„Früher waren asiatische Frauenfiguren in Filmen oder Serien entweder die konservative Mutter oder die Tochter – Frauen, die Probleme mit ihrer Kultur haben und versuchen, gegen ihre Familie zu rebellieren. Aber jetzt haben sich weitere Türen für uns geöffnet“, sagt Manatsanun Phanlerdwongsakul.
Die thailändische Filmemacherin und Schauspielerin sitzt Ende März mit fünf anderen Expertinnen bei einer Podiumsdiskussion von Netflix in Jakarta, Indonesien. Das Thema: die authentische Darstellung von weiblichen Charakteren aus Asien in Film und Fernsehen. Den Sprecherinnen wie über 200 Teilnehmer*innen geht es dabei aber nicht nur um Frauenrollen: Sie wünschen sich überall am Set mehr asiatische Talente und eine insgesamt authentische Darstellung.
Jahrelang wurde in Produktionen ein ganzer Kontinent wie eine einzige Kultur behandelt. Authentische Geschichten mit und von asiatischen Talenten waren eine Seltenheit in der Filmindustrie. Und gelang ihnen mal doch der Weg ins Business, wurde ihr Dasein reduziert und dramatisiert. So wurde der japanische Schauspieler Gebbe Watanabe etwa mit der Rolle eines absurden chinesischen Austauschstudenten in der Komödie Das darf man nur als Erwachsener (1984) bekannt.
Mit Kino- und Serienhits wie Crazy Rich Asians (2018), Everything Everywhere All at Once (2022) und Squid Game (2021) zeigen sich jetzt erst mehr und mehr Produktionen, in denen authentische asiatische Geschichten erzählt sowie dargestellt werden. Türen, die weitere öffnen, wie Manatsanun Phanlerdwongsakul sagen würde. Doch wie bei so vielem geht da noch mehr.
Eine Selbstfindungsgeschichte in Vietnam
In Jakarta berichtet die vietnamesisch-irische Drehbuchautorin Eirene Tran Donohue etwa von der Inszenierung eines asiatischen Landes: „So ziemlich jeder amerikanische Film über Vietnam handelt vom Krieg. Aber das Land ist so viel mehr als das.“
Eirene Tran Donohue hat das Drehbuch für A Tourist's Guide to Love (seit 21. April auf Netflix) geschrieben. Die RomCom ist inspiriert von ihrer eigenen Vietnam-Reise und zeigt, wie eine frisch getrennte Frau zu sich selbst findet. Gegenüber Tudum sagte Eirene Tran Donohue: „Es war mir wirklich wichtig, eine Geschichte über das heutige Leben zu erzählen.“
In A Tourist's Guide to Love spielt unter anderem der vietnamesische Schauspieler Scott Ly eine der Hauptrollen. Als Reiseleiter Sinh führt er die amerikanische Touristin Amanda (gespielt von Rachael Leigh Cook) in die Kultur seines Landes ein. So entwickelt Eirene Tran Donohue ihre persönliche Geschichte weiter und bringt letztlich zwei Welten näher – auf und vor dem Bildschirm.
Im schlimmsten Fall erhält ein Weißer die Rolle
Das Vermitteln und Zusammenbringen von Kulturen war für asiatische Talente lange auf unterschiedlichen Ebenen problematisch. So gab es laut der österreichischen Tageszeitung Der Standard in der Vergangenheit zwar Produktionen, die sich mit Asien beschäftigten, aus dem Kontinent stammen oder asiatische Rollen vorwiesen – meist waren Filme wie Figuren jedoch klischeebehaftet, speziell, nebensächlich oder erst gar mit nicht-asiatischen Talenten besetzt. Das Bild, von dem auch Manatsanun Phanlerdwongsakul bei der Podiumsdiskussion sprach: konservative Asiatin oder keine Asiatin. Und im schlimmsten Fall erhält ein Weißer die Rolle – wie der amerikanische Darsteller Mickey Rooney, der in Frühstück bei Tiffany (1961) die japanische Karikatur Mr. Yunioshi spielte.
Laut Standard haben erst der gesellschaftliche Diskurs der letzten Jahre, der stetige Zuwachs der asiatischen Bevölkerung und deren wirtschaftliche Steigerung in verschiedenen Ländern zu einer Veränderung beigetragen.
Der Kinofilm Crazy Rich Asians kam im Cast letztlich ohne weiße Menschen aus und spielte 238 Millionen Dollar ein. Die Handlung: Eine asiatisch-amerikanische Frau, die erstmals die Familie ihres Freundes in Singapur kennenlernt.
