„Was zur Hölle ist hier passiert?“ – Die 60 Minuten-Stars Emilio Sakraya und Marie Mouroum im Interview
- 19.1.24
Netflixwoche hat sich zum Release des deutschen Action-Thrillers 60 Minuten mit Emilio Sakraya und Marie Mourum unterhalten. Ein Gespräch über widerspenstiges Kunstblut, Action-Choreographien und welcher Kampfsport sich für Anfänger*innen eignet.
„Wir müssen einen Film zusammen machen, in dem du durch die Stadt läufst und Leute verprügelst.“ Damit fing alles an. Drehbuchautor Philipp Koch hatte eine Vision für Emilio Sakraya (Rheingold, Tribes of Europa) und dieser war sofort überzeugt. Das Ergebnis? 60 Minuten, ein Mixed Martial Arts-Thriller, der im Herzen von Berlin spielt.
Der junge Octavio, gespielt von Emilio, soll nach zwei verschobenen Kämpfen endlich gegen Benko (Aristo Luis) in den Käfig steigen – ausgerechnet am Geburtstag seiner Tochter. Leider ist sein Gegner spät dran und alles deutet darauf hin, dass Octa es mal wieder nicht pünktlich zur Verabredung mit seinem Kind schaffen wird. Seiner Ex Mina reißt deshalb der Geduldsfaden. In einem wütenden Anruf, kurz bevor der Kampf endlich losgehen soll, lässt sie Octa wissen: „Sei in einer Stunde da oder ich entziehe dir das Sorgerecht.“ Der junge Vater lässt alles stehen und liegen und macht sich auf den Weg. Aber sehr gefährliche Leute haben eine Menge Geld auf diesen Kampf gesetzt und geben alles, um Octa aufzuhalten.
Netflixwoche hat sich zum Release des Thrillers mit Emilio Sakraya und Marie Mourum unterhalten, die seine Trainerin Cosima spielt. Ein Gespräch über widerspenstiges Kunstblut, Action-Choreographien und welcher Kampfsport sich für Anfänger*innen eignet.
Netflixwoche: Emilio, was ging dir durch den Kopf, als du das erste Mal das Skript für 60 Minuten gelesen hast?
Emilio: Ich dachte mir: „Geil, aber da fehlt noch ein bisschen was.“ Und dann haben Produzent Max Vetter, Philipp Koch und ich nochmal ein bisschen darüber nachgedacht.
Du hast also ein bisschen am Skript mitgewirkt?
Emilio: Als Philipp Koch und ich vor ein paar Jahren durch den Englischen Garten gelaufen sind, meinte damals: „Wir müssen einen Film zusammen machen, in dem du durch die Stadt läufst und Leute verprügelst.“ So fing das an. Ich war also schon an Bord. Ich sagte: „Okay, let's go, schreib und ich komme dann dazu!“ Er hat geschrieben, ich war dabei, Marie kam dazu und jetzt …
… sind alle hier. Wie habt ihr euch denn auf eure Rollen vorbereitet?
Marie: Für mich war es das erste Mal, dass ich in Deutschland eine Schauspielrolle hatte. Ich habe sozusagen von Null angefangen und mich online mit einer Schauspiellehrerin vorbereitet. Ihr Rat war, mich der Rolle übers Körperliche zu nähern, denn ich komme aus dem Stunt-Bereich. Cosima ist eine starke und sportliche Figur, eine Kampfsporttrainerin, die im Gym mit Octavio arbeitet. Wie ist die Haltung dieser Person? Wie bewegt sie sich? Wie steht sie? So lief mein Schauspieltraining ab.
Und du bist oft durch die Stadt gelaufen, Emilio …
Emilio: … und habe Leute verprügelt.
(beide lachen)
Emilio: So ungefähr. Für uns war es wichtig, ein Netz um Octavio zu spinnen. Wo kommt er her? Wie ist er aufgewachsen? Woher kennen er und sein Manager Paul sich? Das kommt im Film gar nicht vor, half aber, um festzulegen, wer dieser Mensch eigentlich ist. Das Gleiche gilt für die Beziehung zu seiner Ex und zu dem gemeinsamen Kind. Wir sind da sehr detailliert rangegangen und haben uns Situationen zwischen mir und meiner Ex-Partnerin ausgedacht, andere Geburtstage und so weiter und so fort. Indem wir eine echte Geschichte zu Octavio kreierten, haben wir die Figur zum Leben erweckt. Abgesehen davon musste ich mich einfach sehr oft schlagen mit den Stunt-Leuten.
