Break Point: „Sobald sich auch nur der kleinste Zweifel einschleicht, bist du erledigt“

Showrunnerin Kari Lia und die leitenden Produzenten James Gay-Rees und Paul Martin erzählen im Interview mit Netflix von der zweiten Staffel ihrer Dokuserie Break Point – von einem Geheimnis, das Tennis-Stars erkannt haben, von den berührendsten Momenten am Set und den Seiten am Tennis, die selbst Couchpotatoes begeistern.

Eure Produktionsfirma Box to Box Films hat mit den vier Staffeln der Doku-Serie Formula 1: Drive to Survive einen Hit gelandet. Was hat euch darauf gebracht, es mit einem ähnlichen Format auch in der Welt des Profi-Tennis zu versuchen?

James Gay-Rees [leitender Produzent]: Ich bin schon mal mit einem Formel-1-Auto gefahren, wenn auch in einem sehr alten – und es war eine unglaubliche Erfahrung! Aber ich werde nie ein Formel-1-Fahrer werden. Das liegt jenseits meiner Vorstellungskraft. Die  meisten Menschen haben jedoch irgendwann einmal Tennis ausprobiert. Selbst wenn man darin nicht besonders gut ist, gibt es Momente auf dem Tennisplatz, in denen man denkt: „Das war großartig!“ Viele verstehen, wie Tennis funktioniert. Ich dachte, es wäre eine interessante Herausforderung eine Serie zu machen, die aufzeigt, was es braucht, um ein wirklich guter Tennisspieler zu sein.

Paul Martin [leitender Produzent]: James und ich fühlten uns beide zum Tennis hingezogen, weil wir vor ein paar Jahren kurz davor standen, ein Projekt mit Andre Agassi zu machen.

Einer der wenigen Tennisspieler, der alle vier Grand-Slam-Turniere mindestens einmal gewonnen haben.

Paul Martin: Ja. Zeit mit Andre zu verbringen und von ihm von den physischen und mentalen Anforderungen des Spiels zu hören, das hat uns wirklich begeistert. Obwohl dieses Projekt nicht zustande kam, wussten wir immer, dass wir irgendwann in die Welt des Tennis eintauchen und den Menschen eine Seite des Sports zeigen wollten, von der sie nicht wussten, dass sie existiert.

Wie war das bei dir, Kari Lia?

Kari Lia [Showrunnerin]: Ich bin in Kalifornien aufgewachsen. Damals schien es, als wäre das Tennisspielen nur etwas für Leute, die einem Country Club angehören. Serena und Venus haben diese ganze Landschaft verändert. Das wirklich Aufregende an dieser Serie ist, dass jetzt eine ganze Generation von Spielerinnen und Spielern heranwächst, die auf ihren örtlichen Plätzen angefangen und erkannt haben: „Hey, ich kann das auch.“

Gay-Rees: Wir sind alle mit Nadal, Federer und Serena aufgewachsen. Sie sind natürlich Helden und Ikonen! Aber dieser Zyklus geht zu Ende – und es ist aufregend, bei dem neuen Zyklus dabei zu sein, der jetzt beginnt.

Tennis ist ein Sport, der naturgemäß aus einer gewissen Distanz beobachtet wird: Im Fernsehen sieht man nur zwei Spieler allein in der Mitte eines riesigen Platzes. Welche Entscheidungen habt ihr beim Dreh getroffen, um dem Publikum eine so intime Perspektive wie möglich zu bieten?

Lia: Wir hatten mit Martin Webb einen fantastischen Regisseur. Unser Ziel war, dass man ein Spiel nicht nur sieht, sondern das Gefühl hat, dabei zu sein. Der Schlüssel dazu war, unsere Spielerinnen und Spieler so zu filmen, als ob wir sie in freier Wildbahn aufnehmen würden.

Wie in einer Naturdoku?

