Gegen Ende der Doku Pamela, a love story bekommt die 57-jährige Pamela Anderson, deren Karriere nach einem Sextape-Skandal als beendet galt, überraschend ein Angebot. Sie soll die Rolle der Roxie in dem Broadway-Musical Chicago zu spielen. Bei den Proben in New York sagt der Dramaturg zu ihr: „Immer wieder geht es um das Ich. Ich ist Roxies Lieblingswort.“ Daraufhin sagt Anderson den Satz, um den es ihr in dieser Doku, in ihrer Karriere und in ihrem Leben geht:
„Glaub ich nicht. Es geht ihr nicht ums Ich. Sondern darum, respektiert zu werden, gesehen zu werden, Freiheit zu haben.“
Pamela, a love story gehört zu dem jungen Genre der Ich-Dokumentation, das zur Zeit auch zum Beispiel Harry und Meghan sehr erfolgreich bespielen. Die Dramaturgie: Weltstars erzählen ihre persönliche Interpretation ihres Lebens und emanzipieren sich von dem Bild, das die Medienöffentlichkeit von ihnen geschaffen hat. Wie gut das funktioniert, steht und fällt mit dem Erzähltalent der Protagonist*innen.
Bei Pamela Anderson funktioniert es. Sie ist eine tolle Erzählerin. Selbstironisch, witzig, aber man spürt in jedem Moment, dass ihr Humor auch eine Antwort auf ihren Schmerz ist. Ein Beispiel vom Anfang der Doku: Nach einer Weltkarriere und sechs gescheiterten Ehen kehrt Pamela Anderson mit Mitte 50 wieder dorthin zurück, wo sie aufgewachsen ist: in den kanadischen 9.000-Seelen-Ort Ladysmith.
„Wie ein Lachs, der zum Sterben wieder nach Hause kommt“, sagt sie dazu.
Ein toller Satz, weil er ihre Selbstironie zeigt, trotzdem ein bisschen echtes Entsetzen enthält, und weil er eine charmante Lüge ist: Gestorben wird hier nicht, im Gegenteil, jetzt geht es nochmal so richtig los.
„Warum nicht mal was Neues ausprobieren in den Fünfzigern?“, fragt die programmatisch ungeschminkte Anderson (Bildbotschaft: Der Lack ist ab) in die Kamera, als sie das Broadway-Skript zugeschickt bekommt.
Bevor das Neue losgeht, erzählt Anderson in knappen zwei Stunden Doku alle wichtigen Stationen, die sie an den Punkt geführt haben, an dem sie jetzt ist: zuhause. Oder, ein bisschen kitschiger, aber deswegen nicht schlechter: bei sich.
Sie erzählt davon, dass sie im Alter von 12 Jahren von einem 25-jährigen Mann, den sie für einen Freund hielt, vergewaltigt wurde. Es war ihr erster sexueller Kontakt. Sie wurde seitdem immer wieder misshandelt. Sechs Mal war sie verheiratet. Mit dem Rockstar Tommy Lee hat sie zwei Söhne. Sie hat sich von ihm getrennt, weil er gewalttätig wurde.
Trotzdem hat sie bis heute ein enges Verhältnis zu Lee. Er ist unter allen Partnern von Anderson nicht nur der biologische Vater, sondern auch die einzige Vaterfigur in den Leben ihrer Söhne ist, wie sie in der Doku erzählen. An einer Stelle sagt Anderson, ein kleiner Teil von ihr wünsche sich, wieder mit Lee zusammen zu kommen. Aber der größere Teil sei sich der Unmöglichkeit einer neuen Beziehung bewusst. Das mache sie traurig.
Den Sänger Kid Rock dagegen, mit dem sie später verheiratet war, habe sie nie wirklich geliebt, sagt sie. Weitere Ehemänner sind wohl so unwichtig, dass sie in der Doku nicht mal namentlich erwähnt werden.
Natürlich geht es in den zwei Stunden auch um Andersons Karriere als Playboy-Girl und Baywatch-Star. Sie erzählt dazu eine sehr schöne Anekdote vom Anfang ihrer Karriere: Als sie zu ihrem ersten Playboy-Shooting nach Los Angeles fliegen wollte, scheiterte sie am Flughafenpersonal, das sie aufgrund einer fehlenden Arbeitserlaubnis nicht von Kanada in die USA einreisen lassen wollte. Sie reiste dann per Greyhound-Bus als illegale Arbeitsmigrantin in die USA ein.
Es geht auch darum, dass sie in Interviews immer zuerst auf ihre Brüste angesprochen wurde („Sind die operiert oder nicht?“), und dann auf den Rest, wenn noch Zeit war. Und um das berühmte Sextape mit Tommy Lee, zu dem aber alles gesagt wurde, und das oft. Wer das Tape geleakt hat, weiß man bis heute nicht.
Aber hauptsächlich geht es, wie der Titel der Doku schon sagt, um Liebe. Liebe zu ihren Eltern, obwohl der Vater ein notorisch untreuer Choleriker war, und, wie Anderson sagt, leider prägend für ihren Männergeschmack. Liebe zu ihren Kindern, die sie immer vor der Öffentlichkeit schützen wollte. Liebe zu ihren Ex-Ehepartnern, vor allem zu Tommy Lee. Und nicht zuletzt um den Versuch der Selbstliebe einer Frau, die Missbrauch erfahren hat, die – das sagt sie – ihre Beziehungshistorie als ein Scheitern wahrnimmt und sich abseits der Bühnen oft einsam fühlt.
Pamela Anderson mit ihren Söhnen. In der Doku blickt sie mithilfe von Tagebucheinträgen, alten Fotos und Heimvideos auf die großen Liebesgeschichten ihres Lebens zurück.
Diese traurige Liebesgeschichte erzählt Anderson aber so unterhaltsam und im tiefsten Sinne komisch, dass man sich am Schluss denkt: Ich würde jetzt so gern einen Film mit Pamela Anderson in der Hauptrolle sehen. Pamela Andersons zweite Karriere als Charakterdarstellerin hat gerade erst angefangen, und man darf gespannt sein, was noch alles kommt.
Netflixwoche Redaktion