Die koreanische Serie Squid Game (2021) erreichte weltweit sogar noch mehr Menschen. Die Geschichte um einen spielsüchtigen Mann, der ein letztes Game um Leben und Tod zockt, wurde innerhalb weniger Wochen von 111 Millionen Accounts gestreamt. Es ist die erfolgreichste Serie der Netflix-Geschichte.
Asiatische Klischees brechen
„Gerade für Menschen asiatischer Herkunft, denen so oft nachgesagt wird, dass sie fleißig, angepasst und unauffällig seien, ist dieses Gesehen-Werden wichtig“, erklärt die Journalistin Khuê Phạm in der deutschen Wochenzeitung Die Zeit. „Es bricht das Klischee, das dazu dient, sie kleinzuhalten.“ In dem Moment, in dem ein*e Vertreter*in des eigenen Typus einen Platz einnehme, fühle man sich automatisch stärker als Teil der Gesellschaft.
Wenn Eirene Tran Donohue an ihre Jugend in den USA denkt, kann sie sich noch gut an den ersten für sie wichtigen Film erinnern: Das 1993 erschienene Drama Töchter des Himmels – eine große Studioproduktion mit einem asiatisch-amerikanischen Cast. Die Hauptrollen spielten vier asiatische Frauen, der Plot drehte sich um ihre Einwanderungsgeschichte.
Für die indonesische Schauspielerin Marissa Anita war dieser Film ebenfalls wichtig. In Jakarta erzählt sie, wie sie erstmals dadurch wahrgenommen hat, dass Frauen wie sie in Hollywood sein könnten.
Sehen, wahrnehmen, glauben. Es ist immer wieder dasselbe Ethos wie bei der diesjährigen Oscar-Verleihung. Als die malaysische Schauspielerin Michelle Yeoh die Trophäe für die beste weibliche Darstellung in den Film Everything Everywhere All at Once entegennimmt, sagt sie: „Für all die kleinen Jungen und Mädchen, die aussehen wie ich und die heute Abend zuschauen, ist das ein Zeichen der Hoffnung und der Möglichkeiten.“
Mit Beef und Hunger in die Charts
Blickt man auf die Netflix-Charts der vergangenen Monate, gibt es auch längst abseits von Squid Game und den großen asiatischen Kinohits Grund zur Hoffnung: In der ersten Aprilwoche 2023 zog der koreanische Film Kill Boksoon an die Spitze der nicht englischsprachigen Filme auf Netflix. Auf Platz 2 folgte der thailändische Film Hunger.
Bei den Serien-Charts kehrte das koreanische Rachedrama The Glory auf den ersten Platz zurück. Copycat Killer ist die erste in Taiwan produzierte Serie, die es in die wöchentlichen Top Ten von Netflix geschafft hat. Und dann wäre da noch die im April gestartete Comedy-Serie Beef – laut dem deutschen Nachrichtenmagazin Der Spiegel „ganz großer, fieser Spaß.“
Die von Lee Sung Jinnur geschaffene Serie bietet aber nicht nur Fun- und Chart-Potenzial, sondern erneut eine enorme Vielzahl von asiatischen Talenten – vor und hinter der Kamera. Die Türen haben sich weit geöffnet, wie Manatsanun Phanlerdwongsakul sagen würde.
Hier sind sechs neue Produktionen mit asiatischen Talents auf Netflix:
- A Tourist's Guide to Love (2023): In dieser RomCom bringt ein Reiseleiter (Scott Ly) einer Touristin das Leben in Vietnam näher.
- Beef (2023): In der schwarzhumorigen Serie kämpfen zwei Fremde (Steven Yeun und Ali Wong) gegen sich und die scheinheilige Gesellschaft.
- Copycat Killer (2023): In dieser Mystery-Serie greift ein Staatsanwalt (Chris Wu) einen alten Fall auf – mit bösen Folgen.
- Hunger (2023): In dem Drama legt sich eine junge Köchin mit einem berüchtigten Spitzenkoch an.
- Kill Boksoon (2023): In dem Actionfilm quält sich eine Auftragsmörderin (Jeon Do-yeon) mit Gegnern und ihrer Tochter.
- The Glory (2022/2023): In dieser düsteren Serie rächt sich eine Frau (Song Hye-Kyo) an allen, die sie einmal gemobbt haben.
Netflixwoche Redaktion