Lia: So ähnlich. Wir haben RED-Kameras verwendet, die mit einer hohen Bildrate in Zeitlupe gefilmt haben, mit extrem langen Objektiven für Nahaufnahmen. Unser Ton-Team verbrachte Stunden damit, das Publikum, das Aufschlagen des Schlägers auf den Ball, das Grunzen und Schreien der Spieler aufzunehmen. Wir haben auch unser Schnittteam nach Wimbledon gebracht und es auf den Centre Court gesetzt, um ein Spiel zu erleben. Was hören Sie? Wie riecht es? Welche Blickwinkel überraschen sie? Wir wollten, dass sie es nicht nur sehen, sondern auch hören und fühlen können, damit wir jede Episode zu einem echten Erlebnis machen können.

„Sie waren alle sehr daran interessiert, uns zu zeigen, dass Tennis nicht nur Wimbledon ist, wo alles manieriert und höflich ist.“

Produzent James Gay-Rees

Gay-Rees: Wir haben außerdem viele reine Audio-Interviews geführt. Zum Teil zu Recherchezwecken, um die Spielerinnen und Spieler dazu zu bringen, sich zu öffnen und sich zu entspannen. Das geht besser, wenn keine Kamera dabei ist. Wenn zum Beispiel ein Spieler im Voice Over sagt: „Ich verliere den Verstand. Ich kann nicht mehr. Ich muss hier raus“, dann ist man plötzlich in seinem Kopf. So etwas hört man bei einer TV-Übertragung nie. Zu verstehen, was sie in diesem Moment durchmachen, ob es gut oder schlecht ist, das war für uns ein wichtiger Punkt. Wir haben auch viele ihrer Trainer am Mikrofon, was in mancher Hinsicht ein was in mancher Hinsicht ein Wendepunkt ist. Natürlich hätten wir gerne Kameras an den Tennisbällen angebracht, aber diese Technologie ist leider noch nicht verfügbar.

Umkleidekabine oder Platz, Sieg oder Niederlage – das Team von Break Point war immer hautnah mit dabei.

Wie habt ihr so viele Spitzenspieler für die Serie gewonnen?

Lia: Ich kennen niemanden, der so gut darin ist, Zugang zu bekommen, wie James und Paul. Eine Serie wie diese lebt davon – wer nicht vor und nach den wichtigen Spielen auch in den Umkleidekabinen oder Hotelzimmern filmt, der bekommt nicht die wahre Geschichte.

Gay-Rees: Wie bei vielen Dingen im Leben kommt es auf das richtige Timing an. Wir haben den Deal unterschrieben, kurz bevor die Australian Open 2022 bevorstand. Also gingen wir hin und begannen, uns vorzustellen. Man kann nur mit Menschen zusammenarbeiten, die mitmachen wollen. Wir hatten eine ziemlich gute Resonanz in der Tennisgemeinde. Ich glaube, sie waren alle sehr daran interessiert, uns zu zeigen, dass Tennis nicht nur Wimbledon ist, wo alles manieriert und höflich ist.

Lia: Uns ist klar geworden, dass man sich Zugang verschaffen kann – aber man muss ihn auch behalten. Und zwar fast ein Jahr lang. Am Anfang sind alle begeistert, dass Netflix da ist. Aber das legt sich nach zwei oder drei Monaten. Und dann muss man darüber reden, warum es wichtig ist, weiterzumachen. Nur um etwas auf Social Media posten zu können, reicht als Motivation nicht aus. Deshalb haben wir uns die Zeit genommen, uns mit den Spielern zusammenzusetzen und zu besprechen, warum sie die Kameras zulassen. Einige haben das sofort verstanden, andere mussten erst darüber reden. Am Ende hat sich dieser Prozess ausgezahlt und wir konnten sogar tiefere Themen wie Rassismus, psychische Gesundheit und Sexismus im Sport ansprechen.

Paula Badosa spricht in Staffel 2 von Break Point offen über ihre Depressionen.

