You Don’t Know Me: Wie Anna Nicole Smith ihr Leben inszenierte

Mama, Model, Milliardärsgattin: Anna Nicole Smith verkörperte in ihrem Leben viele Rollen. Die neue Netflix-Doku Anna Nicole Smith: You Don't Know Me geht der Frage nach: Wer war sie wirklich?

Als Donnie Hogan gefragt wird, ob sein Vater seine Stiefschwester sexuell belästigt habe, stottert er. „Mein Vater? Sie angegriffen … Es sieht ihm ähnlich ... Aber stimmt das auch? Ich war doch die ganze Zeit dabei …“

Hogans Schwester ist Anna Nicole Smith: Stripperin, Playmate, Model, Schauspielerin, Mutter. Eine Frau mit vielen Rollen, etlichen Facetten und Unmengen von Gerüchten, die über sie erzählt werden.

Jahrelang hat sie keinen Kontakt zu ihrem Vater und ihrem Stiefbruder. Dann lässt sie einen Detektiv nach ihrer Famliie suchen und lädt sie in die Playboy Mansion ein. Videos zeigen, wie Smith in der Limousine ihren Vater auf die Wangen küsst. Wie sie quietscht, wie fröhlich sie sei, endlich ihren Daddy kennenzulernen.

Ein Team? Anna Nicole Smith und ihr Vater Donald Hogan.
Unterwegs: Anna Nicole Smith und ihr Stiefbruder Donnie Hogan.

Doch nach dem Wochenende in der Villa bricht Smith den Kontakt zu ihrem Vater ab.

Der Stiefbruder und eine Fotografin sind sich nicht sicher, was passiert ist, obwohl beide mit Smith und ihrem Vater in der Playboy Villa waren. Eine Freundin sagt, dass Smith von ihrem Vater nach Sex gefragt wurde. Doch weder Smith noch ihr Vater sind heute am Leben, um auszusagen.

Anna Nicole Smith – Meisterin der Inszenierung

Vorfälle wie diese – bei denen man nie so ganz sicher ist, was nun Wahrheit ist und was erfunden – gibt es in der neuen Dokumentation Anna Nicole Smith: You Don't Know Me (seit dem 16. Mai auf Netflix) einige. Nicht, weil die amerikanische Regisseurin Ursula Macfarlane einen schlechten Job macht oder Falschinformationen verbreitet. Sondern weil Anna Nicole Smith (1967-2007) eine Meisterin der Inszenierung war. Wie wenig selbst ihre Familie sie kannte, das wird erst jetzt mit der Dokumentation klar – mit all den privaten Archivaufnahmen und den Interviews mit engen Vertrauten, die sich wie ein Puzzle zusammenfügen. Alle haben etwas über Smith zu erzählen, jede*r meint, sie zu kennen. Doch nah kamen nur wenige an sie ran.

Wer war die wahre Anna Nicole Smith? Und was führte zum Suizid des weltbekannten Playmates?

Kleinstadt-Idylle oder Misshandlungen, Vergewaltigungen, Folter – Wie war Anna Nicole Smiths Kindheit wirklich?

Als Vickie Lynn Hogan wurde sie 1967 in Houston, Texas geboren. Die meiste Zeit lebte sie bei ihrer Mutter Virgie oder ihrer Tante Kay in der Kleinstadt Mexia. In der Doku berichten Angehörige, dass Smith als Kind immer im Vorgarten Cheerleading übte. Ein aufgewecktes Mädchen, das oft die Aufmerksamkeit der Jungs suchte.

Insgesamt hätten Mutter Virgie und Vickie Smith eine gute Mutter-Tochter-Beziehung gehabt. Smiths Freundin Missy erzählt: „Es gab Zeiten, in denen wir nur durch Virgie aus Schwierigkeiten wieder herauskamen – wäre sie keine Polizistin gewesen, wären wir schon ein paar Mal im Knast gelandet.“

Doch Smith erzählt in Talkshows stets, dass ihre Kindheit hart war. Misshandlungen, Vergewaltigungen, Folter. Die Familie ist schockiert. Freundin Missy sagt, Anna habe die Vorwürfe nur erfunden.

Anna Nicole Smith suchte als Kind Aufmerksamkeit.
Als Teenagerin lernte Anna Nicole Smith ihren ersten Mann kennen.

Was ist erfunden oder übertrieben, was wahr? Diese Frage stellt sich auch bei ihrer Ehe mit Billy Wayne Smith. Jener Mann, dessen Nachname Smith für ihren Künstlernamen übernahm und der Vater ihres Sohnes  Daniel.

Virgie erzählt, Billy Smith sei schüchtern und zurückhaltend gewesen. Doch Anna Nicole Smith gibt nach der Trennung bekannt, er habe sie einsperrt und sei furchtbar eifersüchtig gewesen. Billy Wayne Smith verschwindet seither aus der Öffentlichkeit.

