingen soll. Aber damit würde er sich gegen die Vorschriften seines Bruders richten, der Berlin genaue Anweisungen gegeben hat, wann die Gruppe diesen Notausgang nehmen kann. Darum riskiert Berlin lieber bei einer Partie Russisch Roulette sein Leben, als sich gegen den Professor zu stellen.

Comedic Timing hat er drauf

Berlin ist bekannt dafür, große Reden zu schwingen, insbesondere wenn er andere bedroht. Als er in Haus des Geldes im Begriff  ist, eines der Bandenmitglieder zu erschießen, schwört er, das Todesurteil mit ruhigem Puls auszuführen. Zu dem Zeitpunkt ist Berlins schwere Muskelerkrankung schon weit fortgeschritten, weshalb er oft mit einem starken Tremor zu kämpfen hat. Er schafft es nicht, abzudrücken und wedelt frustriert mit der Waffe durch die Luft. Dann zuckt er resigniert mit den Schultern und lenkt ein: „Okay, ich zittere ein wenig.“

Seine Erkrankung macht Berlin im entscheidenden Moment einen Strich durch die Rechnung.

Wie keinem anderen in der Serie gelingt es Berlin, gleichzeitig gefährlich und unterhaltsam zu sein. Er findet, es sei wichtig, „dem Tod mit Humor zu begegnen.“ Auch im Spin-off hat Berlin immer einen Spruch auf den Lippen. Zum Beispiel, als er sich bei einem Raub als Polizist ausgibt und sich ausweisen soll. „Sie wollten meine Marke sehen, nicht wahr? Hier ist sie, eine Beretta 9mm.“

Harte Schale und ein etwas weniger harter Kern

Wenn Berlin gerade keine frauenfeindlichen Parolen von sich gibt oder seine autoritären Fantasien von bedingungslosem Gehorsam darlegt, zeigt er sich ab und zu von seiner menschlichen Seite. Zum Beispiel, als er versucht, eine der Geiseln davon zu überzeugen, mit ihm zu fliehen und bis zu seinem Tod an seiner Seite zu bleiben. In diesem Moment wird deutlich, dass auch Berlin sich nach Liebe sehnt.

„Die Energie der Liebe. Das vermisse ich.“ Berlin schüttet Damián gegenüber sein Herz aus.

Das wird im Verlauf der Serie noch klarer, als das Publikum erfährt, wie oft er verheiratet war und wie erniedrigend mindestens eine dieser Ehen für ihn endete. Das Verlangen, geachtet und geliebt zu werden, mag in seiner narzisstischen Natur liegen, ist aber auch ein menschliches Grundbedürfnis.

In seinem Spin-off ist ein liebestoller Berlin sogar noch so von einer neuen Romanze angetan, dass er fast den geplanten Coup aus den Augen verliert.

Cool ist sein zweiter Vorname

Die Öffentlichmachung seiner Identität, der Ausbruch der Geiseln, das Verschwinden seines Bruders …Es braucht einiges, um Berlin aus der Fassung zu bringen. Zwar kann er mal aus der Haut fahren, insbesondere, wenn seine Ehre oder Autorität angezweifelt wird. Aber kommt es Hart auf Hart, behält Berlin seine Nerven.

Das zeigt sich auch in dem Moment, als ein Sondereinsatzkommando im Begriff ist, die Bande von der Flucht abzuhalten. Ohne lange zu fackeln, beschließt Berlin, zurückzubleiben und sich den Einsatzkräften in den Weg zu stellen – auch wenn es ihn das Leben kostet.

Wenn andere den Kopf in den Sand stecken, blüht Berlin auf.

Sich schnell ein Urteil über Berlin zu bilden, ist leicht. Wer der Figur länger zusieht, wird seine Meinung über ihn vielleicht nicht ändern – aber garantiert gut unterhalten werden. Komplexität kann er.

In BERLIN zeigt der Meisterdieb noch mehr Facetten seines Charakters, der noch nicht von der Diagnose mit einer tödlichen Krankheit getrübt ist. Doch eins weiß Berlin bereits im Spin-off: „Ein Raub folgt keinem Plan. Er folgt einem Lehrplan.“

Fans von Haus des Geldes wissen ganz genau, von wem dieses Zitat stammt.

Saba MBoundza, Netflixwoche

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