Wellmania: Strampeln, kotzen, bluten

Das Neonlicht blendet, die Musik pumpt, auf den Speed Bikes im Trainingssaal schwitzen die Sportler*innen. „Die Einzigen, die ihr besiegen müsst, seid ihr selbst“, brüllt der Trainer. Alle nicken, strampeln – alle, außer Liv (gespielt von Celeste Barber). Sie ächzt und stöhnt, die Haare zerzaust, am Körper das funkelnde Kleid von letzter Nacht.

Als das Tempo angezogen wird, kann die 40-Jährige nicht anders: Sie kotzt. Und zwar so stark, dass einige neben ihr getroffen werden.

Eskapaden wie diese erlebt Liv in der ersten Staffel der Comedyserie Wellmania (ab dem 29. März auf Netflix) durchweg. Dennoch kann das sonst so sportfaule Australien-Partygirl nicht mit Sport, Diät und Wellness aufhören. Sie muss fit werden für die Greencard – sonst kann sie ihren neuen Job als Food-Jurorin in einer New Yorker Show nicht antreten. Und wenn Spinning nicht hilft, gibt es immerhin noch Jogging, Saftkuren, Darmentleerungen ...

Brigid Delaney schrieb Wellmania

In den acht Folgen von Wellmania sehen Zuschauer*innen, was Liv sich alles für ihre Gesundheit antut. Die boomende Wohlfühlindustrie hat unendliche viele Angebote: Yoga-Retreats in Sri Lanka, Meditationen in U-Bahnen, tagelanges Fasten in Kliniken.

Die australische Autorin, Journalistin und Redenschreiberin Brigid Delaney hat all diese Anwendungen getestet. Von ihr stammt die Idee für Wellmania. Die Serie ist inspiriert von ihrem 2017 erschienenen gleichnamigen Buch. Auf rund 300 Seiten berichtet Delaney von ihren Erfahrungen, die sie in rund zwölf Jahren für Magazine und Zeitungen machte. Fast jeder Auftrag beinhaltete: „clean, lean, serene“ werden. Also rein, schlank, gelassen.

Die australische Autorin Brigid Delaney hat zig Wellness-Anwendungen getestet. Von ihr stammt die Idee für Wellmania. (Foto © James Brickwood)

Als wir Delaney Ende März in Sydney, Australien anrufen, kann sie sich noch gut an all die Versuche erinnern. An das zweiwöchige Hungern, bei dem sie ihre Eltern mehrmals anrief, um zu wissen, wie ihnen das Abendessen schmeckte. Der Moment, in dem sie nur an einem Chipsstück leckte, um nicht ganz zu cheaten. An alle Yogaarten, die sie ausprobierte – und sie testete wirklich alle: Bikram, Hot Yoga, Hatha Yoga, Kundalini, Vinyasa Flow, Sound Yoga, Urban Yoga, Hip-Hop Yoga, Aerial Yoga und Heavy Metal Yoga!

Nur ein Versuch wurde zur Gewohnheit – meditieren, zweimal täglich. Im Buch schreibt sie dazu:

„Im gegenwärtigen Moment zu sein, ist das Einzige, was zählt. Die Vergangenheit ist ein Friedhof, die Zukunft existiert nicht. Das hat mich dazu gebracht, mich von meinem Verstand zu distanzieren und zu bemerken, wie er vorwärts rast und mich in Panik versetzt“.

Wie sich die Serie vom Buch unterscheidet

In den ersten Folgen von Wellmania fühlt sich Liv noch nicht besonders achtsam. Gerade erst hat sie es mit Schröpfen versucht – kleine Einschnitte im Rücken, darauf Schröpfgläser, hinfort böse Giftstoffe und Verspannungen. Doch weil Liv nicht zugeben wollte, dass sie zuvor Aspirin einnahm, blutet ihr Rücken auch noch nach der Behandlung. Die Abdrücke der Schröpfgläser sind so groß wie Tennisbälle.

Das Schröpf-Experiment schildert Delaney auch im Buch. Abgesehen davon ist in der Verfilmung aber vieles anders.

Während Delaney in ihrem Buch etwa gekonnt Objektivität mit Subjektivität mischt – also Studien zu den persönlichen Erfahrungen zitiert – ist die Geschichte von Liv eine klassische Comedy: Alle Erlebnisse sind überspitzt, Familie und Freund*innen erweitern die Lebenswelt, mit der Greencard kommt eine völlig neue, erfundene Handlung hinzu.

Keine gute Stimmung bei der Behandlung: Liv (Celeste Barber) wird gleich entgiftet.

