Lidia Poët: Die wahre Geschichte der ersten Anwältin Italiens

 „Wenn Gott gewollt hätte, dass du Anwältin wirst, hätte er dich als Mann geschaffen.“ Diesen Satz bekommt Lidia Poët gleich zu Beginn der neuen italienischen Netflix-Serie Das Gesetz nach Lidia Poët von ihrer Schwägerin um die Ohren gehauen. So gesehen legt Lidia sich in den sechs Folgen der Miniserie in einer Tour mit dem Allvater an. Wobei Lidia sicher gegen die Auffassung einer rein männlichen Entität protestiert hätte.

 Und zwar sowohl die von Matilda De Angelis mit großer Leichtigkeit, einer Portion Witz und Sexappeal gespielte Filmfigur Lidia Poët, als auch die echte. Denn Lidia Poët gab es wirklich.

Wer war Lidia Poët?

Die historische Lidia lebte von 1855 bis 1949 im Piedmont und erhielt als erste Frau in Italien ihre Anwaltslizenz 1883. Dies löste einen Sturm der Entrüstung in der männlich-chauvinistisch dominierten Justiz aus und führte dazu, dass man Lidia Poët die Lizenz in einer Melange aus Ränkeschmieden und eindeutigen Rechtsverletzungen 1884 wieder entzog.

Es sollte bis 1920 dauern, bis ein Gericht Lidia ihre Lizenz wieder zuerkannte. Da war sie 65 Jahre alt. In der Serie wird dieses Berufsverbot gleich in der ersten Folge thematisiert. Lidia arbeitet, auch dies historisch korrekt, fortan als Assistentin ihres Bruders Enrico (Pierluigi Pasino), der ebenfalls Anwalt ist.

Auch wenn dieser Rahmen der einzige belegte Bezug zu Lidias Leben ist, und die Fälle, die sie in der Serie mit Scharfsinn löst, ebenso fiktional sind wie ihre Liebschaften – unter anderem mit dem Journalisten Jacopo Barberis (Eduardo Scapetta) – ist es ein Verdienst der Produktion, dass sie aufmerksam macht auf den Kampf einer wichtigen feministischen Vorreiterin.

Die Produzenten Guido Iuculano und Davide Orsini stießen bei Recherchen über das Turin des 19. Jahrhunderts auf Lidias Geschichte. „Sie war eine unglaublich mutige, unangepasste, hypermoderne und inspirierende Frau, die nicht nur in Italien, sondern auf der ganzen Welt eine entscheidende Rolle bei der Veränderung der Situation der Frauen spielte", sagt Iuculano. Und so beschlossen die beiden, dass es an der Zeit war, Lida Poët dem Vergessenwerden zu entreißen und ihr ein filmisches Denkmal zu setzen.

Ein Denkmal, das frei von jedem Staub ist. Ähnlich wie bei den erfolgreichen Vorbildern Downton Abbey, Bridgerton oder Peaky Blinders ist auch die Handlung von Das Gesetz nach Lida Poët eingebettet in historischen Fakten. So spielt etwa das Aufkommen der anarchistischen Bewegung im Italien des 19. Jahrhunderts eine Rolle.

Man lernt also etwas und das Ganze ist auch noch nett anzuschauen. Denn: Kostüm und Ausstattung fahren groß auf. Lidia wechselt die Garderobe pro Folge mehrmals und ist stets zwischen entzückend und atemberaubend.

Das entspricht zwar nicht unbedingt der tatsächlichen Bekleidung dieser Zeit, die viktorianisch streng-steif-hochgeschlossen daherkam, aber es muss schon ein arger Modemuffel sein, wer nicht hingerissen ist von dem italienischen Chique aus Brokat, Samt und Seide, den Kostümbildner Stefano Ciamitti in die Schlacht schickt. Manchmal ist Lidias Look auch schon ganz 20. Jahrhundert: androgyn-rebellisch, etwa mit grauem engem Hosenrock, über den ein schwarzer Ledermantel rauscht.

Dazu ein beabsichtigter Stilbruch, der schon bei Peaky Blinders zündete: Gern knallt moderne Pop- und Rockmusik durch die Turiner Straßen, wenn Frau Poët auf Verbrecherjagd geht. Eine Modernität, die sehr gut passt zu dieser fortschrittlichen Frau mit ihren fiktional wechselnden Männerbeziehungen.

Ob die historische Lidia Poët auch so lebenslustig war, wie die fiktionale, ist nicht bekannt. Die Geschichtswissenschaft hat Frauen wie Poët leider bislang wenig Aufmerksamkeit gewidmet.

Über die private Seite von Lidia ist wenig bekannt. Da gerade die frühen Feministinnen, die Suffragetten etwa, von der – überwiegend männlichen Geschichtsschreibung – oft als unattraktive Matronen verzerrt dargestellt wurden. Als Frauen, die „keinen Mann abbekommen haben“, weil sie zu hässlich und selbst zu „männlich“ sind.

Netflixwoche Redaktion

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