„Wäre ich fähig zu morden?“ – Bestsellerautor Bernhard Aichner im Interview über Totenfrau

Die Bestatterin Brünhilde Blum führt ein Bilderbuchleben. Sie ist glücklich verheiratet, hat zwei Kinder und einen liebevollen Mann. Alles scheint perfekt. Doch eines Morgens setzt sich ihr Mann auf sein Motorrad, biegt von der Einfahrt auf die Straße ab und wird plötzlich von einem Land Rover erfasst. Er fliegt durch die Luft und landet auf dem Asphalt. Der Rover rast davon. Fahrerflucht.

Bald lernt Blum: Es war kein Unfall. Sondern Mord. Jemand wollte, dass ihr Mann stirbt, weil er zu viel wusste. Blum ermittelt selbst und metzelt sich bald durch die Tiroler Alpen. Bei ihrem Rachefeldzug verschwimmen die Grenzen zwischen Gut und Böse, richtig und falsch. Das ist der Plot der neuen Netflix-Serie Totenfrau.

Zum Start der Serie haben wir ein Interview mit dem Bestsellerautor der Romanvorlage geführt: dem Österreicher Bernhard Aichner. Ein Gespräch über die besten Sargmodelle, Rocky Balboa und die Frage, ob Aichner einen Menschen umbringen könnte.

Netflixwoche: Bevor du Totenfrau geschrieben hast, hast du ein Praktikum in einem Bestattungsinstitut gemacht. Gibt es ein Sargmodell, das Du empfehlen kannst?

Bernhard Aichner: Ich würde den billigsten nehmen, einen einfachen Verbrennungssarg in Fichte. Kostet nur 300 Euro. Da unten in der Erde spielt es nämlich am Ende keine Rolle, ob Eiche oder Ahorn. Ein teurer Sarg ist wenig nachhaltig, deshalb für mich bitte die Diskont-Variante.

Wie wird man eigentlich Bestattungs-Praktikant?

Bernhard Aichner: Als ich die Bestatterin gefragt habe, ob ich bei ihr für ein Buch recherchieren dürfte, hat sie gesagt: „Kannst du gerne machen, aber du musst mithelfen.“

Hat sich deine Beziehung zum Tod dadurch verändert?

Bernhard Aichner: Eher zum Leben. So traurig es auch sein kann, wenn man mit den Angehörigen spricht und ihr Leid miterlebt: Man bekommt als Bestatter auch täglich vor Augen geführt, wie wertvoll das Leben ist. Wie schön es ist, dass man lebendig sein darf. Atmen, berühren, lieben.

Man begreift vielleicht auch, dass das Leben endlich ist?

Bernhard Aichner: Genau. Im normalen Leben hat man keine Berührung mit dem Tod. Das Tabu ist groß. Wenn man vom Tod redet, sagen alle: „Nein, nein, sprich nicht darüber.“ Beinahe so, als würde uns das Thema nicht betreffen, aber das tut es. Am Ende liegen wir alle auf irgendeinem Versorgungstisch.

Du hast Totenfrau vor ungefähr neun Jahren geschrieben. Hat sich dein Blick auf die Geschichte durch die Serie verändert?

Bernhard Aichner: Ich kenne einige Autorinnen und Autoren, die todunglücklich waren, als sie die Verfilmungen ihrer Werke gesehen haben. Aber ich bin sehr glücklich mit Totenfrau. Die Serie ist nah dran an dem, was ich geschrieben habe. In meinen Büchern geht es mir um Emotionalität, um das Innenleben meiner Figuren. Wie sie fühlen. Wie sie lieben. Wie sie hassen. Und das macht Anna Maria Mühe in der Serie großartig sichtbar. Es ist so, wie es in der Welt am Sonntag stand: Nach exakt zwei Sekunden hat Anna Maria Mühe alle Abgründe, alle Schönheit dieser Figur zum Leuchten gebracht.

Apropos Emotionalität: Beim Schreiben von Totenfrau hast du Philipp Poisel gehört.

Bernhard Aichner: Ja, „Projekt Seerosenteich“. Diese Schmachtfetzen haben mich durch viele Szenen getragen.

Hätte Slipknot nicht besser gepasst?

