Eine Fortbildung in New York verspricht Debbie den ersten Ausflug seit Ewigkeiten, weg von ihrer Verantwortung als Mutter. „Wer weiß“, sagt ihr bester Freund Peter am Telefon, „vielleicht lernst du jemanden kennen, während du hier bist.“ Debbie: „Wie du weißt, ist mein Herz ein kalter, harter Stein.“
Debbie (Reese Witherspoon) ist alleinerziehend. Sie bezahlt ihr eigenes Haus in L.A. ab und beschriftet vorgekochte Aufläufe mit dem Wochentag. Peter (Ashton Kutcher) ist Junggeselle in New York. In seinem Apartment steht eine einsame Designer-Chaiselongue, an den Gläsern im Küchenschrank kleben noch die Preisschilder.
In der neuen romantischen Komödie Your Place Or Mine auf Netflix geht es um sehr unterschiedliche beste Freunde. Und um eine Woche, die ihre beiden Leben – und Gefühle zueinander – entscheidend verändern wird.
Romantische Komödien zeigen uns eine moderne Märchenwelt, in der es Seelenverwandtschaft, Schicksal, Traumprinzen und Happy Endings gibt. Oft wird sich über ihre ironiefreie Rührseligkeit lustig gemacht. Was abgeklärte Kritiker*innen dabei nicht zugeben: RomComs machen gerade deshalb so viel Spaß.
Sie tun das, was gute Filme machen sollen: Uns in Welten mitnehmen, von denen wir sonst nur träumen können. Hier darum eine Sammlung von 15 RomCom-Klischees, die uns immer wieder aufs Neue mitfiebern lassen.
1. Die schicksalshafte erste Begegnung
Eine Hollywood-Schauspielerin, die sich vor Paparazzi versteckt, trifft einen scheuen Buchladenbesitzer (Notting Hill). Ein Flirtprofi blitzt in einer Bar unerwartet bei einer Frau ab – und ist auf der Stelle fasziniert (Crazy Stupid Love). Erste RomCom-Begegnungen sind so essentiell, dass es im Englischen ein Wort dafür gibt: „Meet Cute“. Manchen Quellen zufolge soll das erste „Meet Cute“ 1938 in der romantischen Komödie Blaubarts achte Frau (Ernst Lubitsch) stattgefunden haben. Beim Pyjamas shoppen hat Gary Cooper darin eine reizende (cute) erste Begegnung (meet) mit einer Dame.
2. Journalistin, Journalist, Architekt
Die Dating-Seite elitesingles.com hat zusammengetragen, in welchen Jobs die Hauptcharaktere von RomComs am häufigsten arbeiten. Das Ergebnis: Männer sind Journalisten, Architekten oder Geschäftsmänner. Frauen sind Journalistinnen, persönliche Assistentinnen oder Kellnerinnen. Aber egal welcher akademische Grad und welche Einkommensklasse: Sie führen meist ein großstädtisches Designerleben. Sie fahren Aufzug in Wolkenkratzern, spazieren mit Latte-To-Go in der Hand durch den New Yorker Central Park oder sitzen in Redaktionskonferenzen von Fashion-Magazinen. Unzufrieden sind sie trotzdem. Wie soll man seinen aufwändigen Lebensstil denn auch genießen, ohne die perfekte Partner*in?
3. Der Sex ist … irgendwie öde?
Wenn man überhaupt Sex in RomComs sieht, bevor die Verliebten – Schnitt – keuchend und schwitzend auf der Matratze liegen, ist das Ganze nicht besonders spektakulär. Die wenigen Sekunden Missionarsstellung, die zwischen dem intensiven Blick und der Erschöpfung liegen, wirken nicht wie der heiße Anfang einer Beziehung. Eher wie ein paar Jahre sexuelle Abkühlung. Aber klar: In RomComs geht es vor allem um die Spannung vor dem eigentlichen Akt. Und die Menschen in den Filmen sehen schon so begehrenswert aus, dass ihre Bett-Performance nebensächlich wird.