In einer Szene flieht Octavio vor seinen Verfolgern in das Gym, wo er, Cosima und zwei weitere Mitglieder es mit den Schlägern aufnehmen. Wie lange dauert es, diese Choreografie zu entwickeln, einzustudieren und umzusetzen?
Marie: Wir hatten einen festen Zeitrahmen. Ich glaube, wir hatten zwei bis drei Wochen für die Proben. Die Zeit war limitiert und vor dem Dreh muss alles gelernt und geprobt werden, denn am Set gilt es nur noch, abzuliefern. Da muss alles sitzen. Und dann geht es wirklich nur ums Timing. Das ist wie ein Tanz. Du musst ein Gefühl für Distanz und Rhythmus haben, damit du nicht wirklich jemanden triffst. Und dann kommt alles zusammen. Wir hatten viele professionelle Stunt-Leute, mit denen wir das gemacht haben. Deswegen ging es am Set relativ schnell. Für mich war das ein schneller Dreh, normalerweise kann so etwas ein paar Wochen oder Monate länger dauern.
Emilio: Für uns war das immer relativ spaßig und entspannt. Ich glaube für viele Schauspielkolleginnen und -kollegen, die bisher keine Kampfsport-Erfahrungen hatten, war das nochmal was anderes. Je mehr Leute involviert sind, desto komplizierter wird es natürlich. Es macht zwar viel mehr Spaß, wenn du 1 zu 1 kämpfst. Aber mit Aristo Luis (Benko) war es beispielsweise eine ganz andere Arbeitsweise als mit Paul.
Paul Wollin spielt den Gangster Chino.
Emilio: Ja. Paul ist super, aber Paul ist halt auch ein Hitzkopf. Und wenn du dann erstmal warm bist, steigerst du dich viel schneller rein. Dabei kann so schnell was schief gehen, darum musst du dich konzentrieren, was gleichzeitig wieder total müde macht. Das war schon immer ein Ritt. Und je mehr Leute involviert waren, desto holpriger war dieser Ritt.
Was waren für euch die denkwürdigsten Momente am Set?
Emilio: Für mich war es insgesamt einfach sehr hart. Zwar war ich mental noch da, aber mein Körper hat irgendwann nicht mehr mitgemacht. Mein Knie war kaputt, meine Patella hat Stress gemacht, meine Schulter auch. Körperlich war es nur noch anstrengend. Gleichzeitig war’s geil, weil ich mir dachte: „Okay nice, das ist so ein Reinhau-Job.“ Irgendwie haben wir einfach durchgezogen. Und es war kalt, sehr kalt. Aber wir hatten natürlich auch sehr viel Spaß.
Marie: Für mich war es der allererste Drehtag. Mir wurde klar: „Wir sind jetzt alle hier.“ An dem Tag haben wir die erste Szene gedreht. Davor hattest du die ganze Zeit das Drehbuch gelesen und dich vorbereitet. Und jetzt siehst du zum ersten Mal, was daraus wird. Für mich war das ein Moment der Klarheit, bis dahin habe ich das alles noch gar nicht richtig gecheckt.
Stellt euch mal vor, ihr könnt euch eine Rolle aussuchen, die komplett auf euch zugeschnitten wurde. Diese Figur macht alles, was ihr jemals machen wolltet, sowohl im Film als auch bei den Stunts. Wie würde die Rolle aussehen?
Marie: Also bei mir wäre es wahrscheinlich eine Action-Comedy. Ich liebe lustige Quatsch-Szenarien, die ein bisschen drüber sind, in denen trotzdem geile Action passiert. Wie heißt dieser Film noch mit Jason Statham?
Emilio: Ja, ja, ich weiß, welchen du meinst. Mit Jason Statham und dieser … Spy!
Marie: Spy! Das wäre genau das, was ich richtig gerne machen würde.
Und bei dir, Emilio?
