Koreanischer Film: Hollywood war gestern – Welcome to Hallyuwood!

Auf Netflix kann man sich Filme auf über 25 Originalsprachen anschauen. Die Auswahl reicht von „Polnisch“ über „Japanisch“ bis hin zu „Telugu“. In unserer neuen Serie Nur mit Untertiteln stellen wir Länder vor, in denen zwar irre gute Filme gedreht werden — doch über die man in Deutschland zu wenig spricht. Diesmal: Südkorea.

Publikum und Fachwelt sind sich einig: Die aufregendsten Filme zurzeit kommen aus Hallyuwood! Moment – das sollen News sein? Ist der Autor dieses Textes beim Versuch, „Hollywood“ zu tippen, kurz auf der Tastatur eingeschlafen?

Nicht doch. „Hallyu“ ist das koreanische Wort für „Welle“. Und seit die „Korean New Wave“ – die neue Welle des koreanischen Films – in den späten 1990er-Jahren richtig ins Rollen kam und südkoreanische Produktionen den Weltmarkt erobert haben, hat sich für die koreanische Filmindustrie das Wort „Hallyuwood“ etabliert.

In der Science-Fiction-Serie Black Knight kämpfen die schwarzen Ritter um das Überleben der Menschheit.

Für Netflix machte Squid Game den Anfang: Die koreanische Serie legte den erfolgreichsten Streaming-Start der Welt hin, mit 111 Millionen Zuschauer*innen in den ersten 28 Tagen. Weitere Hits folgten, von Reality-Shows wie Physical: 100 bis zu Action-Serien wie Black Knight erobern regelmäßig koreanische Originals die Top 10.

Wie wurde Hallywood so erfolgreich?

Das südkoreanische Kino ist ein Genre-Buffet

Südkorea hat ungeheuer talentierte Regisseure hervorgebracht, wie Park Chan-wook (Oldboy), Bong Joon-ho (Parasite) und Kim Ki-duk (Pieta). Sie haben mit einem selbstbewussten Oeuvre aus Publikums- und Arthouse-Filmen dafür gesorgt, dass das koreanische Kino in der internationalen Filmwelt als beispiellose Kreativkraft, als Innovationsmotor gilt.

Das südkoreanische Kino ist wie ein Genre-Buffet eines exzentrischen Sternekochs: mit moderner Fusionsküche aus Drama, Thriller, Komödie, Action und Horror. Filmemacher wie Bong Joon-ho haben die Regeln des Films und der Genres so verinnerlicht, dass sie virtuos mit ihnen brechen, sie mischen und zu etwas noch nie Gesehenen zusammensetzen können.

Die Kreativität schlummerte schon lange in der koreanischen Filmindustrie. Nur das Geld fehlte. Darum konzentrierten sich viele koreanische Fernsehsender früher auf romantische Komödien und andere Geschichten aus dem Alltagsleben, die günstiger zu produzieren sind. Doch dann kam der Durchbruch – mit Serien wie Squid Game und einem großen Oscar-Gewinner.

Parasite bereitete den Weg

Bongs revolutionärer Film Parasite von 2019, eine Mischung aus Sozialdrama, Satire, Horror- und Splatterfilm, war ein unglaublicher Erfolg und markierte den endgültigen Durchbruch des südkoreanischen Kinos in der ganzen Welt. Er gewann die Goldene Palme in Cannes, den Oscar für den Besten Film und brach an den Kinokassen Rekorde.

Bong ist ein vielseitiger Regisseur: Sein familiengerechter Abenteuerfilm Okja rührt zu Tränen, sein Thriller Mother erzählt ein toxisches Mutter-Sohn-Verhältnis und verstört nachhaltig.

Spielen mit dem Superschwein: In dem Abenteuerfilm Okja hat Mija (Ahn Seo-hyeon) ein besonderes Haustier.

Die südkoreanischen Filme erzählen Geschichten über soziale Probleme, Familienbande, historische Ereignisse und bittersüße Liebesgeschichten. Und sie tun es mit großer visueller Kraft. Auch in den teilweise drastischen Gewaltdarstellungen liegt eine zerbrechliche Schönheit.

Komödien werden zu Horrorfilmen

Südkoreanische Filme folgen der Erzähltradition des Landes, die eigenwillig und zuweilen konträr zu der Erzähltradition Hollywoods verläuft, die Kinobesucher der letzten einhundert Jahre so stark erlernt und verinnerlicht haben, dass Abweichungen von einer Drei-Akt- oder Vier-Akt-Struktur oder der klassischen Heldenreise erstmal eine Irritation hervorrufen.

Aber das koreanische Kino schafft es, mit Wahrung der eigenen Erzähltradition so elegante und archaische Geschichten zu erzählen, dass sie weltweit anschlussfähig sind und dass die Irritation, das Disruptive, das Neue so überraschend und überzeugend seine Wirkung entfaltet, dass man das Medium Film im besten Fall als Zuschauer nochmal neu erfährt.

Dass eine Komödie in der zweiten Hälfte zum beinharten Horrorfilm werden kann, das war in Hollywood undenkbar.

Der Hype ist noch lang nicht vorbei

Bei aller Innovation ist der kommerzielle Erfolg des südkoreanischen Kinos teilweise atemberaubend. Filme wie Train to BusanThe Host und Along with the Gods konnten, was die Einspielergebnisse betrifft, mit bombastischen Hollywood-Produktionen wie den Comicverfilmungen Thor oder Guardians of the Galaxy mithalten. Und die Serie Squid Game war die erfolgreichste Netflix-Produktion aller Zeiten.

Leg dich nicht mit Mama an: Gil Boksoon (Jeon Do-yeon) sticht in dem Actionfilm Kill Boksoon gerne zu.

Die Neuerscheinungen zeigen, dass der Hype um den koreanischen Film noch lange nicht vorbei ist: Die dystopische Serie Black Knight ist bei Netflix stark in den Top 10 gestartet. Die Auftragskillerinnen-Action-Dramödie Kill Boksoon erzählt eine Auftragsmörderin als überforderte Mutter einer pubertären Tochter, mit einer leichtfüßigen Selbstverständlichkeit, die einem inmitten von didaktisch überladenen Welterklärungs- und Diskursproduktionen ein bisschen Hoffnung in die Renaissance der guten Geschichte zurückgibt.

Und Korea produziert fleißig weiter: 34 koreanische Serien, Filme, Shows und Dokus werden dieses Jahr auf Netflix erscheinen. Man kann also hoffen, dass die neue koreanische Film-Welle noch lange die Knöchel des geneigten Cineasten umspült.

Netflixwoche Redaktion

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