4. Gegensätze ziehen sich an
Die Karrierefrau trifft einen Countryboy, der ihr zeigt, was im Leben wirklich zählt (A Perfect Pairing). Der Junggeselle, den bisher keine „zähmen“ konnte, überdenkt seinen Lebensstil, als er eine Frau kennenlernt, die Brille trägt und Bücher liest (Die nackte Wahrheit). Ein Mädchen aus einfachen Verhältnissen verliebt sich in einen Prinzen/Geschäftsmann/Erben und eckt in der Welt der Oberschicht an (Crazy Rich). Romcoms versprechen: Je unterschiedlicher zwei Menschen sind, desto besser passen sie zusammen.
5. Enemies to Lovers
In Clueless sind Cher und Josh durch die Beziehung ihrer Eltern gezwungen, zusammen in einem Haus zu wohnen. Die Highschool-Fashionista und der Anti-Establishment-Grunger ätzen sich nur an. Zunächst. In So spielt das Leben finden sich die Hauptfiguren nach einem katastrophalen Date als Pateneltern wieder und kommen sich doch nah. Hassen bringt schon mal eine Menge Leidenschaft mit sich. Bis zur Liebe ist es dann auch nicht mehr weit, behaupten RomComs. Die Chemie, die in RomComs zwischen „Feinden“ herrscht, bestätigt das.
6. Friends to Lovers
RomComs sind wohl mitverantwortlich für einen Mythos, der sich bis heute hartnäckig hält: Frauen und Männer können keine Freund*innen sein. Was in der Realität nicht stimmt, ist in der Welt der RomCom eine in Beton gegossene Regel: Zwei attraktive heterosexuelle cisgeschlechtliche Menschen, die gerne Zeit miteinander verbringen, verlieben sich. Immer. Punkt. Und zwar in etwa so: Person eins ist schon jahrelang heimlich in Person zwei verliebt. Die braucht aber eine Weile, um ihre eigenen Gefühle zu bemerken. Manchmal wollen Freunde Mit Gewissen Vorzügen unverbindlich miteinander schlafen. Nicht im RomCom-Universum. Und Charaktere, die befreundet sind, nachdem sie romantisch gescheitert sind (Always Be My Maybe)? Sie trifft der Liebes-Boomerang. Keine Freundschaft ist sicher.
7. Toxisch? Romantisch!
In RomComs gilt die Daumenregel: Solange das Ganze in Versöhnung endet, ist vorher alles erlaubt. Oft grenzen die Pläne, um die Geliebte zu gewinnen, an Stalking. Extreme Eifersucht ist in RomComs nicht etwa therapiebedürftig, sondern der absolute Liebesbeweis. Und Fremdgehen ist sowieso nicht so wild, solange man den nervigen alten Partner mit seiner großen Liebe betrügt. Im Namen der Liebe sind in der Anarcho-Welt RomCom alle Mittel recht!
8. Sidekicks, die stillen Malocher*innen
Jederzeit abrufbereit, immer loyal und stets hilfsbereit: Die Rede ist nicht von Telefonseelsorger*innen im Schichtdienst, sondern von besten Freund*innen in RomComs. Mit einer ähnlichen Arbeitsmoral hören sie sich jedes Detail des Liebesdilemmas an, das sich im Leben der Hauptfigur abspielt, ohne je etwas zurückzubekommen. Obendrauf haben sie gute Ratschläge parat und sind immer in bester Stimmung. Sidekicks in RomComs sind oft single oder queer. Sie müssten auch einiges auf dem Herzen haben. Jede*r von ihnen hat mindestens ein fiktives Spa-Wochenende für die Rundumbetreuung ich-bezogener Hauptfiguren verdient.
9. Wir stecken hier zusammen drin
Verlieben wird in RomComs oft zur Teambuilding-Maßnahme. Ein beliebtes Setup besteht darin, zwei Menschen zusammen in eine unausweichliche Situation zu stecken. Das schweißt zusammen. Das Feststecken reicht vom ungeplanten gemeinsamen Ressorturlaub (Urlaubsreif), über Elternschaft durch Samenspende (Umständlich verliebt) bis zum Zeugenschutzprogramm (Haben Sie das von den Morgans gehört?). Wenn man nicht weg kann, so das Credo, muss man sich eben miteinander arrangieren. Romantisch.
