„So lautet die antike Boulevardpresse“: Ein Archäologe erklärt, wie historisch korrekt Barbaren ist
- 24.10.22
Schier endlose Wälder, kaum ein Lichtstrahl dringt auf den Boden. In jedem Schatten lauert Gefahr. So stellen sich viele Menschen das antike Germanien vor. So ähnlich zeigt auch die Serie Barbaren die Landschaft vor 2.000 Jahren. Und genauso behaupteten schon die antiken Römer, sähe das Land der Germanen aus.
Stimmt aber nicht so ganz. Der Provinzialrömische Archäologe Professor Dr. Günther Moosbauer verriet Netflixwoche, warum die Römer den Wald-Mythos beschworen, ob es Kriegerinnen unter den Barbaren gab und warum manch ein römischer Legionär es im modernen Lateinunterricht schwer hätte.
Netflixwoche: Was war das Erste, das Ihnen beim Schauen der Serie durch den Kopf ging?
Prof. Dr. Günther Moosbauer: Das sie den typischen Germanien-Topos der antiken römischen Quellen widerspiegelt. Dunkle Wälder und neblige Sümpfe: Ohne diese Faktoren würde schließlich die römische Armee nicht verlieren! So lautet quasi die antike Boulevardpresse. In der Realität sah die Landschaft aber anders aus.
Wie genau?
Nördlich vom Wiehengebirge, wo wir uns ja in der Serie befinden, gab es viel offene Fläche. Natürlich auch Moor, aber eben viel Weide. Und Engstellen, wo sich die römische Armee zwischen Wäldern und Sümpfen nicht ausbreiten konnte.
In Barbaren ist die Varusschlacht ein offener Kampf auf einer Waldlichtung. Ist das so wirklich geschehen?
Wir müssen davon ausgehen, dass der römische Tross während des Marschs immer wieder attackiert worden ist, über mehrere Tage hinweg. Irgendwo gibt es einen Kulminationspunkt. Lange hat man Kalkriese für diesen Ort gehalten, aktuell wird darüber aber viel diskutiert.
Wieso konnten die Römer diese Attacken nicht abwehren?
Die Germanen haben eine Art Guerilla-Taktik verwendet. Die römische Armee funktionierte immer dann, wenn sie sich in Schlachtformation aufstellen konnte. Das war an diesen Engstellen einfach nicht möglich. Als lang gezogener Tross war sie in der Flanke verwundbar. So gelang es relativ wenigen Leuten, eine große Armee vernichtend zu schlagen.
Wie realistisch sind die Rüstungen der Römer in der Serie?
Mit den Römern habe ich ein Problem! Den Schuppenpanzer, den sie tragen, gibt es zu dem Zeitpunkt zwar schon lange. Aber: Im augusteischen Deutschland wurde kein einziger Schuppenpanzer nachgewiesen. Wahrscheinlich haben die Römer in Germanien im frühen ersten Jahrhundert Schienenpanzer und Kettenhemden getragen. Die Helme sind gut gemacht!
Diese Schuppenpanzer haben die römischen Legionäre wohl nicht getragen. Die Helme stimmen aber. Auch der Tiger.
Arminius ist in Barbaren ein von Römern aufgezogener Germane. Haben die Römer ihn als Kind wirklich als Geisel genommen?
Vermutlich ja. Er könnte in Rom aufgewachsen und erst Jahre später nach Germanien zurückgekehrt sein. So, wie es in der Serie auch dargestellt ist. Aber es gibt auch eine zweite These. Vielleicht ist Arminius auch am Hof des Vaters aufgewachsen, der den Römern gegenüber sehr aufgeschlossen war. Es ist möglich, dass er über den Vater in den römischen Militärrang reingerutscht ist, den er schließlich bekleidet hat.
War Arminius denn wirklich der Ziehsohn von Varus?
Nein, das sicher sich. Aber so ist es natürlich spannender!
Thusnelda kämpft in der Serie an vorderster Front mit. Gab es Kriegerinnen unter den Germanen?
Mir ist kein Beleg dafür in der Antike bekannt. Ich möchte es aber auch nicht ausschließen. Aus der Lex Baiuvariorum, einer Gesetzessammlung aus dem aus dem 6. bis 8. Jahrhundert, wissen wir, dass es eine weibliche Truppe am agilolfingischen Hof gab. Das sind Germanen. Wir haben auch Waffengräber aus dem Frühmittelalter, wo – sofern sie anthropologisch richtig bestimmt sind – Damen drinnen liegen. Sowas kenne ich aus dem ersten Jahrhundert nach Christus nicht. Das Problem ist aber: Wir sind im Rhein-Weser-Gebiet. Die germanischen Gräber aus der Zeit sind dort normalerweise Brandbestattungen. Da ist nicht viel erhalten.
Die Römer in der Serie sprechen Latein. Würde ein antiker Römer sie verstehen?
Wir tun uns in der Tat schwer, uns dem gesprochenen Latein in der Antike anzunähern. Was ich in der Serie höre, ist ciceronisches Latein. Also die Sprache, die in hochrangigen Schriftstücken überliefert ist. Wir können aber davon ausgehen, dass es im antiken Rom verschiedene Dialekte gab. Das merken wir besonders dann, wenn wir uns die Schriftstücke der einfachen Leute ansehen. Da sind die Worte oft so geschrieben, dass ein Philologe sie uns heute korrigieren würde.
Das Latein in der Serie ist also korrektes Latein. Nur nicht dasselbe, dass die einfachen Legionäre tatsächlich gesprochen hätten?
Also wenn ich davon ausgehe, dass in den Legionen und Hilfstruppen Afrikaner, Syrer, Germanen und ein paar Iberer dabei gewesen sein dürften, dann kann man sich vorstellen, was unter den Legionären für ein Sprachwirrwarr geherrscht haben muss.
Von der Sprache zur Optik: Was halten Sie von der Kriegsbemalung von Thusnelda?
Dazu kann ich leider nur sagen, dass wir keine Abbildungen von germanischen Damen haben. Aber das ist ein Effekt, wirkt dramatisch und ist deswegen gut gemacht!
Netflixwoche Redaktion