Wieso sind Kochshows so beliebt?

Kotzt Tina gleich? Die Köchin aus Newnan im amerikanischen Bundesstaat Georgia hält sich an ihrer Perlenkette fest und atmet schwer. Moderatorin Michelle Buteau fragt:  „Alles ok?“ Tina sagt: „Ja! Siehst du? Ich lächle.“

Natürlich glaubt keiner der Wild-hassenden Tina, die allein der Geruch des toten Tieres zum Würgen bringt. Doch die Stadtdame muss sich jetzt zusammenreißen. Denn eine von vielen Herausforderungen in Barbecue Showdown – die seit dem 26. Mai 2023 mit zwei Staffeln auf Netflix läuft – ist: Wildtiere wie Alligatoren und Eichhörnchen räuchern oder grillen. Wem es gelingt, der/die kommt weiter und wird am Ende der acht Folgen „American Barbecue Champion“.

Wettkampfsituationen wie diese gibt es in Kochshows auf Netflix einige. Bei Baked Squad – ebenfalls seit 2023 mit zwei Staffeln auf Netflix – müssen Teilnehmer*innen für besondere Anlässe Kuchen kreieren. In Das große Familienkochen werden Englands beste Amateurköche gesucht. Und bei der neuen Show Pressure Cooker wohnen die Wettstreiter*innen obendrein in einem Haus zusammen.

5,73 Millionen Deutsche gucken beim Braten zu

Die Herausforderungen, Zubereitungen und Nominierungen funktionieren dabei nach demselben Rezept: Etwas Besonderes muss erschaffen werden, unter den Teilnehmer*innen herrscht Aufruhr. Am Ende gewinnt natürlich der/die mit Können und Charme! Und die Fans bekommen nicht genug:

Laut der Allensbacher Markt- und Werbeträgeranalyse gab es 2022 rund 5,73 Millionen Personen in der deutschsprachigen Bevölkerung, die gerne Kochsendungen gucken.

Doch warum sind Kochshows so beliebt? Was reizt die Zuschauer*innen am Brutzeln, Garnieren, Schlemmen?

Der österreichische Sternekoch Johann Lafer, der sich seit fast 40 Jahren im deutschen Fernsehen die ein oder andere Küchenschlacht liefert, sagte der Münchner Abendzeitung, dass das Schauen von Kochshows „zum Teil eine Art Ersatzbefriedigung darstellt, zum Teil aber auch wirklich Menschen zuschauen, die gerne kochen oder es lernen wollen.“

Dass man ein Interesse für die Zubereitung von Essen mitbringen muss, liegt nahe. Dass schön angerichtete Gerichte anregen können, ebenso. Das kann aber allein noch nicht den Boom erklären. Denn Kochbücher sind Bestseller, auf TikTok und Instagram kann man Anleitungen für Kuchen, Aufläufe und Co. gar nicht entkommen. Und selbst in Magazine ist das Kochrezept nicht mehr wegzudenken.

In der deutschen Tageszeitung taz widerspricht Fernsehkritiker Patrick Heidmann Lafers Lernthese: „Dass der Kochshow-Boom zu mehr Selbstkochen zu Hause führt, konnte jedenfalls noch keine Studie wirklich feststellen, stattdessen wächst der Markt für Convenience Food und Lieferdienste.“

Kochshows zelebrieren das Beinahe

Tatsächlich sind Kochshows von heute so schnell, dass ein Nachkochen schwierig werden könnte. Eine Folge von Barbecue Showdown dauert etwa 40 Minuten – samt Aufgabenstellung, Zubereitung, Drama und Kür. Doch will man wie Stadtdame Tina frisches Wild zubereiten, braucht es deutlich mehr Zeit. Im Kochbuch von Yotam Ottolenghi steht, dass der Rehrücken mit Dattel-Labneh, Brombeeren und Erdnuss-Crumble allein 16 Stunden im Kühlschrank ruhen muss. So eine gemütliche Show würde sich aber natürlich niemand ansehen.

