Waco: Amerikanische Apokalypse – Die wahre Geschichte der Sekte der Branch Davidians

Am 19. April 1993 kreisen drei Hubschrauber über dem Gelände von Mount Carmel. Bundesagenten in Schutzwesten nähern sich einem Gebäude, zwei Stockwerke hoch, in der Mitte ein Turm. Darin: Ein Arsenal an Handgranaten und Schusswaffen, alles im Besitz der Branch Davidians. Einer religiösen Sekte, deren Mitglieder fest entschlossen sind, sich gegen die Razzia zu wehren. Mit allen Mitteln.

Die Mini-Serie Waco: Amerikanische Apokalypse zeigt mit bisher nie veröffentlichtem Material, was danach geschah: 51 Tage lang belagerten FBI und ATF (das Amt für für Alkohol, Tabak, Schusswaffen und Sprengstoffe) das Gelände der Davidians.

In drei Folgen erzählt die Doku, wie die Situation bei Waco in Texas eskalierte. Am Ende sind 76 Menschen tot.

Wie konnte es so weit kommen – und was waren die Folgen? Hier sind die Antworten auf die wichtigsten Fragen rund um die Doku-Serie Waco.

Wer sind die Branch Davidians?

Wir leben in der Endzeit, das jüngste Gericht steht kurz bevor – oder hat bereits begonnen. Davon gehen die Mitglieder der Glaubensgemeinschaft der Branch Davidians aus.

Die Sekte glaubt an die Wiedererrichtung des Königreichs Davids. Nach ihrer Überzeugung kehrt Jesus zurück auf die Erde – oder ist sogar schon unter ihnen. Sie selbst sehen sich als Endzeitkirche. Wenn der Tag des jüngsten Gerichts kommt, sind sie von Gott dazu auserwählt, die Welt zu führen.

Die erste Form dieser Sekte wurde 1928 von einem bulgarischen Migranten namens Victor Houteff gegründet. Er war wegen seiner Ansichten von seiner ursprünglichen Glaubensgemeinschaft – den Siebenten-Tags-Adventisten – exkommuniziert worden. 1935 errichteten er und seine Anhänger das erste Hauptquartier der Gemeinschaft: das Carmel-Mountain-Center in der Nähe von Waco, Texas.

Wer war David Koresh und wie wurde er zum Anführer der Sekte?

Wallendes Haar, markante Wangenknochen, gerade mal 22 Jahre alt: David Koresh sah aus wie Rockmusiker. Und genau das wollte er – der eigentlich Vernon Wayne Howell heißt – auch werden. Erfolglos allerdings, bevor er 1981 nach Mount Carmel kam. Von nun an verfolgte er ein anderes Ziel. Doch sein Ehrgeiz blieb derselbe: Er wollte auf die große Bühne. Und bekam sie.

Als Howell der Sekte beitrat, war Lois Roden Anführerin der Gemeinschaft. Ihr gefiel seine sanfte Art. Wenn man den Erfahrungsberichten einiger Aussteiger der Sekte glaubt, hatten Roden und Howell eine Affäre. Sicher ist: Sie erlaubte ihm, seine eigenen „Offenbarungen“ zu predigen.

Auch andere Davidians bewunderten Howell: Er, ein Schulabbrecher, der kaum lesen konnte, kannte die Bibel auswendig. Er sprach von Königen des Alten Testaments wie von guten Freunden. Er verstand, wie man eine Geschichte erzählt, statt Lehrmeinungen aufzusagen. So konnte sich Howell innerhalb der Sekte schnell eine eigene Anhängerschaft aufbauen, die sich kurz darauf von Rodens Branch Davidians abspaltete.

David Koresh: Das Kind zweier Teenager, verlassen von den Eltern, gemobbt in der Schule, erfolglos als Musiker – bis er seine Bühne fand, als Anführer der Branch Davidians.

1988 übernahm Howell mit seinem Teil der Sekte das Gelände auf Mount Carmel. Kurz danach änderte er seinen Namen in David Koresh: Eine Anspielung auf den biblischen König David und den altpersischen Herrscher Kyros den Großen. Beide werden im Alten Testament mit dem Messias in Verbindung gebracht – und auch Koresh sah sich als prophetischer Heilsbringer. Aber unter Koreshs Führung finanzierte sich die Sekte vor allem durch „unternehmerische Tätigkeiten“. Darunter auch Waffenhandel auf sogenannten gun shows.

Wie entwickelte sich die Sekte durch David Koresh?

David Koresh als Messias schottete die Glaubensgemeinschaft von der Außenwelt ab. Rund 130 Anhänger*innen zählten Anfang der 90er Jahre zu seiner Sekte.

Darunter auch Kinder, viele davon von Koresh selbst gezeugt. Die männlichen Mitglieder mussten sexuell enthaltsam leben – alle außer Koresh. Mit einer Reihe von Frauen zeugte Koresh Nachkommen, die er als „Kinder des Neuen Lichts“ bezeichnete.

Mit über 20 Frauen und Mädchen soll Koresh verheiratet gewesen sein. Darunter auch Kinder, gerade mal zwölf Jahre alt.

