Diplomatische Beziehungen: Wie sieht der Alltag einer Diplomatin wirklich aus?

Was tun, wenn der Präsident der Vereinigten Staaten ohne Vorankündigung deine Berufslaufbahn aus den Angeln hebt? Mit dieser Frage sieht sich Kate Wyler (gespielt von Keri Russell) in Diplomatische Beziehungen konfrontiert. Mit einem Fuß schon im nächsten Flieger nach Kabul, wird sie kurzerhand nach London geschickt. Nach dem anonymen Angriff auf ein Schiff der britischen Marine muss die neue Botschafterin nun zwischen den USA und dem Vereinigten Königreich schlichten. Wylers Aufgabe ist nun, eine internationale Krise zu vermeiden, indem sie verhindert, dass der falsche Gegner zur Zielscheibe eines Vergeltungsschlags wird.

Die neue Stelle hat aber noch andere Herausforderungen: Die Botschafterin muss sich mit ihrem Fast-Ex-Mann und ihren chauvinistischen Vorgesetzten herumschlagen.

Doch wie sieht der Alltag einer Diplomatin wirklich aus? Und geben hier wirklich noch vor allem Männer den Ton an? Darüber spricht Elisa Oezbek, politische Referentin beim Auswärtigen Amt, im Interview mit Netflixwoche.

Welche Vorurteile haben Leute über Diplomat*innen?

Viele stellen sich Diplomaten noch vor wie im 19. Jahrhundert. Wenn überhaupt, denken sie an Botschafter und Botschafterinnen oder Konsule. Dieses Bild wird bestimmt auch durch Filme und Medien vermittelt. Oder Leute denken: Sind das nicht doch eine Art Geheimagenten? Andere Klischees sind die von Diplomat*innen auf Empfängen oder im Hinterzimmer bei geheimen Verhandlungen über Krieg und Frieden. Davon trifft relativ wenig zu, der Job ist tatsächlich sehr facettenreich. Für viele Menschen ist nur schwer nachzuvollziehen, was denn Diplomat*innen den ganzen Tag macht.

Wie sieht denn der Alltag als Diplomat*in typischerweise aus?

Nehmen wir zur Veranschaulichung das Beispiel einer politischen Referentin der Ständigen Vertretung Deutschlands in Brüssel. Der Job besteht im Grunde darin, auf Sitzungen die deutsche Position zu vertreten, damit unsere Position auch bei Entscheidungen der EU – genauso wir die der übrigen 26 EU-Mitgliedstaaten – berücksichtigt wird. Die deutsche Position wird vorher im Auswärtigen Amt in Berlin abgestimmt. Die Referentin muss sich also mit Berlin koordinieren sowie mit den Kolleg*innen und dem Botschafter innerhalb der Ständigen Vertretung (so werden Botschaft bei internationalen Organisationen genannt) in Brüssel. Hinzu kommt der Austausch mit dem Europäischen Auswärtigen Dienst und mit Kolleg*innen von anderen EU-Mitgliedsstaaten. Das spielt sich nicht immer in großer Runde in Konferenzräumen. Der direkte persönliche Austausch mit anderen Diplomat*innen spielt da auch eine große Rolle.

Klingt sehr mühsam. Kannst du das an einem Beispiel erklären?

Manchmal ist es mühsam, aber dafür geht auch oft um sehr wichtige und spannende Themen. Stell dir vor: Es geht um die EU-Trainingsmission zur Unterstützung der Ukraine. Da stehen ganz viele Fragen im Raum. Zum Beispiel: Wie viele Soldatinnen und Soldaten sollten trainiert werden? Oder: Welche Nationen haben überhaupt die Möglichkeit, diese Ausbildungskapazitäten bereitzustellen? Wie viel Geld wird für so eine Mission veranschlagt? Da muss unter den 27 Mitgliedsstaaten Einigkeit herrschen, sodass auf europäischer Ebene eine Entscheidung getroffen werden kann.

Champagner trinken auf Empfängen und im Hinterzimmer über Krieg und Frieden verhandeln – für Hal (Rufus Sewell) und Kate (Keri Russell) gehört das in Die Diplomatin zum Job. Die Realität sieht anders aus, erzählt Elisa Oezbek.

In Diplomatische Beziehungen wird Kate Wyler oft vor vollendete Tatsachen gestellt – statt nach Kabul geschickt zu werden, wird sie auf einmal US-Botschafterin in London. Wie viel Mitspracherecht hast du bei Entscheidungen darüber, wohin du geschickt wirst?