Zum Reiz der Koch-Sendungen muss es daher noch eine andere These geben. Ist es bei all den opulenten Bildern und teilweise wagemutigen Herausforderungen Eskapismus?

Eine Flucht, die besser gelingt, wenn sie einen möglichst weit weg trägt? Vor allem gut tut, wenn man dabei nichts tun muss, sogar gar nichts tun kann? Weil Alligatoren wie bei Tina nicht einfach für den Grill zu fangen sind?

Trinken mit Paris Hilton

Einige der besten Koch-Shows auf Netflix laden genau dazu ein: Zum reinen Unterhalten, Staunen, Tratschen, Verweilen. Cooking with Paris mit It-Girl Paris Hilton ist das beste Beispiel für eine unterhaltende Kochshow. Die Hotelerbin kann nicht mal eine Zwiebel schneiden. Die Gerichte aus dem glitzernden Notizbuch, in das sie alles mit Buntstiften kritzelt, klingen überhaupt nicht originell: Burger, Tacos, Lasagne. Fleisch, Tomaten, Käse.

Und dennoch ist es pures Vergnügen, zu sehen, wie Paris (von kleinen Hunden umringt) in der weißen Marmorküche steht, sich mit einer Freundin Margaritas in den Rachen kippt und dabei ausversehen den Salzstreuer im Mixer versenkt. „Don’t drink and blend“ wird dabei eingeblendet. Nicht beim Mixen trinken, bitte!

Der Promi als besondere Würze für die Show ist eine eigentlich alte Zutat – in Deutschland seit fast 30 Jahren. Unvergessen Alfred Biolek, der 1994 mit Alfredissimo die Koch-Talkshow-Ära einleitete. Doch die Kochshow an sich ist noch viel älter: Hierzulande hat etwa 1953 Clemens Wilmenrod angefangen, der in 15 Minuten-Shows vorführte, wie man Fleisch und Kartoffeln zubereiten kann.

In den USA war eine der prominentesten Köchinnen Julia Child: Ab 1962 zeigte sie in The French Chef, wie Scheibchen von grünen Weintrauben, Marshmallows und Bananen sich so anordnen lassen, dass sie zu schweben scheinen.

Geschichten vom Chef’s Table

Heutige Shows wie Chef’s Table gehen aber noch weiter – über den Promi-Faktor und das eigentliche Kochen hinaus. Sie entführen nach Mexiko, Südkorea, Thailand, Australien und erzählen vom Leben der Köche. Von Künstlern wie dem australischen Koch Ben Shewry, dessen Restaurant Attica in Melbourne, Australien etwa als eines der besten der Welt gilt.

Shewry spricht zwar auch über Zutaten und Technik. Die eindrucksvollsten Momente sind in Chef's Table aber die persönlichen. Wenn Shewry erzählt, wie er als Kind fast ertrunken ist. Oder wenn in einer anderen Folge Cristina Martinez – eine mexikanische Barbacoa-Köchin, die ohne Papiere in den USA lebt – zur Stimme von Millionen von Menschen wird, die wie sie ausgebeutet werden.

Das ist dann nicht mehr nur Essen und Eskapismus. Sondern eine Sendung, bei der sich Menschen gesehen und verstanden fühlen. Und für die das Kochen einen leichtere Zugang bietet, als beispielsweise eine zweistündige Doku über Einwander*innen in den USA.

Damit deckt zumindest diese Kochshow das ab, was Essen letztlich ist: Eine Verbindung zu sich, zu anderen, zum Leben. Eine Lebensnotwendigkeit und ein Ritual, das zu jeder Tageszeit anders betrachtet und genossen werden kann.

Und das seit 1,8 Millionen Jahren – seitdem der Mensch die Hitze des Feuers nutzt.

Sei es mit Ben Shewry, Paris Hilton oder einer sich fast übergebenden Tina im Barbecue Showdown. Am Ende gilt nämlich auch beim Streaming: Hauptsache, es schmeckt.

Netflixwoche Redaktion

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