Wie kam es zu der Razzia von Waco?

Auch, wenn der Weg aus einer Sekte voller Hürden ist, gibt es immer wieder Aussteiger*innen. So auch bei den Branch Davidians.

Sie zeigten die Sekte bei den Behörden an. Die Vorwürfe: sexueller Missbrauch von Kindern, Verstöße gegen Visabestimmungen, illegaler Waffenbesitz. In seiner Offenbarung sagte David Koresh Konflikte mit weltlichen Mächten vorher, weshalb sich die Sekte schwer bewaffnete. Neben nächtelangen Bibelstunden und alltäglichen Aufgaben, die jedes Mitglied bekam, mussten alle das Schießen lernen.

„David war unser Christus“, sagt eine der Überlebenden in der Doku Waco - Amerikanische Apokalypse.

Am 28. Februar 1993 sollten die Waffen beschlagnahmt werden. Doch Koresh wusste bereits Bescheid – und war auf den Einsatz der Behörden vorbereitet. Koresh und seine Anhänger empfingen die Agenten mit einem Kugelhagel. Beide Seiten behaupteten später, die anderen hätten zuerst geschossen.

Durch den Schusswechsel starben an diesem Tag mindestens vier Bundesagenten und zwei Sektenmitglieder – doch die Belagerung des Geländes sollte noch weitere 50 Tage andauern.

Wieso endete die Belagerung von Waco in einem Inferno?

50 Tage später, am 19. April 1993, rückten Panzer des FBI auf Mount Carmel vor und rissen Teile des Gebäudes ein. Die Lage war angespannt, die Verhandlungen gescheitert.

Zwar konnten in der Zwischenzeit mehrere Frauen und Kinder aus dem Gebäude befreit werden. Doch immer noch befanen sich viele Mitglieder der  Sekte hinter den Mauern. Ebenso wie deren Waffen. Die Einschüchterungsversuche des FBI – unter anderem Schlafentzug durch Dauerlärm und die Zerstörung des umliegenden Geländes – hatten keine Wirkung gezeigt. Nun lautete der Plan: Tränengas in das Gebäude sprühen und die von Koresh festgehaltenen Sektenmitglieder durch die eingerissenen Wände befreien.

Dass die Holzhäuser plötzlich lichterloh brannten, damit hatte niemand gerechnet.

Nur neun der 85 verbliebenen Mitglieder überlebten das Feuer. Ein Drittel der Toten waren Kinder. Auch Koresh selbst war unter den Toten. Die meisten Sektenmitglieder blieben in den Flammen zurück und verbrannten oder erstickten – ein Massensuizid, sagten die Behörden später.

War die Tragödie von Waco wirklich ein Massensuizid?

Hatten Koresh und seine Anhänger*innen selbst das Feuer gelegt? Oder löste das Tränengas das Feuer aus, wie einige Überlebende behaupten?

Eine Luftaufnahme des FBI: Das Feuer breitete sich schnell aus.

Acht der überlebenden Sektenmitglieder wurden in einem Gerichtsverfahren verurteilt. Die Vorwürfe lauten unter anderem Totschlag und illegaler Waffenbesitz. Seit 2007 sind jedoch alle wieder frei.

Nach langwieriger Untersuchung, Sichtung von Beweisen und Befragung von Zeug*innen kam die Generalstaatsanwaltschaft zu dem Schluss, dass das FBI nicht für das Feuer verantwortlich sei.

„Letztendlich ist David Koresh der Hauptverantwortliche. Aber auch wir als Regierungsorganisation haben Fehler gemacht“, sagt Gary Noesner, FBI-Chef für Krisenverhandlungen, am Ende der Doku-Serie. „In Waco retteten wir nicht genug Leben. Der Einsatz war ein Misserfolg.“

Welche Folgen hatte die Tragödie?

Bis heute werden die Toten von christlichen Fundamentalist*innen, Verschwörungstheoretiker*innen und militanten Waffenfreund*innen als Märtyrer*innen gesehen: Als Menschen, die für die Freiheit des Glaubens starben.

Zwei Jahre nach dem Brand, am 19. April 1995, zündete der Rechtsextremist und Staatsfeind Timothy McVeigh eine Autobombe vor einem Verwaltungsgebäude in Oklahoma City. Er tötete 168 Menschen und sagte später vor Gericht, das Attentat sei seine persönliche Rache für Waco gewesen.

Heute gibt es kaum noch Branch Davidians. Die Glaubensgemeinschaft verlor nach dem Brand deutlich an Mitgliedern – die Hardliner starben mit David Koresh, andere Gruppen lösten sich auf, verloren ohne Anführer oder abgeschreckt von der Tragödie.

Auf Mount Carmel, dort, wo damals das Feuer wütete, steht heute eine kleine weiße Kirche. Vor ihr wurden zum Gedenken der Toten 80 Bäume gepflanzt. Ab und an finden hier Gottesdienste statt, zum Gedenken der Opfer.

Netflixwoche Redaktion

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