Das Bild ist fast schwarz, nur manchmal huscht ein Schatten über den Bildschirm. Wir hören die Charaktere atmen, Schwerter klirren, Schmerzensschreie. Wir sehen: Nichts. Viele neue Serien und Filme fühlen sich an wie ein Hörspiel.
Dies ist weder Einbildung noch ein Anlass, sich eine neue Lesebrille zu besorgen: Serien und Filme sind heute tatsächlich oft dunkler als früher.
Das fällt nicht nur Fans auf, sondern auch den Profis. „Heute drehen alle dunkel“, sagte der mehrfach Oscar-prämierte Kameramann Janusz Kamiński (Schindlers Liste, Der Soldat James Ryan) in einem Interview mit der Fachzeitung British Cinematographer. „Die Leute denken, sie seien Künstler, weil sie alles abdunkeln, aber sie sind es nicht. Sie wissen einfach nicht, wie man Licht einsetzt.“
Ist die neue Dunkelheit ein kreativer Trend? Eine Folge des technischen Fortschritts? Oder wirklich schlechtes Filmemachen, wie Kamiński andeutet? Die kurze Antwort lautet: ein bisschen von allem.
Der technische Fortschritt ist der Auslöser
Viele Filmmacher*innen lieben Dunkelheit, weil sie erst seit Kurzem Dunkelheit aufnehmen können. In Zeiten analoger Kameras konnte das Material erst gesichtet werden, wenn es entwickelt war. Eine unterbelichtete Szene war ein großes Risiko – nachträglich konnte sie kaum angepasst werden. Darum war es für Filmemacher*innen sinnvoll, viel Licht am Set einzusetzen. Nur so konnten sie sichergehen, dass die Aufnahmen später verwendet werden können.
Anfang der 2010er-Jahre setzten sich digitale Kameras durch. Nun können Kameraleute und Regisseur*innen live auf dem Monitor sehen, ob das Bild ausreichend ausgeleuchtet ist. Auch in der Nachbearbeitung gibt es heute viel mehr Möglichkeiten, Helligkeit und Farben zu korrigieren. Das hat viele Filmemacher*innen ermutigt, mit dunkleren Szenen zu experimentieren – wobei sie manchmal über das Ziel hinausschießen.
Hey, wer hat das Licht ausgemacht? Die Serie Ozark ist bekannt-berüchtigt für viele sehr dunkle Szenen. Unten in diesem Artikel erklären wir, wie ihr euren Bildschirm richtig einstellen könnt, um Nachtszenen wie diese zu genießen.
Der technische Fortschritt hatte aber noch einen Effekt: Die digitalen Kameras schaffen gestochen scharfe, brillante Bilder, bei denen jede Pore zu erkennen ist. Diese neue Perfektion löste einen Gegentrend aus: Die digitalen Bilder galten vielen Kreativen als zu glatt, zu künstlich. Weniger Perfektion, mehr Naturalismus ist das Motto.
Dunkle Bilder, dunkle Themen: Auch die Inhalte werden düstrer
Dunkelheit, Nebel, Rauch und Schatten sind ein beliebtes Mittel, diesen „natürlichen“ Look zu erzeugen: Wenn Thomas Shelby durch den Dreck von Birmingham stapft, schaffen die dunklen Schatten eine zwielichtige Atmosphäre, wie sie zur Gang der Peaky Blinders und zur rauen Industriestadt Birmingham passt.
Blaues Licht und hell erleuchtete Nachtaufnahmen zeigen dagegen: In dieser Serie gibt es Geister, Monster oder übernatürliche Fähigkeiten – Realismus spielt hier keine Rolle. Wenn in Lockwood & Co. Teenager nachts Geister jagen oder Wednesday Addams vor einem Monster im Wald davonläuft, ist selbst nachts alles gut zu erkennen.
Anthony Lockwood (Cameron Chapman) und sein Team sind vor allem nachts unterwegs, wenn die Geister spuken. Trotzdem ist die Serie Lockwood & Co. großzügig beleuchtet.
Die Dunkelheit ist also oft eine bewusste, künstlerische Entscheidung der Filmschaffenden. Denn immer dunkler werden die Filme nicht nur im wörtlichen Sinn, sondern auch inhaltlich.
Batman lief früher noch in gelben Unterhosen und blauer Strumpfhose durch Gotham und hatte seinen kindlichen Sidekick Robin dabei. Heute ist Batmans Laune so schwarz wie der Kajal um die Augen von Darsteller Robert Pattinson und sein Fledermaus-Cape hebt sich kaum noch vom schwarzen Hintergrund ab.