Vor drei, vier Jahren hätte ich die Frage noch einfach beantworten können, doch mittlerweile gibt es so viele Faktoren, die viel wichtiger sind als der Plot. Also Regie, wer produziert, wer spielt außerdem mit und noch viel mehr. Auf jeden Fall habe ich jetzt Bock auf die Staaten. Ich habe Bock, auf Englisch zu drehen. Und du?
Was mit Pferden. Aber nicht wie Bibi und Tina, sondern eher wie bei Game of Thrones. Einen Ork zu spielen, muss auch so Spaß machen …
(beide lachen)
Emilio: Glaub mir das, das macht gar keinen Spaß.
Marie: Gar keinen Spaß! Das ist das Schlimmste.
Emilio: Du sitzt acht Stunden in der Maske, bevor du überhaupt drehen kannst. Das ist ganz schlimm.
Marie: Deine Haut ist im Arsch danach.
Emilio: Weißt du, wie oft wir rumgelaufen sind mit unseren Narben, weil die einfach nicht abgehen. Du kommst nach Hause, du bist voller Blut. Du hast nicht die Kraft, dich zu duschen. Du legst dich ins Bett, weil du komplett müde bist. Room Service kommt rein, die denken: „Was zur Hölle ist hier passiert?“ Das ganze Bett ist voll mit Kunstblut.
Marie: Auch die in der Lobby haben sich immer gefragt, was hier los ist.
Emilio, du hast 2010 einen deutschen Meistertitel in Karate gewonnen. Und Marie, du bist erfahrene Stuntfrau, die unter anderem in Black Panther und Avengers: Endgame zu sehen war. Gibt es bei typischen Kampfszenen in Actionfilmen Klischees, die euch als Kampfsport-Profis sofort auffallen, weil sie nicht authentisch sind?
Emilio: Es gibt im Kampfsport und in Kampfkunstfilmen so viele verschiedene Arten. Es gibt den Hongkong Style. Da hast du diese völlig übertriebenen Kung Fu-mäßigen Fights, die absolut unrealistisch sind. Dann hast du so Szenen wie in Fast & Furious, die einfach nur brachial sind. Ich glaube, es hat ein bisschen mit dem eigenen Geschmack zu tun. Ich persönlich finde zum Beispiel, dass die Box-Szenen in Southpaw gut gelungen sind. Und das ganze Marvel-Zeug ist auch krass. So krass.
Damit kennst du dich ja gut aus, Marie.
Marie: Ich liebe es, Action zu gucken, aber ich sehe es natürlich sofort, wenn sich jemand nicht authentisch bewegt und auch wann das Double einsetzt. Deswegen respektiere ich es sehr, wenn Leute in Filmen tatsächlich vorbereitet sind und die Action selber machen – und dann auch noch gut machen. Das ist immer ein Riesenplus, denn so wird immer weniger gedreht.
Wenn jetzt jemand nach 60 Minuten auch Lust auf Kampfsport bekommt, aber absolut unfit ist – sprich am Freitag ins Gym geht und am Montag noch Muskelkater hat –
Marie (lacht): Wir reden hier von einer komplett fiktiven Person …
Richtig! Welcher Kampfsport eignet sich in diesem Fall gut als Einstieg?
Marie: Also ich finde, es kommt immer darauf an, für was du dich interessierst. Wenn du dich für Bodenkampf interessierst, dann wäre zum Beispiel Brazilian Jiu Jitsu was Gutes für dich. Das ist Zweikampf, da kannst du ganz easy starten. Aber manche Leute wollen es ein bisschen flashy. Willst du coole Spin Kicks lernen, dann solltest du dich vielleicht nach einem Taekwondo-Verein umschauen. Geht es dir nur um Fitness und Bewegung und ein paar Basics …
Emilio: … dann Zumba (grinst).
Marie: (lacht) Dann Zumba. Nein, Spaß, dann reicht so ein Martial Arts-Fitnesskurs. Da musst du nicht unbedingt zu einem Dojo gehen.
Marie (zu Emilio): Aber Zumba ist ein cooles Workout, hast du das mal gemacht?
Emilio: Das ist krass! Voll anstrengend! Ja, Spaß muss es machen, das ist das Wichtigste.
Marie: Sonst bleibst du auch gar nicht dabei, sonst kannst du die Motivation gar nicht aufbringen. Du musst schon eine kleine Leidenschaft dafür entwickeln.
Saba MBoundza