27-jährige Smith trifft auf 89-jährigen Marshall

Smith zieht 1986 weiter nach Houston, wird Stripperin, nennt sich Nickie und hat ein großes Ziel: Model werden, reich sein. Was klappt, als Fotos von ihr im US-amerikanischen Playboy-Magazin landen. Und sie im Strippclub den Milliardär J. Howard Marshall kennenlernt.

Die Ehe der beiden wird weltweit zum Skandal – sie ist 27 Jahre alt, er 89. Alle glauben, dass sie nur hinter dem Geld her ist.

In der Doku wird betont, dass sie ihn jedoch erst heiraten wollte, als sie selbst für ihre Bekanntheit gesorgt hatte. Selbständig sein, Modeln für Modemarken wie Guess und H&M, Rollen in Spielfilmen.

Smith gibt sich einen neuen Namen und alles gelingt, was sie sich vorgenommen hat. Sie weiß, wie sie vor Kameras posieren muss, die Männer bezirzen kann. Blonde Locken, schwarzgeschminke Augen, rote Lippen, eine Brustvergrößerung und tiefe Ausschnitte. Kichern wie ein Mädchen, Spaß haben in jedem Blitzgewitter. Ihr Vorbild: Marilyn Monroe. Den Namen nennt sie ständig, bis schließlich auch andere sie ständig mit Monroe vergleichen.

Doch laut dem Sohn von Marshall unterstützte sein Vater sie schon vor der Ehe mit Agenten und Millionen von Dollar. Einer der größten Überraschungsmomente der Doku ist, als Smiths Freundin Missy zugibt, dass sie und Anna Nicole Smith mehr waren als gute Freundinnen. Missy erzählt, dass sie all die Jahre eine Affäre mit Smith hatte. Da bekommt das Bild der großen Liebesgeschichte zwischen Marshall und Smith Risse.

Drogen, ein zweites Kind und zwei Suizide

Nach Marshalls Tod im Jahr 1995 verliert Smith Ende der Neunziger allmählich das Geld und ihr Ansehen. Die Medien spekulieren über ihren Drogenkonsum, ihr Sohn Daniel leidet darunter. Hatten Mutter, Sohn und Missy anfangs noch eine enge Beziehung, bröckelt sie jetzt.

Eine Kampagne für Diätpillen und eine Reality-Show sollen Smith dann Anfang der 2000er bei einem erneuten Karriereaufschwung helfen. Aufmerksamkeit bekommt sie nun wieder. Doch die Reporter*innen schreiben meist abfällig über ihr Aussehen, ihre Familie, ihr Leben.

Und Smith scheint sich wieder sehr einsam zu fühlen. Ein zweites Kind folgt – Dannielynn. Der Vater ist ein Fotograf namens Larry Birkhead. Ein Mann, über den Anna Nicole Smith mehrmals sagt, sie hasse ihn. Und dem sie vorlügt, jemand anderes sei der Vater – auch aus Angst, Birkhead könne Ansprüche auf die gemeinsame Tochter erheben und ihr das Kind wegnehmen.

Am Ende verliert Smith aber nicht das zweitgeborene Kind, sondern ihren Erstgeborenen. Und ihr eigenes Leben. Sie und ihr Sohn brachten sich mit einer Überdosis Medikamente um – Daniel 2006, Anna Nicole Smith 2007.

Business? Anna Nicole Smith telefoniert.
Anna Nicole Smith, ganz privat.

Der Anwalt wird verhört, sowie der Arzt der beiden und sämtliche Freund*innen. Doch die Ermittler*innen kommen zu dem Schluss: Es war ein Suizid, es besteht keine Fremdeinwirkung. Einen Abschiedsbrief oder eine andere Erklärung hinterlässt Anna Nicole Smith nicht.

„Ich sollte erzählen können, was ich will – ob Wahrheit oder Lüge“

Gegen Ende der knapp zweistündigen Doku kommt ein Clip aus dem Archiv, in dem Anna Smiths Mutter ihre Tochter zitiert. Ihr zufolge soll Anna Nicole Smith gesagt haben: „Ich verdiene mehr Geld, wenn ich traurige Geschichten erzähle. Wenn mein Name fällt, verdiene ich Geld. Und das ist mein Lebenssinn: Geld verdienen.“

Was Fremde oder die Familie über sie denken, interessiere sie nicht. „Es ist mein Leben. Ich sollte erzählen können, was ich will – ob Wahrheit oder Lüge.“

So lautet zumindest die Version von Regisseurin Ursula Macfarlane, die laut eigener Aussage eine Mystery-Story erzählen wollte. Es wäre nicht verwunderlich, wenn Anna Nicole Smith eine andere Geschichte parat hätte.

Netflixwoche Redaktion

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