Carla Gugino: „Verna ist wie eine Sinfonie“

Seit kurzem läuft Der Untergang des Hauses Usher auf Netflix. Eine Horrorserie von Mike Flanagan. Carla Gugino erzählte am Set von ihrer Rolle als Gestaltwandlerin und einer größeren Geschichte über die Opiod-Epidemie.

Hinweis: Die folgenden Interviews wurden im Frühjahr 2022 geführt. Der Artikel enthält außerdem Spoiler.

Carla Gugino war nicht immer an Horror interessiert. „Das war nie ein Genre, zu dem ich mich besonders hingezogen gefühlt habe“, sagte sie während der Produktion von Der Untergang des Hauses Usher. Diese Aussage mag überraschen, wenn man bedenkt, dass Gugino ein vertrautes Gesicht in Mike Flanagans Ensembles geworden ist: Sie spielte bereits in Das SpielSpuk in Hill HouseSpuk in Bly Manor und in Midnight Mass mit.

Was sie schließlich überzeugte, war die nuancierte Auseinandersetzung des Schöpfers und Regisseurs mit dem Thema Horror. „Einige der Geschichten, die er erzählt, sind sehr tiefgründig. Aber sie sind zufällig in einem Genre angesiedelt, so dass man sie in gewisser Weise mit [Horror-]Elementen verschleiern kann“, erzählte Gugino.

Der Untergang des Hauses Usher – Eine größere Geschichte über die Opioid-Epidemie

Basierend auf den Werken von Edgar Allan Poe untersucht Der Untergang des Hauses Usher, was Privilegien, Reichtum und Gier einem Menschen antun können. Die Serie folgt den Zwillingsgeschwistern Roderick (Bruce Greenwood) und Madeline (Mary McDonnell) Usher, die ein Pharmaimperium namens Fortunato aufgebaut haben, das Schmerzmittel verkauft. Doch jetzt, inmitten ihres immensen finanziellen Erfolgs, sterben plötzlich Rodericks nach und nach.

Für Gugino stehen die Ushers für eine größere Geschichte über die Opioid-Epidemie. „Es ist eine heimtückische Situation, mit der man sehr rücksichtslos umgegangen ist“, sagte sie. „Das Interessante ist, dass wir uns mit einem sehr aktuellen Thema befassen und dann auch noch diese übernatürlichen Elemente haben.“

Eines dieser Element stammt von Guginos Figur Verna – wobei ein Anagramm für das englische Wort Raven (zu deutsch: Rabe) ist. Verna ist weder ein Vogel noch ein Mensch. Stattdessen ist sie eine Gestaltwandlerin, die jedem der Usher-Erben kurz vor deren grausamem Tod erscheint. Mal ist Verna dabei ein Wachmann, mal eine obdachlose Frau – oder sogar ein Affe.

Das Spiel war schon eine der unglaublichsten Gelegenheiten, die ich je bekam. Ich hätte nie gedacht, dass Mike mit etwas kommen könnte, das noch cooler ist als das“, sagte Gugino. „Es war eine so surreale Erfahrung. Ich bezweifle, dass ich jemals wieder so eine Gelegenheit bekommen werde.“

Etwa anderthalb Jahre vor Beginn der Dreharbeiten sprach Flanagan Gugino auf eine Serie an, die auf Poe basiert. Er bat sie, eine von The Raven inspirierte Figur zu spielen, und sie sagte sofort zu. „Ich glaube, es ist das vielleicht herausforderndste Projekt, das ich je hatte, wenn man bedenkt, wie man es auf etwas Greifbares  reduzieren muss“, sagte sie.

Verna: Eine Rolle, viele Charaktere

Die erste Herausforderung für Gugino bestand darin, die einzelnen Charaktere voneinander zu unterscheiden, aber dennoch einen roten Faden durch sie alle zu ziehen. „Was mir wirklich wichtig war, war, dass es eine durchgehende Linie gab. Dass es also nicht Carla Gugino war, die einen Haufen Rollen spielte“, sagte sie über ihren Prozess. „Was mich wirklich interessiert hat, ist eine Figur, die nicht von dieser Welt, aber in der Lage ist, nahtlos in dieser Welt zu existieren.“ Genau wie der Rabe, über den Poe schreibt, betrachtet Verna die Dinge immer aus einem anderen Blickwinkel.

Um diesen Blickwinkel zu erreichen, hat Gugino ihre eigene Körpersprache studiert – von den Augenbewegungen bis hin zu den Drehungen des Nackens, wo die einzelnen Inkarnationen ihrer Figuren leben würden. „Sobald ich ihre Stimme gefunden hatte und wusste, wo sie in meinem Körper sitzen, konnte ich mich am Set schnell umziehen und hin- und herspringen“, sagte sie.

