„30 Meter unter Wasser bin ich tiefenentspannt“ – Eine Meerjungfrau über die Doku-Serie MerPeople

Die neue Netflix-Serie MerPeople begleitet Menschen, die davon träumen, als professionelle Meerjungfrauen und -Männer zu arbeiten. Zum Start der Doku haben wir ein Interview mit Mermaid Kat geführt, die vor über zehn Jahren die erste Meerjungfrauenschule der Welt gegründet hat.

Es ist noch früh und die Sonne ist gerade erst aufgegangen, als Brittany ihre Meerjungfrauenflosse im Kofferraum verstaut und sich ans Steuer ihres Kleinwagens setzt, um über 1.500 Kilometer von Arkansas nach Virginia zu fahren. Hier findet die „MerMagicCon“ statt. Eine Messe, auf der sich Menschen treffen, die als professionelle Meerjungfrauen und -männer arbeiten – oder davon träumen.

Brittany (Meerjungfrauenname: Mermaid Sparkles) ist angespannt. Auf der Messe wird es auch ein Show-Schwimmen geben. Die besten Meerjungfrauen- und Männer haben die Chance, für Morgana Alba zu arbeiten. Alba hat den Circus Siren Pod gegründet. Eine exklusive Gruppe von Merpeople, die überall in den USA auftreten. Brittany hat sich schon einmal beim Circus Siren Pod beworben. Doch damals hat ihr Morgana Alba gesagt: „Du bist noch nicht so weit.“

Heute will Brittany Alba beweisen, dass sie doch so weit ist. Dass sie sich unter Wasser wie ein magisches Wesen bewegen kann und dabei nicht angestrengt und konzentriert, sondern mühelos und elegant wirkt.

Diese Szene stammt aus einer neuen, vierteiligen Doku-Serie auf Netflix, die von der Welt des professionellen Mermaidings erzählt: MerPeople.

Mermaid Sparkles in der neuen Netflix-Serie Merpeople.

Noch vor zwanzig Jahren gab es nur sehr wenige Menschen auf der Welt, die überhaupt wussten, was Mermaiding ist. Doch mittlerweile setzt die Branche über eine halbe Milliarde US-Dollar pro Jahr um. Es gibt Schönheitswettbewerbe, Conventions, Wettkämpfe, Castings und Shows. Eine Meerjungfrau in der Doku sagt: „Merpeople gibt es heute fast überall auf der Welt. Man muss sie nur finden.“

Zum Start von MerPeople haben wir ein Interview mit Katrin Gray aka Mermaid Kat geführt. Sie wurde in Deutschland geboren, lebt mittlerweile in Australien und gehört zu den Pionier*innen der Szene: Vor über zehn Jahren hat sie die erste Meerjungfrauenschule der Welt eröffnet und bis heute über 10.000 Schüler*innen ausgebildet. Sie gibt eigene Flossen-Kollektionen heraus und arbeitet als Unterwassermodel und -Stuntfrau.

Mermaid Kat im offenen Meer. Foto: Marten von Rauschenberg.

Netflixwoche: Viele Merpeople haben immer wieder Ohren- und Nasennebenhöhlenentzündungen. Du auch?

Mermaid Kat: Meine letzte Ohrenentzündung ist — toi, toi, toi! — schon über zehn Jahre her. Aber das liegt vor allem daran, dass ich Mermaiding meistens im offenen Meer betreibe.

Weil die Wasserqualität dort besser ist als in einem Pool?

Genau. Mit meinem Nixen-Team bin ich im Januar in Deutschland aufgetreten: in einem großen Wassertank. An einem Tag hat der pH-Wert nicht gestimmt, weil die Veranstalter viel zu viel Chlor hineingekippt haben. Und wir konnten den ganzen Tag über nicht vernünftig sehen. Trotz Augentropfen.

Als professionelle Meerjungfrau trägst du unter Wasser keine Tauchmaske.

Bei jeder Bewegung oder Drehung läuft Wasser in die Nase und in die Nebenhöhlen. Wenn der Chlor-Wert zu hoch ist, brennt das ungemein. Manchmal ist es gar nicht auszuhalten.

Wie viele Minuten pro Auftritt verbringt man an so einem Tag unter Wasser?

Wir sind bei einem Auftritt meistens 20 bis 30 Minuten im Wasser. Der Tank in Deutschland war etwa vier Meter tief. Man muss jedes Mal hoch und runter schwimmen und dabei einen Druckausgleich machen. Wenn die Nebenhöhlen dabei immer wieder geflutet werden, machen sie irgendwann dicht.

Und dann funktioniert der Druckausgleich nicht mehr?

Ja. Außerdem sind unsere Flossen nicht ganz leicht. Sie wiegen zwischen acht und 16 Kilogramm. In den USA gibt es sogar Hersteller, die doppelt so schwere Flossen produzieren. Das schlaucht schon auf die Dauer.

Mermaid Kira Kira schwimmt in MerPeople in einem Pool.

In der Serie sagt jemand, dass die Mermaid-Szene gerade exponentiell wächst. Warum wollen so viele Menschen Meerjungfrauen und -männer sein?

Ich würde mich zu der älteren Generation von Merpeople zählen. Bei uns war es wirklich noch so, dass wir als Kinder Arielle, die Meerjungfrau oder Splash – Eine Jungfrau am Haken geschaut haben und fasziniert von diesen schönen Fabelwesen waren. Bei der neueren Generation ist das anders.

Inwiefern?

Wir leben leider in einer Gesellschaft, in der viele Menschen hochtraumatisiert sind. Die meisten Merpeople haben sich bewusst dafür entschieden, mehr Licht und Farbe, mehr Glitzer und Magie in ihr Leben zu lassen. Unter Wasser kann man dem Alltag entfliehen. Man vergisst den Stress und die Sorgen und ist in seiner eigenen Welt.

