Tour de France – Im Hauptfeld: Den Radklassiker hautnah erleben

„Ihr seid Soldaten, Krieger, Gladiatoren“, schreit Marc Madiot, Chef des französischen Teams Groupama-FDJ, seine Fahrer an. Und genauso werfen die sich auf der nächsten Etappe wieder in die Schlacht. Strampeln über Kopfsteinpflaster, rempeln, stürzen, rasen abwärts mit über 100 Stundenkilometern, klettern auf Pyrenäen- und Alpenpässe, bis der Puls selbst dieser austrainierten Profis auf 180 ist.

Die neue Netflix-Doku Tour de France – Im Hauptfeld zeigt in bisher nie gesehener Nähe die letztjährige Ausgabe eines der weltweit größten Sportspektakel. Dabei gelingt es den Filmemacher*innen, diesen Sport auch denjenigen näherzubringen, die bislang nicht verstanden haben, warum man sich über Stunden und Tage im Fernsehen anschaut, wie eine Gruppe bunt gekleideter Fahrradfahrer durch die französische Landschaft rast. Experten wie der Ex-Profi Steve Chainel erklären die Taktiken der Teams: Geht Jumbo-Visma heute auf Etappensieg oder soll eher für die Gesamtwertung gefahren werden? Die Kamera ist auch bei Mannschaftsbesprechungen dabei, wenn die Egos der Fahrer aufeinanderprallen. Jonas Vingegaard will den Gesamtsieg bei der Tour, braucht dazu die Unterstützung seines Mannschaftskameraden Wout van Aert. Der wiederum möchte selber Etappen gewinnen. Das kostet jedoch Kraft, die ihm als Edelhelfer in den Bergen fehlen könnte. Es kracht zwischen beiden, weil van Aert auf der vierten Etappe einen Alleingang startet. Einen Tag später stellt sich der Belgier dann für Vingegaard  in den Dienst der Mannschaft. Dem Zuschauer wird klar: Radsport ist Teamsport.

In Frankreich wächst jedes Kind mit der Begeisterung für die Tour auf. In Deutschland sind Radsport-Fans nerdige Außenseiter. Lediglich wenn ein Deutscher bei der Tour für Aufsehen sorgt, wächst das Interesse der Medien und Masse. Die Tage von Jan Ullrich sind jedoch lange vorbei. Die von Didi Thurau noch länger.

Schon der nüchterne deutsche Titel „Im Hauptfeld“ zeigt den Unterschied in der Bedeutung und Wahrnehmung im Vergleich mit Frankreich. Dort läuft die Doku unter Au coeur du peloton. Also wörtlich übersetzt „Im Herzen des Hauptfelds“. Und eine Herzenssache ist es allen Beteiligten. Egal ob Fahrer, Teamleiter, Mechaniker, Physiotherapeuten, Radsportjournalisten und Fans.

„Man muss den Schmerz ignorieren, oder besser noch den Schmerz lieben, um gewinnen zu können.“

Jonas Vingegaard

Von den Vorbereitungen der Teams und Fahrer über sämtliche 21 Etappen vom Grand Depart in Kopenhagen bis zum Finale in Paris sind die Zuschauer*innen so nah dabei, als säßen sie mit in den Teamfahrzeugen. Im Fokus stehen unter anderem die Mannschaften Jumbo-Visma, Quick-Step, die französischen Teams AG2R Citroën und Groupama-FDJ sowie Bora-hansgrohe aus Deutschland.

Am 1. Juli startet in Bilbao die erste Etappe der diesjährigen Tour. Wer verstehen will, worin die Faszination beim Kampf um das gelbe, grüne und gepunktete Trikot besteht, der sollte unbedingt in das ausgemergelte Gesicht von Vorjahressieger Jonas Vingegaard schauen. Als der am Ende der 11. Etappe seinen großen Gegner, den zweifachen Toursieger Tadej Pogacar, am furchtbaren Anstieg auf den Col de Granon stehen lässt und das Gelbe Trikot übernimmt, sind die Emotionen so greifbar, dass nicht nur bei Vingegaard Tränen fließen, sondern garantiert auch bei manchem Doku-Zuschauer auf dem Sofa.

„Man muss den Schmerz ignorieren, oder besser noch den Schmerz lieben, um gewinnen zu können“, sagte der dänische Überraschungssieger, der noch 2018 in einer Fischfabrik in Jütland arbeitete. Vergangenen Sommer nach seinem Tour-Triumph wurde er von Hunderttausenden in Kopenhagen empfangen wie ein König. Vor ihm und seiner Leistung verneigte sich sogar die Königliche Familie.

Wer wissen will, was Leiden und Schmerz bedeutet – der muss Tour de France  Im Hauptfeld gucken.

Netflixwoche Redaktion

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