Silvesternacht 1979: Barkeeperin Verna begegnet erstmals den Ushers.

Ein Teil ihrer Vorbereitung bestand in der Zusammenarbeit mit dem Bewegungstrainer und Stuntdouble Terry Notary, der für die Gestaltung der Affenszenen in den Planet der Affen-Filmen bekannt ist. Und Notary spielt tatsächlich die Affen, die wir am Ende von Episode 3 sehen.

Gugino beschrieb die Verwandlung in einen Primaten als „keine subtile Erfahrung“, vor allem weil ihr Affe „so viel Schmerz erleidet“. Dank der Hilfe von Notary und ihrer Szenenpartnerin Kate Siegel, die Rodericks eiskalte Tochter Camille spielt, konnte Gugino sich völlig gehen lassen. „Zu sehen, wie Kate auf das Verhalten reagierte, gab mir die Gewissheit, dass wir das Ziel erreichen würden“, erklärte Gugino.

Carla Gugino: „Poe hat nie wirklich an Gott und den Teufel geglaubt“

Trotz ihrer bedrohlichen Präsenz verfolgt Verna die Usher-Kinder nicht zum Spaß. Wie wir im Finale erfahren, erscheint sie dem jungen Roderick (Zach Gilford) und der jungen Madeline (Willa Fitzgerald) erstmals in der Silvesternacht 1979 als Barkeeperin. Die Geschwister haben Mühe, sich zurechtzufinden, und handeln mit Verna einen Deal aus: Sie können allen Erfolg der Welt haben, aber ihre gesamte Blutlinie wird zu ihren Lebzeiten sterben. „Menschen mit vielen Privilegien und viel Macht haben oft die Möglichkeit, gute oder schlechte Dinge zu tun“, sagte Gugino. Im Fall der Ushers entscheiden sie sich für Letzteres und besiegeln die Sache mit einem Trinkspruch.

Laut Gugino gehen sie jedoch keinen Pakt mit dem Teufel ein. „Poe hat nie wirklich an Gott und den Teufel per se geglaubt. Verna ist nicht einmal böse", stellte sie klar. Für sie ist Verna einfach nur eine Vollstreckerin des Schicksals und des Karmas.Deshalb war es wichtig, Verna als neutralen Charakter darzustellen. „Verna bietet jedem dieser Menschen das ehrlichste Gespräch an, das sie je in ihrem Leben führen werden. Es ist ihr völlig egal, ob sie gut oder schlecht sind, ob sie dies oder das sind“, sagte sie.

Geist oder Mensch? Carla Gugino diesmal als blonde Geheimnisvolle.

Um sich auf ihre Figur einlassen zu können, ohne sich an sie zu binden, dachte Gugino über ihre früheren Erfahrungen bei der Arbeit mit brasilianischen Schamanen nach. „Das Erstaunliche, wenn man diese Art von Gestaltwandel sieht, ist, dass es eine Verkörperung von etwas gibt, das super radikal oder super intensiv erscheinen kann. Worauf es aber immer zurückkommt, ist diese Neutralität“, erklärte sie.

Lenore erhält einen anderen Tod

Es ist klar, dass Verna gut ist in dem, was sie tut, aber ihre Neutralität hat auch einen emotionalen Preis: Im Finale stattet sie Rodericks Enkelin Lenore (Kyliegh Curran) einen Besuch ab. Anders als die anderen Ushers weiß Lenore, was richtig und was falsch ist, und drängt ihren Großvater, Fortunato aufzulösen. Trotz ihrer reinen Absichten ist sie aber immer noch eine Usher – und ein Deal ist ein Deal.

„Es gibt vieles an meinem Job, das ich liebe, aber es gibt Momente wie diese, die mir keine Freude bereiten“, sagt Verna in der Szene zu Lenore. Sie lobt das junge Mädchen dafür, dass sie sich ihrer Familie widersetzt hat und aufgrund ihrer Entscheidung wird sie später Millionen von Leben retten. Während alle anderen Ushers bei verrückten Unfällen starben, legt Verna ihren Finger auf Lenores Kopf und das Mädchen stirbt schmerzlos.

„Als ich mit der Schauspielerei begann, wollte ich Empathie vermitteln, Empathie gewinnen und die Welt mit den Augen anderer Menschen sehen“, sagte Gugino. Durch Verna und ihre frühere Zusammenarbeit mit Flanagan konnte Gugino all das und noch mehr erreichen. „Mike sagte, dass jedes Mitglied der Usher-Familie ein anderes Instrument ist, und das ist wirklich wahr. Aber Verna? Verna ist wie eine Sinfonie.“

Phillipe Thao, Tudum

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