Bernhard Aichner: Ich bin ein unverbesserlicher Romantiker. Deswegen gibt es in allen meinen Büchern immer auch eine Liebesgeschichte. Und wenn ich dann so schmalzige Lieder beim Schreiben höre, kann ich wunderbar übertreiben. Im Lektorat heißt es dann oft: „Hast du wieder Kitsch-Musik gehört, Bernhard?“ Aber es ist mir halt wichtig, dass neben dem Tod auch die Liebe Platz findet in meinen Thrillern.

Du hast einmal gesagt, dass deine gesamte kriminelle Energie in deine Figuren fließt. Wenn du nicht Schriftsteller geworden wärst, meinst du, du wärst heute im Knast?

Bernhard Aichner: In Wirklichkeit bin ich ein friedfertiger Mensch. Wobei: Das stimmt nicht ganz. Beim Schreiben von Totenfrau habe ich mich oft gefragt: Wie würde ich damit umgehen, wenn meine Kinder entführt, vergewaltigt oder getötet werden? Wenn meiner Frau etwas angetan wird? Wenn das Rechtssystem es nicht fertigbringt, die Schuldigen hinter Gitter zu bringen und zu bestrafen? Wäre ich fähig zu morden? Wie weit würde ich gehen?

Und deine Antwort?

Bernhard Aichner: Weit. Ich könnte zum Mörder werden. Aber ich glaube, das gilt für jede und jeden von uns.

Auf Facebook hast du deine Leserinnen und Leser einmal gebeten, sich Mordmethoden abseits von Erstechen, Erschlagen, Erwürgen und Erschießen auszudenken. Aus welchem Land kamen die brutalsten Vorschläge? Deutschland, Österreich oder die Schweiz?

Bernhard Aichner: Der gesamte deutschsprachige Raum hat enormes kriminelles Potential. Speziell Frauen haben sehr grausame Fantasien. Unter dem Post gab es 647 Kommentare. Beim Lesen habe ich gedacht: Was ich schreibe, ist dagegen Kindergeburtstag. Seitdem sage ich: Nicht mit mir stimmt etwas nicht. Sondern mit meinen Leserinnen und Lesern. Und jetzt auch mit dem Netflix-Publikum. (Lacht)

Du bist in einem Dorf in Osttirol aufgewachsen. In einem Interview hast du einmal gesagt, dass dir das Schreiben als Jugendlicher geholfen hat, der Enge des Landlebens zu entfliehen. Wärst du auch Schriftsteller geworden, wenn du in Wien aufgewachsen wärst?

Bernhard Aichner: Bestimmt. Ich hatte schon sehr früh den Wunsch, Autor zu werden, und vielleicht irgendwann damit erfolgreich zu sein.  Das Dorf hat mir früh gezeigt, dass es möglich ist, mit Stift und Papier zu reisen und in andere Welten einzutauchen. In der Fiktion ist alles möglich.

Ein großes Vorbild von dir ist Sylvester Stallone.

Bernhard Aichner: Die Underdog-Geschichte in Rocky hat mich immer schon fasziniert. Dass man sich von ganz unten nach ganz oben kämpfen kann. Dass es möglich ist. Auch wenn alle sagen: „Das geht nicht.“

Deine Eltern waren vermutlich nicht begeistert, als du gesagt hast: Ich will Schriftsteller werden.

Bernhard Aichner: Sie haben gesagt: „Das ist ein Traum, der hübsch ist, aber vergiss es. Davon kann man nicht leben. Werd lieber Lehrer.“ Für mich war das aber ein Ansporn: Irgendwie geht das doch. Du bekommst du das hin, Bernhard.

Wir sind jedenfalls froh, dass du nicht auf deine Eltern, sondern auf Rocky Balboa gehört hast.

Bernhard Aichner: Mittlerweile verstehe ich meine Eltern natürlich. Mütter und Väter wünschen sich sichere Berufe für ihre Kinder, damit sie sich keine Sorgen machen müssen. Aber trotzdem sage ich zu allen jungen Menschen, die schreiben: „Macht weiter. Glaubt daran. Wenn man etwas wirklich will, dann schafft man das auch.“

Lennardt Loss, Netflixwoche

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