10. Die Fake-Beziehung
RomCom-Charaktere lieben durchgeknallte Pläne und komplizierte Täuschungsmanöver. Das bei weitem beliebteste: eine Fake-Beziehung führen. Die Gründe können sehr verschieden sein: Manche fake-daten, um die Studiengebühren ihrer Traumuni bezahlen zu können (The Perfect Date). Andere, um eine neue Flamme zu beeindrucken (Meine erfundene Frau). Und wieder andere, damit ihre Verwandten über die Feiertagen endlich Ruhe geben (Holidate). In jedem Fall wird aus fake schnell real, wie es eben nur in einem wahren Hollywood-Märchen möglich ist.
11. Der oder der?
Wer kennt dieses Dilemma nicht: Zwei extrem attraktive Anwärter buhlen gleichzeitig um einen und man kann sich nicht zwischen ihnen entscheiden. Wichtig zu beachten bei diesem authentischen Szenario: Es gibt nur einen Richtigen. Der andere mag zwar perfekt wirken, aber der „Good on paper-Guy” sieht eben nur auf dem Papier gut aus. Wie man den Richtigen erkennt, lernt man zum Beispiel in To All The Boys: P.S. I Still Love You oder Woher weißt du, dass es Liebe ist? Ein Anhaltspunkt: Es ist selten der Reiche, der gut bei den Eltern ankommt.
12. Das Glow-Up
Haare auf, Brille runter und in die Highheels. In der RomCom kann ein Make-Over das komplette Schicksal wenden – von der peinlichen Streberin zur Ballkönigin. Oder von der burschikosen FBI-Agentin zum Model, das bei einem Schönheitswettbewerb antritt (Miss Undercover). Oder von der unscheinbaren Kellnerin zur wunderschönen Braut (My Big Fat Greek Wedding). Das Glow-Up der weiblichen Hauptfigur ist nicht nur für ihre Charakterentwicklung wichtig, sondern auch ihr Ticket zum Mann. Er verliebt sich am wahrscheinlichsten, wenn sie geschminkt im Ballkleid die Treppenstufen hinabschreitet.
13. Schamloser Wohn-Luxus
Das größte Märchen in der Geschichte der RomComs ist wohl die Wohnsituation ihrer Protagonist*innen. Die weibliche Hauptfigur mietet in der Regel allein eine Zweizimmerwohnung an der Upper Eastside. Der männliche Hauptcharakter wohnt in einem Smart-Home mit Panoramablick über die Brooklyn Bridge. In der Welt der RomComs gibt es keine Inflation und Immobilienkrise. Es würde vermutlich auch weniger Spaß machen, Carrie Bradshaw in Sex And The City beim Kolumnenschreiben zuzusehen, wenn sie dabei in einem verschimmelten WG-Zimmer sitzt und ihr Wasser auf den Kopf tropft. Am Ende der meisten RomComs werden City-Lofts für märchenhafte Vorort-Immobilien oder urige Hütten im alaskischen Fischerdorf bezogen. Es lebe die Fiktion!
14. Die große Geste
Irgendwann in jeder RomCom macht jemand einen Fehler oder beichtet eine Lüge. Das Aus der großen Liebe. Geknickt packt eine Person ihre Koffer und macht sich bereit zur Abreise. Aber was ist das? Die andere Person ist ihr hinterher gehetzt. Dann folgt eine Geste, die so waghalsig, verrückt oder penetrant ist, dass es keine andere Wahl mehr gibt, als zusammenzukommen. Requisiten für die Liebeserklärung sind beispielsweise Hochzeiten (mit dem Falschen), riesige Schilder, weiße Limousinen und Ghettoblaster. Die Szene endet mit einem Kuss zum Applaus der umstehenden Passant*innen.
15. Liebe bis in alle Ewigkeit
Ist die Geste vollbracht und man gemeinsam in der Vorstadt angekommen, kann der richtige Spaß beginnen. Das Suchen und Sehen ist vorbei, der Seelenpartner gefunden, ab jetzt wird alles easy. Der Anfang vom Rest des Lebens wird meist in den letzten drei Minuten angedeutet: Familienidylle. Das Verlieben ist der Kompetenzbereich der RomCom. Die Kleinigkeiten, die danach in Beziehungen passieren können, behandeln eher Filme wie Marriage Story oder Pieces Of A Woman. Die sollte man sich vielleicht für einen anderen Filmabend aufheben.
Emeli Glaser, Netflixwoche