Auch Superman durchlebt die ersten moralischen Krisen und entfernt sich immer weiter vom Gute-Laune-Ken der ersten Filme. Entsprechend dunkler sind seine Kostüme und die Filme geworden. James Bond ist heute egal, ob sein Martini gerührt oder geschüttelt ist, er hat eine ernsthafte Mission zu erfüllen. Und selbst die Stranger Things Kids werden erwachsen. Die dunkleren Bilder geben diese dunkleren Themen wieder.
„Du glaubst, Dunkelheit ist deine Verbündete“, sagt Bane zu Batman in The Dark Knight Rises. „Für dich ist Finsternis eine Waffe. Ich wurde in ihr geboren. Von ihr geformt.“
Doch auch wenn diese Dunkelheit ein kreatives Mittel ist, das ganz bewusst eingesetzt wird – wenn sie nur noch mit zusammengekniffenen Augen am Bildschirm kleben, fragen sich viele Fans: Muss das sein?
„Alles, was wir den Leuten zeigen wollten, ist da“
Die berüchtigtste dunkle Szene der letzten Jahre ist die große Schlacht gegen die Armee der Untoten in der finalen Staffel von Game of Thrones. Über sieben Staffeln hatten die Fans auf diesen Showdown gewartet. Als die Episode 2019 dann erschien, waren viele von ihnen enttäuscht: Der Großteil der Kämpfe verschwand in der schwarzen Nacht. Wie der Showmaster Hans-Joachim Kulenkampff sagen würde: „Wie Sie sehen, sehen Sie nichts.“
In einem Interview mit Wired rechtfertigte sich Fabian Wagner, Cinematographer der Episode: „Wir hatten im Laufe der Jahre so viele Kampfszenen gesehen – um diese wirklich eindrucksvoll zu machen und mit den Charakteren mitzufühlen, mussten wir einen einzigartigen Weg finden, die Geschichte darzustellen“, sagt er. „Alles, was wir den Leuten zeigen wollten, ist da.“
Er beklagte sich außerdem, dass viele Menschen Serien heute nur noch auf dem Handy oder Tablet ansehen – und darum große Schwierigkeiten haben, bei dunklen Szenen die Details zu erkennen.
Egal, ob man Wagner und anderen Fans der Finsternis zustimmt: Es gibt tatsächlich ein paar Möglichkeiten, das eigene Filmerlebnis so einzustellen, dass man dunkle Szenen mehr genießen kann. Eine detaillierte Anleitung geben YouTube-Videos wie dieses von Vox. Hier sind kurz zusammengefasst die wichtigsten Tipps vom Journalisten, Autor und Filmnerd Neil Miller:
So richtet ihr eure Bildschirm und Raum richtig ein, um bei düstren Serien genug zu erkennen:
- Dunkelt den Raum ab: Wenn ein Fenster oder eine andere Lichtquelle direkt auf den Bildschirm scheint, habt ihr schon verloren. Auch wer auf dem Handy im Zug oder Flugzeug Filme streamt, wird bei den dunklen Szenen nichts erkennen.
- Schaltet den Effekt „Motion Smoothing“ aus: Bei den meisten High Definition Fernsehern ist dieser Effekt automatisch aktiviert. Je nach Marke hat dieser Effekt einen anderen Namen bei einem Sony-Fernseher heißt er zum Beispiel „MotionFlow“, bei einem Samsung „Auto Motion Plus“. Hier hilft, nach der Marke des eigenen Fernsehers und dem Begriff Motion Smoothing zu googeln und dann der Anleitung zu folgen, wie der Effekt ausgestellt werden kann.
- Prüft die Einstellung der Farbtemperatur auf dem Bildschirm. Wenn sie auf „kühl“ eingestellt ist, ändert sie zu „warm“.
- Falls der Fernseher über automatischen Lichtsensor oder einen Energiesparmodus verfügt: Aus damit.
- Oft hilft es außerdem, den Kontrast am Bildschirm etwas zu erhöhen. Aber nur leicht – sonst werden die hellen Szenen überbelichtet.
- Falls euer Fernseher über eine Funktion namens „Filmmodus/Movie Mode“, „Kinomodus/Cinema Mode“ oder „Filmmaker Modus“ verfügt, lohnt es sich, diese zu aktivieren. Der Fernseher stellt dann automatisch Kontrast und Helligkeit richtig ein.
Netflixwoche Redaktion