Ein besonders berührender Moment in den ersten fünf Episoden ist, als Paula Badosa in einer Sitzung mit ihrem Team unglaublich offen über ihren Kampf mit Angstzuständen und Depressionen spricht. Sie bekommt sogar die Erlaubnis, das Spielfeld zu verlassen, wenn es ihr zu viel wird. Auf diesem Wettkampfniveau ist das ungewöhnlich.

Lia: Jemand, der mir sehr nahe stand, hat vor ein paar Jahren Selbstmord begangen. Weil ich diese Erfahrung gemacht hatte, habe ich mit Paulas Team gesprochen und gesagt: „Wir werden das nicht aufbauschen. Wir wissen, dass der Kampf mit Depressionen sehr real ist, und wenn du deine Geschichte erzählst, kannst du vielleicht jemandem helfen.“ Das waren lange Gespräche, die sich über Monate hinzogen. Zu dem Zeitpunkt, als wir das Treffen drehten, war bereits großes Vertrauen da.

Auf der anderen Seite habt ihr auch witzige Momente mit unglaublichen Persönlichkeiten eingefangen. Wie zum Beispiel Rafael Nadal, der seine Gegner kurz vor dem Turnier in der Halle einschüchtert.

Gay-Rees: Es ist erstaunlich, nicht wahr? Deshalb ist er ein 22-facher Grand-Slam-Champion – weil er alles tun würde, um zu gewinnen. Ich finde es toll, dass es ihm immer noch wichtig genug ist, um zu sagen: „Dich schnappe ich mir.“

Lia: Als wir diesen Moment gefilmt haben, hatten sich alle schon an die Kameras gewöhnt.  Ich denke, das ist einfach Teil seiner Routine vor einem großen Kampf. Aber wenn man die Gesichter seiner Gegner sieht, denkt man nur: „Wow.“ Es war großartig, das einfangen zu können.

„Tennis ist wirklich gnadenlos. Der Unterschied zwischen Sieger und Verlierer liegt nur in dem, was in deinem Kopf vor sich geht.“

Showrunnerin Kari Lia

Martin: Wenn man einige Zeit in diesem Sport verbringt, versteht man schnell die Macht, die die diese Superstars haben. Alles an ihnen ist einschüchternd. Alle anderen überlegen ständig, wie man sie überwinden kann. Rafa ist bei den French Open fast unantastbar, und in diesem Moment hat er einfach allen gezeigt, dass er seine Krone nicht so schnell aufgeben wird.

Gay-Rees: Wer gegen Rafa spielt, hat sich ein Playbook überlegt. Viele Spieler sprechen über den schrecklichen Moment, wenn er deinen Code knackt und du wieder von vorne anfangen musst – aber du hast keine Zeit. Man kann sich nicht eine Woche freinehmen und darüber nachdenken. Du musst dich in deinen Stuhl setzen und weißt, du hast nur 30 Sekunden Zeit, eine neue Strategie auszuarbeiten. Gegen diese Spitzenspieler gibt es keinen Platz für Selbstzweifel. Sobald sich auch nur der kleinste Zweifel einschleicht, bist du erledigt. Sie können es spüren und dann gehen sie darauf los und töten dich. Das ist mentale Kriegsführung.

Lia: Tennis ist wirklich gnadenlos. Deshalb sind die GOATs des Spiels auch so unglaublich – das sind die Leute, die es durchschaut haben. Der Unterschied zwischen Sieger und Verlierer liegt nur in dem, was in deinem Kopf vor sich geht. Du bist da draußen ganz allein. Es gibt nur dich. Du kannst nicht ausgewechselt werden. Es gibt niemanden, zu dem du passen kannst. Und es ist ein Gefühl der totalen Euphorie, wenn du gewinnst, denn es liegt alles an dir. Aber das bedeutet auch, dass es unglaublich hart ist, wenn man verliert.

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