Wie wahrscheinlich ist Liebe auf den ersten Blick?

Auf Netflix startet die neue RomCom Die statistische Wahrscheinlichkeit von Liebe auf den ersten Blick. Doch gibt es das? Liebe auf den ersten Blick?

Als der Motor langsam startet und die Propeller zu drehen beginnen, kneift Hadley (White Lotus-Darstellerin Haley Lu Richardson) ihre Augen fest zu. Ihre Hände packen die Lehne, dann Olivers (Ben Hardy, Bohemian Rhapsody) Hand. Sie drückt so fest, dass der Student sie besorgt ansieht. Was soll er ihr sagen? Sie haben sich erst im Wartebereich kennengelernt.

„Was ist dein Lieblingstier?“, fragt er. „Deine Lieblingsfarbe? Essen?“

Und spätestens als sie bei Lieblingszahlen sind, scheint Hadleys Angst verflogen – und Olivers Gefühle für die junge Fremde erweckt zu sein.

Die statistische Wahrscheinlichkeit von Liebe auf den ersten Blick ist Netflix’ neueste RomCom und basiert auf dem gleichnamigen Roman von Jennifer E. Smith. Im Mittelpunkt der Liebesgeschichte stehen Hadley und Oliver, die sich zufällig auf einem Flughafen in New York kennenlernen. Für beide ist es Liebe auf den ersten Blick, Schicksal, als sie dann noch im Flugzeug nebeneinander sitzen müssen. Doch als Hadley kurz vor der Zollkontrolle Olivers Nummer verliert, scheint eine Wiederbegegnung aussichtslos zu sein. Zumindest, wenn sich beide nicht aufmachen und einander in London suchen.

Jennifer E. Smith hat schon einige Jugendromane über Liebe geschrieben. Der erste Blick, der letzte Kuss und alles dazwischen wurde auch von Netflix verfilmt. Doch mit Die statistische Wahrscheinlichkeit von Liebe auf den ersten Blick hat sie bei der Romanveröffentlichung 2012 bereits einen Nerv getroffen. So hieß es damals in der amerikanischen Tageszeitung New York Times: „Jennifer E. Smiths neuester Roman ist eine wunderschöne herzerwärmende Erinnerung an die Macht des Schicksals und ein Echo des altbewährten mütterlichen Ratschlags: Liebe erwischt einen meistens dann, wenn man es am wenigsten erwartet.”

Doch ist das so? Kann Liebe eine*n plötzlich erwischen? Nur durch einen kurzen Blickkontakt? Oder im Falle von Oliver und Hadley: durch das Teilen einer Steckdose?

Eine Studie mit 400 Singles

Laut einem Artikel in der Süddeutschen Zeitung (SZ) glaubten bereits die Griechen in der Antike an Liebe auf den ersten Blick. Seither wird in unzähligen Geschichten, Liedern und Filmen über magische Momente und große Gefühle sinniert. 60 Prozent aller Menschen sollen laut einem Bericht in der US-Fachzeitschrift Psychology Today  Liebe auf den ersten Blick erfahren haben – oder jemanden kennen, dem das passiert.

„In Befragungen sagen etwa 30 Prozent der Teilnehmer, sie hätten das selbst erlebt, ja zehrten noch heute davon”, heißt es wiederum in der SZ – und weiter: „Nun nimmt es die Liebe generell mit der Wahrheit nicht so genau.”

Oliver (Ben Hardy) lernt Hadley am Flughafen kennen – und lieben.

2018 fanden Forscher*innen der Universität Groning heraus, dass wir Menschen Liebe auf den ersten Blick – oder was wir uns darunter vorstellen – nicht erleben.

Das Team um Florian Zsok ließ von rund 400 Proband*innen das Liebesgefühl in dem Moment bewerten, als sie eine*n potenzielle*n Partner*in zum ersten Mal trafen. Die Gefühle waren dabei „weder von großer Leidenschaft, noch von Intimität, noch von Engagement geprägt.“

Körperliche Anziehung war jedoch in hohem Maße vorhanden. Vor allem bei den männlichen Probanden. Was dazu führt, dass sich je nach Konstellation die jeweiligen Liebesmomente auch voneinander unterscheiden.

Anziehung statt Liebe

„Ein Vergleich der Teilnehmerberichte über Liebe auf den ersten Blick zeigte, dass es sich typischerweise um ein einseitiges Phänomen handelt“, zitiert Psychology Today die Studie. Dies deute darauf hin, dass erwiderte Liebe nicht sehr verbreitet sei. Die Forscher*innen vermuten, dass das intensive Ersterlebnis des einen Partners die Erinnerung des anderen prägen.

„Wir schlagen daher vor, dass Liebe auf den ersten Blick keine eigenständige Form der Liebe ist, sondern eher eine starke anfängliche Anziehung, die manche als Liebe auf den ersten Blick bezeichnen – entweder im Moment des ersten Blicks oder im Nachhinein“, schreiben die Forscher*innen um Florian Zsok.

Hadley fühlt sich von Oliver angezogen.

In einem Beitrag des deutschen Wissenschaftsmagazins Spektrum kommt der Wissenschaftler und Autor Bernhard Fink zu demselben Entschluss: „Bei der Liebe auf den ersten Blick steht mangels tiefer gehender Information die körperliche Anziehung im Vordergrund.“

Fink erklärt das Verliebtsein anhand von neurochemischen Vorgängen im Gehirn. Demnach sind bei Verliebten dieselben neuronalen Belohnungszentren aktiv wie beim Konsumieren von Drogen. „Doch damit sich die Bindungsmuster im Gehirn stabilisieren, bedarf es vieler gemeinsamer Erfahrungen und inniger Momente. Erst dann kann man von Liebe sprechen, wie wir den Begriff typischerweise verwenden.“

Sind Hadley und Oliver nun verliebt?

In Die statistische Wahrscheinlichkeit von Liebe auf den ersten Blick haben Hadley und Oliver nach ihrer ersten Begegnung über sechs gemeinsame Stunden im Flugzeug. Sie lernen viel voneinander, stellen Gemeinsamkeiten fest und wenn sie sich nahe kommen, zittern ihre Körper. Ein Indikator für den Reiz des Gegenübers? Oder reicht die Zeit und die Zeichen schon für Liebe?

Über den Wolken lachen und teilen sie sich ihre Sorgen.

Die amerikanische Psychologie Dr. Susan Albers erklärte es kürzlich dem US-Sender CBS News wie folgt: „Sobald wir uns dieser Anziehungskraft bewusst werden, wird unser Körper mit Dopamin überflutet.“ Das seien jene Botenstoffe, die uns das Gefühl geben, anderen Menschen nah und verbunden zu sein.

Albers beruft sich ebenfalls auf eine Studie, die die anfängliche Liebe mit Drogenkonsum gleichsetzt. Ob die Liebesverbindung demnächst wächst und anhält, das sei die Geschichte echter Liebe.

Doch auch bei echter Liebe ist Vorsicht geboten: „Denn Liebe ist nach Aussagen von Wissenschaftler*innen und Therapeut*innen oft vor allem eins: Arbeit“, berichtet die WDR-Wissenschaftssendung Quarks.

Und so scheint Die statistische Wahrscheinlichkeit von Liebe auf den ersten Blick zumindest einen guten Einblick zu geben: Denn nachdem Hadley und Oliver sich ihrer Anziehung im Flugzeug bewusst wurden, mussten sie einige Umwege und Risiken auf sich nehmen, um sich endlich wirklich näher zu kommen.

Netflixwoche Redaktion

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