Die wahre Geschichte hinter Colin in Black & White

Ob Fußballer bei der EM, Lewis Hamilton vor dem Formel-1-Rennen oder Demonstrierende der „Black Lives Matter“-Bewegung – sie alle knien nieder, um ein Zeichen gegen Rassismus und Polizeigewalt zu setzen. Nun erscheint eine Serie über die Person, die diese Geste für den antirassistischen Kampf aktualisierte und populär machte – Colin Kaepernick.

Bis vor wenigen Jahren gehörte Kaepernick zu den profiliertesten Quarterbacks der USA, doch im September 2016 nahm seine Karriere eine entscheidende Wendung, als er erstmals während der Nationalhymne demonstrativ niederkniete. Colin in Black & White nimmt seine Jugendjahre in den Blick und bettet sie in den historischen Kontext ein. Was macht diese Jahre so interessant? Was motivierte ihn zu seinem ikonischen Kniefall? Welche Konsequenzen hatte seine Geste – für ihn und für die Gesellschaft?

Wer ist Colin Kaepernick?

Seine Mutter ist gerade 19 Jahre alt, als sie Colin zur Welt bringt. Der Vater verließ die beiden noch vor der Geburt. Bereits nach wenigen Monaten überträgt sie das Sorgerecht Rick und Teresa Kaepernick, ein weißes Ehepaar mit zwei leiblichen Kindern. Bei weißen Adoptiveltern in einem weitgehend weißen Vorort aufzuwachsen bedeutet für den Schwarzen Colin, sich mit vielen Vorurteilen konfrontiert zu sehen. Die Serie zeigt, gegen welche Mikroaggressionen der junge Colin alltäglich ankämpfen muss. Im Sport findet Colin einen Safe Space. Mit acht Jahren beginnt er Football zu spielen, später wird ihm eine aussichtsreiche Baseball-Karriere prophezeit. Stipendien und ein Profi-Vertrag erwarten ihn. Er hat aber ein anderes Ziel vor Augen – Football und vor allem den Super Bowl. In den folgenden Jahren entwickelt sich Colin zu einem der besten Quarterbacks im College-Football, stellt Rekorde auf, landet in der NFL und führt die San Francisco 49ers 2012 tatsächlich bis zum Super Bowl.

Ab 2014 häufen sich jedoch die Probleme. Er hat Schwierigkeiten mit seinem neuen Trainer, bald plagen ihn auch noch Verletzungen. Er verbringt die Spiele monatelang auf der Reservebank – so auch in der Pre-Season 2016. Und dennoch zieht er zu dieser Zeit die öffentliche Aufmerksamkeit auf sich.

Der Protest

Anstatt zur Nationalhymne vor Spielbeginn aufzustehen, mitzusingen und die Hand aufs Herz zu legen, bleibt Colin am 14. August 2016 sitzen. Doch woher rührt sein plötzlicher Entschluss? Im Sommer 2016 wird zunächst Alton Sterling und einen Tag später Philando Castile von Polizisten getötet – beides Schwarze Männer. Die gefilmten Vorfälle lösen landesweit Trauer und Wut aus. Auch Kaepernick bezieht Stellung und schreibt auf Instagram: „Wir werden angegriffen! Es ist ganz offensichtlich! Weniger als 24 Stunden später eine weitere Leiche auf der Straße!“

Er wolle nicht aufstehen, um Flagge für ein Land zu bekennen, das Schwarze und People of Colour unterdrückt, betont er im Diskurs um seine Aktion. Der vorsichtige Ungehorsam provoziert bereits eine Reihe konservativer Patriot*innen, sodass er sich mit dem ehemaligen NFL-Spieler Nate Boyer, der die Verweigerung als respektlos empfindet, zu einem Gespräch trifft. Boyer schlägt den Kniefall als angemesseneres Zeichen vor. Colin folgt dieser Idee. Er beginnt am 1. September 2016 damit, sich vor jedem Spiel während der Hymne hinzuknien und animiert das Publikum, sich ihm anzuschließen. Zu Saisonbeginn beteiligen sich auch andere Spieler an dem Protest.

Die Resonanz

Die Protestgeste erntet erzürnte Reaktionen aus dem republikanischen Spektrum und auch die Kritik vieler Demokrat*innen. Colin erhält Morddrohungen, wird vom baldigen US-Präsidenten Donald Trump öffentlich beleidigt und sein Vertrag bei den San Fransisco 49ers wird nicht verlängert. Auch andere Vereine lassen die Finger vom polarisierenden Quarterback. Am 1. Januar 2017 bestreitet er sein bis heute letztes Spiel.

Nach dem Tod von George Floyd im Mai 2020 und den folgenden „Black Lives Matter“-Protesten entwickelt sich „Taking the Knee“ zu einer omnipräsenten Geste. Unzählige Teams und Spitzensportler*innen, aber auch Protestierende auf der ganzen Welt folgen Kaepernick. Heute ist seine Spielkleidung Teil einer Ausstellung im Smithsonian National Museum of African American History and Culture. Colin ist zur Ikone geworden.

Seine Geste steht in einer Widerstandstradition mit den emporgestreckten Fäusten von Tommie Smith und John Carlos während der Olympischen Spiele 1968 oder Muhammad Alis Verweigerung des Wehrdienstes. Kaepernick widersetzt sich der Vereinnahmung für einen bedingungslosen US-Patriotismus. Stattdessen nutzt er die Bühne, um auf die Opfer von Polizeigewalt aufmerksam zu machen. Colin Kaepernick setzte nicht nur ein Zeichen, er politisierte die Sportwelt.

Warum lohnt sich die Serie?

Mit Ava DuVernay konnte Kaepernick eine Regisseurin für die Serie gewinnen, die es versteht, politische Stoffe ergreifend und kompromisslos zu erzählen. Berühmt wurde sie durch ihren Film Selma (2014), der sich mit den Protestmärschen der Bürgerrechtsbewegung beschäftigt. Im Dokumentarfilm 13th zeichnete DuVernay die Geschichte der Kriminalisierung Schwarzer Menschen in den USA nach. Mit der Miniserie When They See Us erzählte sie zuletzt die Geschichte der unrechtmäßig inhaftierten „Central Park Five“.

Colin in Black & White konzentriert sich auf die Highschool-Jahre des Sportlers in den Nullerjahren. Die Drama-Serie wird durch Interviewsequenzen ergänzt, in denen Kaepernick selbst auf seine Jugend zurückblickt und die Zuschauer*innen durch die Geschichte navigiert.

Wen das Spannungsfeld zwischen Sport, Aktivismus und psychischer Gesundheit interessiert, sollte sich unbedingt auch Garrett Bradleys Dokuserie Naomi Osaka anschauen. 

Netflixwoche Redaktion

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