„Man kann nicht nur eine Person haben, die von einer Sache zur nächsten geht“, sagt Delaney im Interview mit Netflixwoche zum Entstehungsprozess. Gemeinsam mit dem australischen Drehbuchautoren Benjamin Law (u. a. The Family Law) und einem Writers Room habe sie über Monate hinweg am Skript gefeilt. Sie wollten Drama, Einsatz, eine Hintergrundgeschichte.

„Es ist ein bisschen wie bei einem Videospiel“, erklärt Delaney. „Die Figur muss nach New York und es gibt all diese Dinge, die sie zuvor erledigen muss. Bei meinem Buch war es viel sanfter. Es ging um eine gute Erfahrung, die man machen sollte. Wenn es nicht klappt, auch egal.“

Wie ähnlich ist Liv aus Wellmania der echten Brigid Delaney?

Delaney schätzt, dass in der Figur Liv noch etwa 15 Prozent von ihr stecken – 25 Prozent kämen von Celeste Barber, die sie in der Serie verkörpert und als eine von acht Produzent*innen mitwirkt.

Liv ist „ein heißes Durcheinander“, sagte Barber der britischen Tageszeitung The Guardian. Sie behandle ihren Körper „wie einen Vergnügungspark“.

Auf Instagram scherzt Barber über die Beauty- und Wellnessindustrie, über neun Millionen Menschen folgen ihr dafür. Als Delaney die 40-jährige Comedian und Schauspielerin für die Serie ansprach, war Barber von ihrem unvoreingenommenen Buch sofort angetan.

„Es ist leicht, sich darüber lustig zu machen – ich habe daraus einen Beruf gemacht – aber dies ist eine milliardenschwere Industrie, die Leben retten kann“, sagte Barber dem Guardian. „Einiges davon ist vielleicht keine Modeerscheinung – es könnte sogar ziemlich gut sein – aber manchmal ist es einfach Bullshit“.

Im Fitnessstudio bekommt Liv immerhin Hilfe von Isaac (Alexander Hodge).

Delaney hat für eine mögliche Fortsetzung viele weitere Ideen für Barbers Rolle gesammelt: psychedelische Erfahrungen, der Besuch einer Psychotherapie oder eines Sex-Workshops. Solcher Serienstoff kommt aber nicht nur aus dem Erfahrungsschatz der Autorin – dafür bietet die immer noch boomende Wellness-Industrie zu viel.

„In Sydney arbeiten die Leute sehr, sehr hart“, erzählt Delaney. „Sie verdienen viel Geld, haben viel Stress und verbringen ihre freie Zeit in Yoga- oder Fitnesskursen.“

Delaney sieht darin eine persönliche Motivation. Eine, die mit Blick auf die Preise meist bei den Besserverdiener*innen liegt. Für jene sei Wellness ein Hobby, über das sie ständig berichten würden. Delaney spricht vom Druck auf den Körper, von der stetigen Selbstoptimierung. Dann gibt es natürlich noch die Angst vor Krankheiten, „die fördert Wellness“.

Liv, in jedem von uns

In der Netflix-Serie Wellmania treibt die Greencard Liv zur körperlichen Selbstoptimierung an. Das Einwanderungsvisum steht für einen neuen, besseren Job – der wiederum für mehr Bekanntheit sorgt. Neben Sport und Wellness versucht es Liv auch mit Artikeln abseits des Foodmarkts. Alles, um bekannter zu werden. Alles, um sich nicht der Frage zu stellen: „Wer bin ich, wenn ich nicht diese lebenslustige, feierwütige Person bin?“

Liv feiert gerne mit ihren Freundinnen – und tanzt auf dem Tisch.

Was Delaney an der Verfilmung von Wellmania mag, ist, dass sie trotz der vielen ernsten Dinge auf der Welt eskapistisch und nachvollziehbar sei. „Wir alle wollen ein, zwei Dinge an uns verbessern – selbst wenn es nur darum geht, weniger zu trinken oder bessere Essensentscheidungen zu treffen. Und es ist so schwer, es ist wie ein Wettlauf!“

Ein bisschen Liv steckt in jedem. Wie wir uns zwischen fremden und eigenen Krisen zurechtfinden. Was wir tun, um ein bisschen ruhiger zu werden.

Die Serie Wellmania ist mit acht Folgen ab dem 29.3 auf Netflix zu sehen. Das Buch Wellmania ist beim Verlag Coronet erschienen, in englischer Sprache.

Netflixwoche Redaktion

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