Als Diplomatin diene ich dem Land und das weltweit. Dazu gehört auch ein Maß Kontrollaufgabe. Das kann bedeuten, dass kurzfristig Entscheidungen getroffen werden, ob du nun nach London, nach Doha oder nach Bangkok geschickt wirst. Natürlich kann das eine Herausforderung für dich selbst, für Partner oder Partnerinnen oder die Familie sein. Aus meiner eigenen Erfahrung kann ich sagen: Das ist eine Frage der eigenen Einstellung – gegenüber der Tatsache, dass du dem Land dienst, und gegenüber der Tatsache, dass du dich für diesen sehr besonderen Job entschieden hast. Das erfordert eine gewisse Flexibilität und ab und zu auch eine gewisse Frustrationstoleranz. Aber diese weltweite Einsatzbereitschaft ist eine wesentliche Voraussetzung für den Eintritt bei uns in den Auswärtigen Dienst.

In der Serie spielt außerdem das Gender-Ungleichgewicht eine große Rolle: Als neue Botschafterin wird Kate im Rahmen eines Vogue-Editorials vorgestellt. Außerdem muss sie mehr leisten als ihre männlichen Kollegen, damit männliche Entscheider ihr richtig zuhören. Wie sehr ist der diplomatische Alltag noch von Männern geprägt?

Die Diplomatie genauso wie die Politik im Allgemeinen ist definitiv weiterhin eine Männerdomäne. Deutschland hat gegenwärtig 230 Auslandsvertretungen. Dazu gehören die Botschaften und die Generalkonsulate – wir haben aber insgesamt nur 36 Botschafterinnen und 14 Generalkonsulinnen im Ausland.

Auch bei uns im Auswärtigen Amt ist es noch ein langer Weg zur Gleichstellung. Das hat mit vielen Faktoren zu tun, unter anderem auch mit ganz banalen Fragen von Familienplanung. Da wir alle drei Jahre umziehen, ist der Weg zur Gleichstellung nochmal ein bisschen holpriger.

Was tut ihr dagegen?

Den Frauen im Auswärtigen Amt ist natürlich wichtig, dass dieser Wunsch nach Gleichstellung zur Realität wird. Seit 2018 gibt es zum Beispiel einen eingetragenen Verein, den wir Diplomatinnen gegründet haben: Frauen@Diplo.

Unser Ziel ist es, die Gleichstellungspolitik im Auswärtigen Amt voranzubringen. Das gilt nicht nur für die Zahlen in den Führungspositionen. Zum Beispiel: Um glaubhaft gegenüber Dritten inklusive Friedensprozesse zu fordern, ist es wichtig, dass ein deutsches Verhandlungsteam nicht ausschließlich aus Männern besteht. Also müssen sich auch gewisse Arbeitsweisen ändern, um das Ziel erreichen zu können. Außerdem haben wir mit Annalena Baerbock unsere erste Außenministerin. Sie setzt sich wirklich sehr für Gleichstellungsfragen nicht nur in der Außenpolitik, sondern auch im Auswärtigen Amt ein – das kann man auch in den Leitlinien für eine feministische Außenpolitik nachlesen, die das Auswärtige Amt im März 2023 vorgestellt hat.

Hast du einen Rat für Frauen, die in die Diplomatie einsteigen wollen?

Man braucht ein starkes Interesse an außenpolitischen Fragen, Flexibilität, Organisationstalent und Führungskompetenz sowie den Wunsch, für die Bundesrepublik zu arbeiten. Wenn man sich für Außenpolitik und für ein Leben weltweit interessiert und Lust auf unterschiedliche Aufgabengebiete von Kultur und Bildungspolitik über Außenwirtschaftsförderung bis hin zur Sicherheitspolitik mitbringt, dann ist das Auswärtige Amt ein sehr, sehr spannender Arbeitgeber. Ich habe auf jeden Fall meinen Eintritt in den höheren Dienst des Auswärtigen Amtes nicht bereut und wünsche mir mehr Frauen in der deutschen Diplomatie.

Zur Person

Elisa Oezbek arbeitet seit 2012 im höheren Dienst des Auswärtigen Amtes. Bisher war sie unter anderem politische Referentin an der Botschaft in Tunis und an der Ständigen Vertretung Deutschlands bei den Vereinten Nationen in Genf. Gegenwärtig ist sie Referentin in Berlin und arbeitet für das Referat, das sich mit der europäischen Außen- und Sicherheitspolitik befasst.

Netflixwoche Redaktion

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