Es stimmt also, was Mermaid Sparkles in der Serie sagt: „Das Gewicht der Welt kann so heftig sein. Als Mermaid entfliehe ich dem Alltag.“

Wir alle versuchen doch dem Alltag zu entkommen. Manche schauen die Netflix-Mediathek durch, andere treiben Sport oder gehen auf Weltreise — und wieder andere manchen Mermaiding.

Eric Ducharme aka The Mertailor in MerPeople.

In einem Interview hast du einmal gesagt, dass Mermaiding mehr als eine Leidenschaft ist. Man ist auch eine Botschafterin der Meere.

Merpeople bilden eine Brücke zwischen dem Meer und den Menschen. Die Unterwasserwelt ist wunderschön. Aber durch die Umweltverschmutzung stehen wir kurz davor, vieles davon zu verlieren. Den Schülerinnen und Schülern in meiner Meerjungfrauenschule sage ich deswegen immer: Mermaiding ist mehr, als nur das Schwimmen mit einer schönen Flosse. Ihr habt eine Stimme. Nutzt sie!

Wann hast du eigentlich Deine erste Flosse bekommen?

Das war 2012. Damals habe ich in Thailand gelebt und mich daran erinnert, dass ich als Kind immer eine Meerjungfrau sein wollte. Ich habe dann meine Tauchlehrer-Ausbildung abgeschlossen und mir meine erste Flosse selbst gebaut. Damit bin ich zu einem Schneider gegangen, der Wetsuits hergestellt hat. Er hat den Bezug genäht und ich habe die Flosse mit Latex-Farbe bemalt. So wurde Mermaid Kat geboren.

Hast du die Flosse noch?

Leider nicht. Ich habe einen Anfängerfehler begangen und nicht daran gedacht, dass sich Salzwasser, Sonne und Chlor nicht mit Latex vertragen. Die Flosse hat sich irgendwann aufgelöst. Das Latex wurde  ganz klebrig und hat sich abgeblättert. Die Flosse ist dann schweren Herzens in die Mülltonne gewandert.

Vielen Meerjungfrauen und -Männern in der Serie fällt es schwer, Ihre Rolle zu verlassen. Sie verschmelzen mit ihrer Merpeople-Persona. Wie viel Mermaid Kat steckt in Katrin Gray?

Bei mir ist das ganz klar getrennt. Mermaid Kat ist ein fiktiver Charakter, auf dem ich mein Unternehmen aufgebaut habe: meine Arbeit als Unterwasser-Stuntfrau, meinen Shop, die Meerjungfrauen-Schule. Aber privat bin ich ein Mensch und habe keine Flosse, sondern zwei Beine.

Mermaid Ché Monique in MerPeople.

Die Fragen hast du bestimmt schon eine Millionen Mal gehört. Aber wie lange kannst du die Luft anhalten?

Darauf gibt es keine richtige Antwort. Ich habe zum letzten Mal vor zehn Jahren gemessen, wie lange ich die Luft anhalten kann. Damals waren es 03:20 Minuten im Ruhezustand. Mittlerweile müsste es mehr sein. Es kommt beim Mermaiding aber auch nicht darauf an, dass man einen Rekord im Luftanhalten bricht.

Nein?

Wichtig ist, dass man Unterwasser performen kann und entspannt ist. Wie lange man schlussendlich die Luft anhalten kann, wird durch viele Faktoren beeinflusst. Wie kalt ist das Wasser? Zittere ich? Wenn ich im offenen Meer bin: Gibt es dann eine Strömung, gegen die ich anschwimmen muss? Sind Delphine um mich herum?

Delphine beeinflussen, wie lange du die Luft anhalten kannst?

Klar, wenn ich Delphine sehe, freue ich mich und bin aufgeregt. Dabei verbrauche ich viel mehr Sauerstoff als bei meiner Arbeit als Unterwasser-Stuntfrau, wenn ich etwa in einem Schiffswrack 30 Meter unter der Wasseroberfläche bin.

30 Meter? Tauchst du dann jedes Mal wieder auf?

Nein, bei solchen Fotoshootings bin ich ungefähr 45 Minuten am Stück unter Wasser und habe Blei dabei, damit ich nicht auftauche. Wenn mir die Luft ausgeht, werde ich von einem Sicherheitstaucher über einen Luftschlauch beamtet. Ich falle da manchmal in einen Zustand absoluter Tiefenentspannung.

Tiefenentspannung? Hast du da nie Angst?

Ich mache wirklich verrückte Sachen unter Wasser. Das hat allerdings nichts mehr mit Mermaiding zu tun. Sondern das ist mein Job als Unterwasser-Stuntfrau. Meine Schülerinnen und Schüler in der Meerjungfrauenschule sind Freediver. Sie holen an der Wasseroberfläche Luft, tauchen kurz ab und schwimmen wieder nach oben.

Nochmal: Hast du nie Angst beim Stunt-Tauchen?

Mich hat schon mal ein Hammerhai durch die Gegend geschoben. Und einmal ist ein vier Meter großes Salzwasserkrokodil über mich herübergelaufen. Aber in all diesen Moment habe ich keine Panik gespürt. Im Gegenteil. Wenn so ein großes Lebewesen unter Wasser den Kontakt zu mir sucht, muss ich immer grinsen, weil ich mir denke: Wie viele Menschen auf diesem Planeten haben schon die Möglichkeit, so eine Begegnung im offenen Meer zu haben?

Lennardt Loss, Netflixwoche

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